Flüchtlinge in Heidenau: Willkommensfest friedlich, Rechtsextreme eingekesselt
Versammlungsverbot für Demos wieder in Kraft gesetzt. Sachsens Innenminister Markus Ulbig ist bei Flüchtlingsfest nicht willkommen.
- Antje Sirleschtov
- Albert Funk
- Ingo Salmen
Das vom Landkreis erlassene Versammlungsverbot für die Kleinstadt Heidenau bei Dresden bleibt nach einem Beschluss des sächsischen Oberverwaltungsgerichts in Bautzen teilweise in Kraft. Das Verbot sei nur bezüglich des Willkommensfests der Initiative Dresden Nazifrei für die Bewohner des neu eingerichteten Asylbewerberheims am Freitag ungültig, teilte das Gericht mit. Andere öffentliche Versammlungen sind demnach am Wochenende verboten - entsprechend einer vorherigen Verfügung des Landkreises, der zur Begründung des Verbots einen "polizeilichen Notstand" geltend gemacht hatte.
Nachdem das Verwaltungsgericht Dresden in einer Eilentscheidung das Versammlungsverbot aufgehoben hatte, fand das Willkommensfest am Freitagnachmittag wie geplant statt. Rund 500 Flüchtlinge und Unterstützer feierten auf dem Parkplatz eines benachbarten Baumarktes und einer angrenzenden Wiese. Wie der Grünen-Landesvorsitzende Jürgen Kasek dem Tagesspiegel sagte, seien zwei Lastwagenladungen mit Spenden aus Leipzig, Dresden und Berlin an die Asylsuchenden verteilt worden. Auch Heidenauer hätten Spenden gebracht. Es sei in freundlicher Atmosphäre gespielt und getanzt worden.
Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) bekam davon jedoch nichts mit. Über die Periscope-App teilte Martin Heller, Reporter der "Welt", drei Videos, die zeigen, wie Ulbig vom Gelände förmlich verjagt wird. "Hau ab!", skandieren linke Demonstranten in der ersten Sequenz. Ein Mann ruft: "Was gefällt Ihnen denn hier so gut?" Zu sehen ist, wie Ulbig sich schweigend zurückzieht. Erst auf Nachfrage erklärt er: "Ich kann nur sagen, dass es gut ist, dass das Fest heute hier stattfindet." Eine weitere Frage Hellers, ob der Vorfall keine Niederlage für ihn sei, geht Ulbig nicht mehr ein, sondern steigt in seinen Wagen.
Anders als der Minister herzlich empfangen: der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir. Er hatte am Morgen, als die Aufhebung des polizeilichen Notstands noch nicht absehbar war, bereits angekündigt, in jedem Fall anzureisen. Nun brachte er Kuchen mit. Özdemir begrüßte nach seiner Ankunft die Eilentscheidung des Gerichts. "Es kann keinen Zentimeter in dieser Republik geben, wo Rechtsradikale bestimmen, wo es langgeht", sagte er.
Etwa 150 Rechtsextreme demonstrieren am Platz der Freiheit
Noch ehe das Oberverwaltungsgericht einem Einspruch des Landrats gegen die Aufhebung des Versammlungsverbotes stattgab, versammelten sich am frühen Abend Rechtsextreme unter dem Namen "Bürgerinitiative Heidenau" zu einer Demonstration am gut 20 Fußminuten vom Willkommensfest entfernten Platz der Freiheit. Etwa 150 Teilnehmer hätten sich dort gegen 18 Uhr eingefunden, berichtete Grünen-Politiker Kasek, darunter auch bekannte Figuren der Freitaler Neonazi-Szene oder der Dresdner Pegida-Anwalt Jens Lorek. Die Rechten seien zum Heidenauer Rathaus gezogen, wo sich die Demonstration nach kurzer Zeit aufgelöst habe.
Kasek würdigte die Präsenz der Polizei. Sowohl beim Willkommensfest, als auch bei der Neonazi-Demo hätten Einsatzkräfte in größerer Zahl ein Zeichen für die Sicherheit gesetzt. In gewisser Weise nahm der sächsische Grünen-Vorsitzende auch Innenminister Ulbig in Schutz. "Respekt, dass er überhaupt gekommen ist", sagte Kasek. Nach den rechten Krawallen am Wochenende und dem Ausrufen des polizeilichen Notstands vor dem Willkommensfest sei ein freundlicher Empfang nicht zu erwarten gewesen. "Für viele hat sich das angefühlt wie ein Staatsversagen."
