zum Hauptinhalt
Blick auf den Saal im neuen Gebäude des Nato-Hauptquartiers in Brüssel, in dem am 11. und 12. Juli der Gipfel stattfindet.
© Benoit Doppagne/BELGA/dpa

Vor dem Nato-Gipfel: Wir brauchen ein Europäisches Investitionsprogramm für Verteidigung

US-Präsident Trump fordert Deutschland auf, mehr in Verteidigung zu investieren. Wie Deutschland besonders Osteuropa unterstützen kann - ohne die Angst vor deutscher Vormacht zu schüren. Ein Gastbeitrag.

Eine der letzten Verteidigungslinien des europäischen Projektes ist die Verteidigungsfähigkeit Europas. Diese hängt nach wie vor von den USA ab, in einem Maße, das auf Dauer nicht akzeptabel ist – weder für die USA noch für uns in Europa. Nicht erst seit Donald Trump weisen die USA mit Recht darauf hin, dass die Volkswirtschaften Europas und der USA annähernd gleich groß sind und deshalb die Vereinigten Staaten nicht auf Dauer 70 Prozent der Verteidigungslasten übernehmen können. Europa muss mehr eigene Verantwortung übernehmen – auch für seine Sicherheit.

Inzwischen herrscht darüber Übereinstimmung: Wenn wir die Nato erhalten wollen, die nach wie vor ein unverzichtbarer Pfeiler der europäischen Ordnung ist, müssen wir Europäer mehr dafür tun. Nicht Donald Trump zuliebe, sondern weil diese Forderung legitim ist. Das gemeinsam vereinbarte Ziel der Nato, die nationalen Verteidigungshaushalte in Richtung von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu entwickeln, soll dieser berechtigten Kritik der Vereinigten Staaten begegnen. Auch Deutschland erhöht seinen Verteidigungsetat und will dies mit der Erhöhung auch seiner Ausgaben für Entwicklungshilfe und Krisenprävention verbinden. Eine bemerkenswerte Koppelung, die die internationale Erkenntnis spiegelt, dass militärische Stärke allein noch keinen Frieden schafft.

Auch für die Erhöhung der Verteidigungshaushalte gilt: Mehr Geld allein ist nicht genug. Die politisch bedeutendste Frage lautet, wie und wo man das Geld am sinnvollsten einsetzen kann. Anfang der 90er Jahre kam Schweden zu der Einsicht, dass es wenig Sinn hatte, noch mehr Geld in den Umweltschutz an der schwedischen Ostseeküste zu investieren, wenn es keine wesentliche Verbesserung der Wasserqualität in den anderen Anrainerstaaten gibt. Die Konsequenz: Schweden investierte in den Umweltschutz an der polnischen Ostseeküste. Inzwischen braucht Polen die Unterstützung nicht mehr, aber der Denkansatz hat nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Deutschland soll seine EU-Partner bei der Aufrüstung unterstützen

Nun ist Verteidigung nicht gleich Umweltschutz. Den Grundgedanken aber könnte man auf den Verteidigungsbereich übertragen. Der Ausgangspunkt dafür sind zwei Überlegungen: Viele Deutsche sind aus historischen Gründen besorgt, dass eine jährliche Investition in die Bundeswehr in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes Deutschland zu einer dominanten militärischen Führungsmacht werden lässt. In jedem Jahr 70 bis 80 Milliarden in die nationale Armee zu stecken, dürfte auf Dauer auch in Frankreich Sorgen entstehen lassen. Frankreich gibt nur rund die Hälfte dieses Betrages aus, obwohl es eine Atommacht ist. Auch das Gefälle zwischen Deutschland und Polen würde noch größer. Wenn dieses Argument allerdings nicht nur eine Ausrede sein soll, müssen die Deutschen bereit sind, Verantwortung für das „public good“ Sicherheit zu übernehmen. Wie wäre es also, wenn Deutschland Schritt für Schritt 1,5 Prozent in seine eigene Verteidigungsfähigkeit investiert und 0,5 Prozent in die Europas? Also kein Deutschland, das sich zur regionalen militärischen „Supermacht“ entwickelt, sondern ein Deutschland, das bereit ist, Verantwortung für die Sicherheit in europäischen Nachbarstaaten zu übernehmen. Hintergrund ist die gemeinsame Einschätzung in der Nato und der EU, dass die wohl empfindlichste Stelle des Bündnisgebietes seine Ostflanke ist, also die baltischen Länder und Polen. Deshalb werden Nato-Truppen, auch deutsche, nach einem Rotationsprinzip in der Region stationiert, wobei ihre Präsenz aus Rücksichtnahme auf Russland klein gehalten wird.

Ihre drastische Erhöhung wird auf Akzeptanzprobleme in anderen europäischen Ländern stoßen, auch in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass ein größerer Beitrag der Europäer, vor allem der Deutschen, zur Verteidigungsfähigkeit Europas nicht möglich ist. Dabei ist die „cyber defence“ viel wichtiger als die traditionellen militärischen Mittel. Die baltischen Staaten gehören zu den ersten, die nicht ganz freiwillig die Brisanz der neuen Sicherheitsbedrohungen erkannt und die Konsequenzen gezogen haben.

Gemeinsame Verteidigungspolitik kann wertvoller Beitrag zur Vertrauensbildung sein

Was Europas Mitgliedstaaten, als Teil der Nato, aber auch die Nicht-Nato-Länder brauchen, ist ein „European Defence Investment Program“ mit einem Schwerpunkt an der Ostflanke der Nato. Die Sicherheit dieser Region ist auch für Deutschland von entscheidender Bedeutung. Ein solches Programm, an dem sich Deutschland maßgeblich beteiligen würde, könnte auch ein wertvoller Beitrag zur Vertrauensbildung sein, ein Ziel, das gerade in der jetzigen Zeit, unter anderem zwischen Deutschland und Polen, nicht zu vernachlässigen ist. Die Bundesrepublik würde unter Beweis stellen, dass sie bereit ist, im Interesse ihrer Nachbarn zu handeln. Und nicht zuletzt würden deutsche Abrüstungs- und Entspannungsinitiativen innerhalb Europas und der Nato enorm an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Ein „European Defence Investment Program“, von Deutschland und seinen östlichen Partnern initiiert, könnte für andere Länder geöffnet werden. Insbesondere die nordeuropäischen Staaten – wichtige, aber unterschätzte Partner – gewinnen an sicherheitspolitischer Bedeutung. Die skandinavischen Staaten haben wirtschaftliche und militärische, aber auch technologische Ressourcen, die Europa dringend braucht. Mehr noch: Sie haben gute Gesprächskanäle in Washington, wo ihr Pragmatismus geschätzt wird. Und nicht zuletzt werden sie auch in Moskau respektiert.

Die wachsende Bereitschaft Deutschlands, mehr in die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu investieren, bietet eine Chance, neue Kooperationsformate zu schaffen, die die zwei wichtigsten westlichen Institutionen näher zusammenführen: die Nato und die EU. Renationalisierungstendenzen sind auch in Europa unübersehbar und eine Krise der Nato würde sie noch dramatisch verstärken. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss deshalb besonders geschützt werden. Das ist unsere letzte gemeinsame Verteidigungslinie. Politisch und militärisch.

Sigmar Gabriel war Vorsitzender der SPD und mehrfach Bundesminister. Er gehört dem Deutschen Bundestag an. Janusz Reiter war von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Deutschland und von 2005 bis 2007 polnischer Botschafter in den USA.

Zur Startseite