Der Fall Möritz in Sachsen-Anhalt: Wieso die CDU mit rechts außen kokettiert
Die sachsen-anhaltische CDU steht laut Selbstverortung rechts von der Bundespartei. Der Weg zu einer Koalition mit der AfD wird bereits geebnet. Ein Gastbeitrag.
Benjamin Höhne ist Mitgründer und stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung und Lehrbeauftragter an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg.
Der Fall des umstrittenen Polizeigewerkschafters Rainer Wendt, der in Magdeburg Innenstaatssekretär werden sollte, ist noch nicht lange her. Nun beschert die Diskussion um das am Freitag aus der CDU ausgetretene Kreisvorstandsmitglied Robert Möritz Sachsen-Anhalt einmal mehr bundesweite Negativschlagzeilen. Beide Fälle liegen ähnlich: Man kokettiert mit rechts außen. Im aktuellen Fall stand sogar ein Rechtsextremismusvorwurf im Raum.
Den rechten Unionsmitgliedern kamen diese Personalien gerade recht, nicht zuletzt als strategische Testballons. Man ließ sie los und wartete ab, was passiert. Wenn es jemals zu einem Bündnis der CDU mit der AfD kommen sollte, dann fällt es nicht vom Himmel. Ein Weg dorthin wird bereits geebnet.
Doch ist die CDU nicht eine Partei mit Maß und Mitte, die christliche Werte hochhält und mit ihrem Verständnis von sozialer Marktwirtschaft auf Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit setzt? Warum war zuletzt so wenig von den Parteimitgliedern zu vernehmen, die Angela Merkels gesellschaftspolitische Öffnung der Union gutheißen und ihr bereitwillig folgten? Und wie kann es sein, dass manch einer von ihnen nun die Sorge hat, die „Brandmauer“ nach rechts könnte in Sachsen-Anhalt brechen?
Weiter rechts als gesamtdeutsche Unionsmitglieder
Um die Gemengelage bei der dortigen CDU zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Befunde einer Befragung von aktiven Parteimitgliedern. Diese wurde vom Institut für Parlamentarismusforschung im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 in der ganzen Bundesrepublik durchgeführt. Die Fragebögen wurden auf zufällig vom Meinungsforschungsinstitut policy matters ausgewählten Versammlungen zur Aufstellung von Wahlbewerbern verteilt. Befragt wurden insgesamt 19.785 Mitglieder aller aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Die Rücklaufquote betrug satte 51 Prozent.
Die Selbstverortung der sachsen-anhaltinischen Unionsmitglieder, die teilgenommen haben, auf der klassischen Links-rechts-Skala lässt aufhorchen: Es zeigt sich nämlich, dass sie im Mittel in der Tat ein Stück weit mehr nach rechts tendieren als das typische Unionsmitglied in Gesamtdeutschland. Die Skala reicht von 1 für ganz links bis 11 für ganz rechts. Wer sich selbst bei einem Wert von 6 sieht, befindet sich genau in der politischen Mitte dieser demoskopischen Messung. Genau dort verortet sich zum Beispiel das typische FDP-Mitglied im Bundesschnitt. Dagegen liegt der Mittelwert aller Befragungsteilnehmer bei der sachsen-anhaltischen Union bei 7,17. Zum Vergleich: Im Bundesschnitt kommen die Unionsmitglieder auf 6,96 und die der AfD auf 7,53 (was zeigt, dass Rechtspopulismus nicht mit Rechtsextremismus gleichzusetzen ist).
Maximaler Abstand zu den Grünen des Landes
Die traditionelle stärkere Orientierung von Unionsmitgliedern in Sachsen-Anhalt nach rechts wurde auch durch andere Ereignisse offenkundig. Es gab gemeinsame Abstimmungen von einzelnen CDU-Landtagsabgeordneten mit der AfD im Magdeburger Landtag. Und hochrangige Unions-Funktionsträger brachten kürzlich erst noch eine „Denkschrift“ in Umlauf, in der dazu aufgefordert wird, das „Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“.
Keine Frage, die Union steht der AfD auf der Links-rechts-Achse viel näher als den beiden Partnern der ungeliebten Kenia-Koalition. Für die Landes-SPD wurde bei der Befragung ein Wert von 3,79 und für die dortigen Bündnisgrünen von 3,12 ermittelt. Die kleinste Regierungspartei weist damit sogar noch ein Stück weit mehr nach links als im Bundesschnitt, wo sie auf 3,50 kommt. Der Abstand von der sachsen-anhaltischen Union zu den dortigen Grünen könnte mit einem Skalenabstand von 4,05 Punkten also entfernter kaum sein. Dies birgt erhebliches Konfliktpotenzial, zum einen für die Dreierkoalition, zum anderen für die CDU selbst.
Seitdem die AfD 2016 mit fast einem Viertel der abgegebenen Wählerstimmen in den Landtag eingezogen ist, ist die CDU unter Druck. Innerparteiliche Zerreißproben sind an der Tagesordnung. Der moderate Mitte-Flügel möchte sich strikt von den Populisten abgrenzen, der rechte Flügel dagegen möchte sich annähern.
Ordnungsrufe können helfen - oder radikalisieren
Welcher Kurs am Ende für die Partei der erfolgversprechendere sein wird, kann niemand sagen. Wie schwer es ihr fällt, eine gemeinsame Richtung zu verfolgen, hat gerade wieder die Causa Möritz gezeigt. Erst stellte man sich reflexartig hinter ihn, dann nach einigem Zögern doch noch der öffentlichen Kritik. Auffällig war dabei auch, wie schnell die Autorität des Führungspersonals an Grenzen gerät.
Jede Entwicklung hat ihre Vorboten. Wirft man einen Blick ins Ausland, sind populistische Parteien – wenn sie es nicht aus eigener Kraft allein geschafft haben – durch Koalitionen mit konservativen Parteien an die Macht gekommen. Es gibt kein stichhaltiges Argument, warum Deutschland von diesem Muster eine Ausnahme sein sollte. Ordnungsrufe aus anderen Parteien an die CDU, sich nicht auf den Rechtspopulismus zuzubewegen, haben sicherlich einige mäßigende Wirkung. Sie können aber in den Kreisen nach hinten losgehen, die in einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD kein Problem, sondern eher einen Mehrwert ausmachen. Nicht Verteufelung des Populismus, sondern sachliche Auseinandersetzungen mit seinen Argumenten und Methoden sowie entschiedene Abgrenzungen gegen jeglichen Extremismus sind das Gebot der Stunde.
Benjamin Höhne