Später am Abend kamen kleinere Gruppen Rechtsextremer auf dem Parkplatz eines Supermarktes zusammen und näherten sich damit sowohl dem Notquartier für die Flüchtlinge, als auch den verbliebenen Gästen des Willkommensfestes. Auf Fotos bei Twitter ist zu sehen, wie die Polizei die Demonstranten einkesselte. Nach dpa-Angaben waren es etwa 100 Rechte. Jeder von ihnen werde einen Platzverweis erhalten, sagte ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden.
Die Einsatzkräfte umstellten die Rechten, von denen viele Bierflaschen in der Hand hielten, mit gut einem Dutzend Polizeifahrzeugen. Einer nach den anderen musste heraustreten und seine Personalien angeben. Zudem wurden sie fotografiert. Ein von der Polizei aufgestellter Lichtmast erhellte die Szenerie. Nach der Personalienfeststellung sollte jeder Einzelne einen persönlichen Platzverweis erhalten. Widerstand gab es nach Beobachtung von Reportern nicht. Übergriffe wurden bis zum späten Abend nicht gemeldet.
Am Freitagmittag hatte das Verwaltungsgericht Dresden das Versammlungsverbot, das für das gesamte Wochenende für das Stadtgebiet von Heidenau südlich von Dresden ausgesprochen worden war, zunächst in Gänze für rechtswidrig und unverhältnismäßig erklärt. Der zuständige Landrat legte daraufhin Beschwerde gegen die Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht in Bautzen ein.
Von dem Verbot waren sowohl ein Willkommensfest für Flüchtlinge, welches das Bündnis „Dresden Nazifrei“ veranstalten wollte, als auch Gegendemonstrationen von Rechtsextremisten betroffen. Letztere hatten am vorigen Wochenende im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Heimwerkermarkt Gewaltaktionen angezettelt und begangen, bei denen mehr als 30 Polizisten verletzt wurden. Auch Linksautonome wendeten Gewalt an.
Diese Aktionen dienten dem Landratsamt des Kreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, sämtliche öffentlichen Versammlungen von Freitag 14 Uhr bis Montagfrüh zu untersagen - mit der hautsächlichen Begründung, es stünden nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung, um Frieden und Ordnung aufrechtzuerhalten. Nach der Gerichtsentscheidung fand das Fest am Nachmittag statt.
Gabriel: Unverständliche Entscheidung
Das Verbot war innerhalb und außerhalb Sachsens heftig kritisiert worden. So sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), er könne verstehen, dass Neonazis angesichts der jüngsten Ausschreitungen keine Versammlung erlaubt werde, aber nicht, warum auch Demokraten betroffen seien, die für einen vernünftigen Umgang mit Flüchtlingen plädierten. “Es gibt keinen Grund, die beiden gleich zu behandeln“, sagte der SPD-Vorsitzende. “Das eine sind zum Teil Gewalttäter und Kriminelle und das andere sind Menschen mit Zivilcourage.“ Der Staat dürfe nicht zurückweichen, sagte Gabriel. “Man kann nicht nach dem Aufstand der Anständigen rufen, wenn es keinen Anstand der Zuständigen gibt.“
Grünen-Chef Cem Özdemir rief dazu auf, das Versammlungsverbot in Heidenau zu ignorieren. Es könne nicht sein, dass Rechtsradikale bestimmte Bereiche in Deutschland übernehmen und die Polizei zurückweicht. Es sei nicht akzeptabel, die Demokratie vier Tage außer Kraft zu setzen, sagte Özdemir, der am Freitagnachmittag in Heidenau erschien. Auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wandte sich gegen das Versammlungsverbot. Es sei "problematisch", sagte Bosbach dem Tagesspiegel, wenn der Staat nicht mehr in der Lage sei, die Bürger bei der Ausübung ihrer Grundrechte zu schützen. Und dazu gehöre das Versammlungsrecht. Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete das Versammlungsverbot als „Kniefall vor dem Mob“ kritisiert. Das Verbot sei keine Bankrotterklärung gewesen, sondern habe der Lageeinschätzung bei Anmeldung der Veranstaltung entsprochen, sagte dagegen Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll.
