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SPD-Chef Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel auf dem Weg ins Kanzleramt
© dpa

Koalitionsgipfel: Willkommen im Wahlkampf

Koalitionsgipfel sind immer eine Mixtur aus ernsthafter Arbeit drinnen und Fensterreden später draußen. Diesmal aber lag der Schaufensterfaktor bereits hoch, allein schon wegen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.

Volker Kauder war der Schnellste, dafür klingt Thomas Oppermann schärfer. Bis in die frühen Morgenstunden haben die Spitzen der Koalition im Kanzleramt zusammengesessen. Erst um halb Drei schließt Amtschef Peter Altmaier als Protokollar die letzte Mappe. Keine vier Stunden später geht Kauder im ZDF-Morgenmagazin schon wieder auf Sendung. Im Kampf um Deutungshoheit gilt: Früher ist besser. „Es war der Wille zu spüren, die Fragen zu klären, auch dem Land zu zeigen, dass wir das Land regieren“, sagt der Unionsfraktionschef. Nicht sehr viel später steht sein SPD-Kollege vor dem eigenen Fraktionssaal im Reichstag und setzt leicht Akzente. Ja, man habe ein paar gute Einigungen hinbekommen, aber: „Bei allen Fragen, die mehr Gerechtigkeit betreffen, stoßen wir allerdings jetzt an die ideologischen Grenzen der Union.“

Willkommen im Wahlkampf. Koalitionsgipfel sind immer eine Mixtur aus ernsthafter Arbeit drinnen und Fensterreden über Erfolg und Niederlage später draußen. Aber diesmal lag der Schaufensterfaktor bereits hoch, als die Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD am Mittwochabend zusammenkamen. Allein schon, weil nach einigem Hin und Her Martin Schulz zum ersten Mal dabei war. Über dessen Auftreten ist nachher wenig zu erfahren. Oppermann versichert, der neue SPD-Chef habe zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel die Geschäfte geführt. Bei der Union wurde die Rolle des SPD-Hoffnungsträgers als konstruktiv, wenn auch nicht ganz so zentral wahrgenommen. Aber da mag hier wie da wieder die Wahlkampfbrille den Blick gelenkt haben.

Klar war jedenfalls vorher wie nachher: Bei der Union legen sie Wert darauf, dass die Regierungskoalition bis zum Wahltag weiter regiert. Bei der SPD legen sie mehr Wert auf die Lesart, dass mit dieser Union das Weiterregieren doch langsam sinnlos werde.

Dafür ist in den langen Nachtstunden aber dann noch vieles geregelt worden. Das halbe Kabinett musste antreten, zuletzt Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) – wenn ihre Themen dran sind, holen die Chefs die Fachminister dazu. Wolfgang Schäuble sitzt als Kassenwart sowieso immer dabei.

Mit nach Hause nehmen konnte die Union eine Reihe von Projekten aus dem Feld der Innenpolitik. Die Mindeststrafe für Wohnungseinbruch wird auf ein Jahr verdoppelt, außerdem sollen die Ermittler anhand seiner Handy-Vorratsdaten nachprüfen dürfen, ob ein ertappter Täter auch bei anderen Einbrüchen vor Ort war. Die Strafverschärfung betrifft ausdrücklich aber nur „dauerhaft genutzte Privatwohnungen“ – die Gartenlaube mit Schlafgelegenheit fällt nicht darunter.

Abgesegnet wurde die Einigung der Koalitionsfraktionen über Kinderehen. Verbindungen unter 16jähriger sollen nichtig sein, bei Partnern zwischen 16 und 18 Jahren kann die Ehe aufgehoben werden. Um die Kinder selbst zu schützen, werden sie in jedem Fall auch ohne Ehestatus nicht nachträglich abgeschoben.

Erschwert werden soll zukünftig, dass Ausländer und Flüchtlinge sich als falsche Väter Vorteile verschaffen. Im Zweifel sollen DNA-Tests Klarheit bringen. Das geplante Gesetz hat angesichts von geschätzt einigen hundert Fällen wenig praktische Bedeutung, dafür aber eine wichtige symbolische: CDU und CSU wollen der AfD keine Chance zur Verhetzung bieten, und die SPD stimmt dem stillschweigend gerne zu.

