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Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will ein Demokratiefördergesetz.
© Fabian Sommer/dpa

Nach dem Anschlag von Halle: Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz

Der Anschlag von Halle zeigt: Wir müssen die Ursachen von Rechtsextremismus stärker bekämpfen. Der Bund muss das anders fördern. Ein Gastbeitrag.

Die Autorin Franziska Giffey ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (SPD).

Die schlimmen Ereignisse in Halle haben Deutschland erschüttert. Ein versuchter Anschlag auf Menschen jüdischen Glaubens in einer Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Zwei Menschen wurden getötet. Nur der Zufall verhinderte weitere Opfer. Die Tat lässt uns fassungslos zurück. Viele  fragen sich: Hätte man sie verhindern können? Was kann die Politik jetzt tun, was kann jeder Einzelne tun, um eine Ausweitung von Hass, Hetze, Gewalt und Spaltung der Gesellschaft zu verhindern?

Halle zeigt: Menschenfeindliche Einstellungen wachsen wie ein Krebsgeschwür unter der Oberfläche

Es gibt darauf nicht die eine Antwort und nicht den einen Weg. Menschenfeindliche Einstellungen bedrohen unser friedliches Zusammenleben. Sie sind wie ein Krebsgeschwür, das unter der Oberfläche wächst und hin und wieder anhand seiner Symptome erkannt und benannt wird. Wollen wir nicht nur die Symptome, sondern die Ursache bekämpfen, müssen wir dauerhaft noch mehr dagegen tun.

Es braucht ein gut organisiertes Handeln der Sicherheitsbehörden, um Straftaten zu verhindern und eine konsequente Strafverfolgung – im Internet genauso wie auf der Straße oder in der U-Bahn. Straftäter müssen mit aller Durchsetzungskraft und Härte des Rechtsstaates verfolgt und bestraft werden. Dafür sind mehr Anstrengungen als bisher notwendig.

Mindestens genauso wichtig aber ist eine kontinuierliche und verlässliche Präventionsarbeit. Vorbeugen ist besser als Heilen, das sollte nicht nur in der Medizin Leitmotiv sein, sondern auch in dem Bestreben, unsere Demokratie und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bewahren.

Halle muss der letzte Weckruf gewesen sein

Niemand stellt die Krebsvorsorge infrage. Genauso selbstverständlich muss es für uns sein, unsere Demokratie vor Angriffen zu schützen und zu verteidigen. Halle muss dafür der letzte Weckruf gewesen sein.

Und wir fangen nicht bei Null an, sondern wir haben dafür ein europaweit einzigartiges Instrument: Das Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“, mit dem die Bundesregierung seit 2015 Projekte zur Stärkung unserer Demokratie und zur Extremismusbekämpfung unterstützt, angefangen mit 40 Millionen Euro in 2015 mittlerweile mit über 100 Millionen Euro pro Jahr. Eine meiner ersten Amtshandlungen als Ministerin war es, „Demokratie leben!“ zu entfristen und damit ein Ende des Programms 2019 zu verhindern. Das Programm geht nun ab 2020 weiter und zwar mindestens auf dem Niveau wie in diesem Jahr - mit 115 Millionen Euro.

Wie wichtig und notwendig das ist, habe ich bei meinen Besuchen vor Ort erlebt. Ob Chemnitz, Köthen, Dortmund, Ostritz oder Themar – überall habe ich Menschen getroffen, die sich für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben einsetzen, die Dialogveranstaltungen organisieren, Demokratieprojekte an Schulen durchführen, sich gegen Rechtsrockkonzerte stellen oder mit Geflüchteten arbeiten. Und oft haben sie mir erzählt, dass gegen sie persönlich gehetzt wird oder dass sie angegriffen werden, dass Rechtsextreme versuchen, sie in ihrem Engagement zurückzudrängen. Nazischmierereien, Onlinehass, angezündete Autos und Übergriffe sind keine „bedauernswerten Einzelfälle“.

Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz, um Präventionsprojekte längerfristig finanzieren zu können

Aus meiner eigenen Erfahrung als ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin weiß ich, dass es vor allem die Menschen vor Ort sind, die die Dinge konkret zum Besseren wenden und bürgerschaftliches Engagement überhaupt erst initiieren können. Deshalb werden wir die lokalen „Partnerschaften für Demokratie“, die wir mittlerweile in 300 Kommunen in ganz Deutschland fördern, künftig mit mehr Geld ausstatten. Damit unterstützen wir pro Jahr über 4.000 Projekte, die den Zusammenhalt stärken und so wichtige Präventionsarbeit vor Ort leisten. Auch die 16 Landesdemokratiezentren bekommen künftig mehr Geld für mobile Beratung, die Opferberatungen und die Ausstiegsberatung im Bereich Rechtsextremismus. 

Wir werden 14 bundesweite Kompetenzzentren bilden, um bei Rechtsextremismus, Antisemitismus und anderen Formen des Extremismus abgestimmter und mit gebündelter Kraft vorgehen zu können – um den Aktiven vor Ort Hilfestellung und Expertise in ihrer täglichen Arbeit anzubieten. Und wir fördern bundesweite Modellvorhaben, die innovative Ansätze der Demokratieförderung erproben und umsetzen werden. Mehr als 1000 Projektvorschläge sind bei uns eingegangen – eine beeindruckende Zahl. Das überwältigende Interesse stellt uns aber auch vor die große Herausforderung, erfolgversprechende Projekte auszuwählen – und nicht alle guten Ideen fördern zu können. Ein 60-köpfiges Expertenteam aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung hat deshalb alle Projektvorschläge bewertet.

Mit diesem Verfahren ist aber auch das größte Problem der Präventionsarbeit in Deutschland beschrieben: Eine dauerhafte Absicherung nachweislich wirksamer, praxiserprobter Projekte ist in einem Bundesprogramm rechtlich nicht möglich. Projekte einfach nur weiter zu fördern, weil sie gut sind und gebraucht werden, das geht derzeit nicht. Das geht nur mit einer gesetzlichen Grundlage, die die Zivilgesellschaft kontinuierlich stärkt und stabile, verlässliche Strukturen schafft. 

Es ist deshalb Zeit für ein Demokratiefördergesetz - ein Gesetz für eine starke Zivilgesellschaft. Denn bislang können wir engagierte Menschen zwar unterstützen, die Förderung kann sich aber immer nur auf Projekte beziehen. Und Projekte haben nun mal einen Anfang und ein Ende.

Es bedarf einer dauerhaften Finanzierung mit gesetzlicher Grundlage

In anderen Politikbereichen stellen wir uns die Frage der Dauerhaftigkeit staatlicher Unterstützung längst nicht mehr. Der Kinder- und Jugendplan der Bundesregierung ist ein Beispiel dafür. Völlig selbstverständlich fördern wir damit seit Jahrzehnten das Bundesjugendorchester, die Jugendbildungsstätten oder die internationale Jugendbibliothek – weil wir davon überzeugt sind, dass das gut und notwendig ist für unser Land. Das schafft für alle Beteiligten Planungssicherheit und Kontinuität. So etwas brauchen wir auch, um dauerhaft für unsere Demokratie einzutreten und Radikalisierung entgegenzuwirken.

Krebsgeschwüre mit den Namen Rassismus, Extremismus und Menschenfeindlichkeit müssen frühzeitig erkannt  und die richtigen Mittel dagegen eingesetzt werden. Dafür bedarf es einer dauerhaften Finanzierung und einer gesetzlichen Grundlage.  

Warum das nötig ist? Weil Demokratieförderung nichts ist, was man mal macht und dann wieder lässt. Sondern weil Demokratieförderung eine dauerhafte Aufgabe ist, weil sie lebensnotwendig ist für ein demokratisches Land.

Franziska Giffey

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