Bosbach kritisierte allerdings Özdemirs Ankündigung, nach Heidenau zu reisen. Wenn die sächsischen Behörden ein Versammlungsverbot ausgesprochen hätten, sagte Bosbach, dann gebe es dafür hohe Hürden und das Verbot müsse in einem Rechtsstaat beachtetet werden. "Auch Politiker müssen den Rechtsstaat respektieren."
Die breite Kritik hatte bereits vor der Gerichtsentscheidung am Freitag dazu geführt, dass Behörden und Veranstalter des Willkommensfestes sich darauf verständigten, das Fest am Freitagnachmittag als private Veranstaltung auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft stattfinden zu lassen. Damit wäre sie nicht unter das Versammlungsverbot gefallen. Die Veranstalter hätten auf eine politische Demonstration verzichtet, sagte Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU). Was weitere Veranstaltungen angeht, verwies er auf ausstehende Entscheidungen zu dem vom Landkreis erlassenen Versammlungsverbot.
Landratsamt sieht "polizeilichen Notstand"
Das Landratsamt in Pirna hatte nach Besprechungen mit der Polizeidirektion Dresden das Versammlungsverbot am Donnerstag mit mit einem „polizeilichen Notstand“ begründet. „Danach sind die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht in der Lage, der prognostizierten Lageentwicklung gerecht zu werden.“ Das Verbot diene auch der Sicherheit der Anwohner und der Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung. In der Begründung wurde auch darauf verwiesen, dass nicht genügend Polizisten aus anderen Bundesländern verfügbar seien; zudem könnten etwa eingesetzte Wasserwerfer Unbeteiligte gefährden. Das Verwaltungsgericht sah diese Begründung als „offensichtlich rechtswidrig“ an. Der polizeiliche Notstand sei mit dem Verweis auf Ereignisse am vorigen Wochenende nicht hinreichend belegt. Außerdem sei das über das gesamte Wochenende reichende Verbot unverhältnismäßig. So seien für Freitag und Samstag lediglich drei Demonstrationen angemeldet worden. Es sei nicht ersichtlich, warum diese nicht örtlich oder zeitlich getrennt werden könnten, „um ein Aufeinandertreffen der unterschiedlichen politischen Lager zu unterbinden“.
Innenminister Ulbig unter Druck
Das Versammlungsverbot und die Gerichtsentscheidung setzen nun die sächsische Landesregierung zusätzlich unter Druck. Vor allem Innenminister Markus Ulbig (CDU) muss sich Fragen zur Einsatzfähigkeit der sächsischen Polizei stellen. Sollte tatsächlich die Stärke der Polizeikräfte nicht ausreichen, bekämen die Kritiker des Ministers Auftrieb. Die sächsische DGB-Chefin Iris Kloppich forderte am Freitag bereits persönliche Konsequenzen des Ministers. „Offensichtlich hat der Personalabbau bei der Polizei derartige Lücken gerissen, dass nunmehr in ländlichen Regionen bei kritischen Situationen nur noch der Polizei-Notstand erklärt werden kann“, sagte sie.
Hilfe kam dagegen aus Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Sachsen Hilfe der Bundespolizei zu. Der Bund werde alles tun, „um in dem Maße, wie er helfen kann, die sächsische Polizei zu unterstützen“. Der zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) vertritt den benachbarten Bundestagswahlkreis Meißen.
Der Bundesrat begründet seine Forderung, die NPD zu verbieten, jetzt auch mit den Vorkommnissen in Heidenau. In einem zusätzlichen Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht wird vorgetragen, dass die NPD seit 2013 besonders aggressiv gegen Asylbewerber vorgehe. Die rechtsextreme Partei spreche Flüchtlingen die Menschenwürde ab, schüchtere sie ein und wende Gewalt an. Beispiele seien Vorfälle in Dresden im Juli und nun in Heidenau.
Anschläge auf Asylbewerberheime seien eine konsequente Umsetzung der NPD-Ideologie, „eine ausschließlich rassisch definierte Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen. Die NPD schaffe eine Atmosphäre der Angst und halte politisch Andersdenkende durch Drohungen davon ab, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Außerdem schüchtere sie ethnische und religiöse Minderheiten ein. (mit Reuters/dpa/epd)