In die gleiche Richtung zielt die Absprache, dass auch Sozialbehörden künftig von Asylbewerbern Fingerabdrücke fordern und sie mit den einschlägigen Datenbanken abgleichen dürfen, wenn sie den Verdacht haben, dass jemand sich Leistungen doppelt erschleichen will.

Kauder nennt die Absprachen einen "schönen Erfolg"

Dazu kommen weitere Absprachen. Beim zeitweise gestoppten Familiennachzug sollen Innenministerium und Auswärtiges Amt eine Härtefallregel für Kinder stärker nutzen. Für Frauen und Kinder in Sammelunterkünften wird ein Schutzkonzept erstellt. Ein Präventionsprogramm gegen Islamismus wird mit 100 Millionen Euro unterlegt. Und auch in der Infrastrukturpolitik sind jetzt Linien klar, im Sinne der SPD: Die neue Bundesfernstraßengesellschaft wird kein Einstieg in die Privatisierung.

Einen „schönen Erfolg“ nennt Unionsmann Kauder das knappe Dutzend einvernehmliche Absprachen. Bei der SPD zeigen sie sich nicht so zufrieden. Ein ganzer Strauß sozialdemokratischer Projekte kam in der Nacht nicht durch – von der „Solidarrente“ über eine weitere Mietrechtsnovelle und eine Vollzeit-Rückkehrgarantie für begrenzte Teilzeit-Arbeit bis zur Grenze für Managergehälter und der „Ehe für alle“. Dass die SPD-Spitze etliche dieser Themen genau zu dem Zweck auf die Tagesordnung gehievt hatte, die Union als Blockierer vorzuführen, wird nicht mal in der SPD selbst geleugnet. Da hat sich der Kandidat Schulz Wahlkampfmunition besorgt.

Ganz so abweisend war die Union aber in Wahrheit gar nicht. Gewiss, bei einigen Themen blieb sie hart. Zur „Ehe für alle“ etwa sagt Kauder: „Das hat die SPD ja schon vorher gewusst, dass wir das nicht machen werden.“ Aber die SPD, merken andere aus der Union spitz an, habe sich für dieses Thema drei Jahre lang selbst nicht interessiert. Jetzt plötzlich damit um die Ecke zu kommen sei sehr durchsichtig. Ähnlich der Fall bei der „Solidarrente“, für die bisher nicht mal ein Gesetzentwurf vorliege.

Bei anderen Streitthemen war das Nein der Union weit weniger eisern. Sowohl bei der Managervergütung als auch beim Teilzeit-Recht signalisierten Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer Kompromissbereitschaft. Man hätte sich sofort darauf einigen können, dass Managergehälter transparent von der Hauptversammlung beschlossen werden, versichern Unionspolitiker – das steht schließlich so im Koalitionsvertrag. Offen sei man darüber hinaus für die Idee, dass die Spitzengehälter in einem vernünftigen Verhältnis zum Lohnniveau in der Belegschaft stehen müssten. „Noch nicht überzeugt“ seien CDU und CSU nur von der SPD-Forderung, die Steuer-Abzugsfähigkeit auf 500.000 Euro zu begrenzen.

Trotzdem sei ein Kompromiss noch vor der Wahl „wünschenswert“, sagt ein Unionsmann. Gleiches gilt für das Teilzeitrecht. Die SPD will Teilzeit-Arbeitnehmern die Vollzeit-Rückkehr garantieren, wenn die Teilzeit von vornherein befristet ist. Die Union hat nichts dagegen, strittig ist aber die Betriebsgröße. Die Union will das Modell erst mal bei Firmen ab 200 Mitarbeitern ausprobieren; die SPD will höchstens Kleinbetriebe unter 15 Beschäftigen ausnehmen. Die Runde gab dem CDU-Mann Altmaier und Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) den Auftrag zu einem letzten Kompromissversuch. Über die Pflegeberufe-Reform sollen die Fraktionen weiter verhandeln. Auch das Verbot von Versandapotheken ist nicht vom Tisch.

Recht stürmisch finden sie es in der Union deshalb, dass Oppermann den ersten Koalitionsausschuss mit Schulz am liebsten gleich auch zum letzten erklären würde. „Wir sehen jetzt ganz klar: Mehr geht nicht“, sagt der SPD-Fraktionschef. Auch das wurde intern anders besprochen: Weitere Gipfel, sagen Teilnehmer, wurden zwar nicht in den Terminkalender geschrieben, aber doch ausdrücklich für möglich erklärt.

Robert Birnbaum

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