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Kinder aus einer Kindertagesstätte in Ilmenau experimentieren mit der Tragfähigkeit von Wasser. Zahlreiche Politiker fordern, frei gewordene Mittel in den Ausbau der Kitas zu stecken.
© dpa

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Wieso das Betreuungsgeld verfassungswidrig ist

Das umstrittene Betreuungsgeld ist Geschichte - jedenfalls in seiner jetzigen Form. Das Bundesverfassungsgericht hat das entsprechende Gesetz für nichtig erklärt. Lesen Sie hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zur kontroversen Sozialleistung.

Wer bekommt Betreuungsgeld?
Mittlerweile fast eine halbe Million Eltern in Deutschland. Gezahlt wird es aus Bundesmitteln an Eltern, die ihr Kleinkind nicht in eine staatlich geförderte Betreuungseinrichtung geben. Sie erhalten vom 15. bis 36. Lebensmonat des Kindes 150 Euro pro Monat. Die Leistung wurde vor zwei Jahren zusammen mit dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt. Im ersten Halbjahr gab es zunächst 100 Euro monatlich. In rund 95 Prozent der Familien beantragen die Mütter Betreuungsgeld.

Warum ist das Betreuungsgeld so umstritten?

Es gilt als Herzensanliegen der CSU, der vorgeworfen wird, damit ein überkommenes Rollenmodell festigen zu wollen: Der Mann geht zur Arbeit, die Mutter kümmert sich zu Hause um den Nachwuchs. Die Kritiker monieren, dass die Geldleistung einen Anreiz setze, Kinder von frühkindlicher Bildung fernzuhalten. Auf diese Form der Förderung seien insbesondere Kinder aus Einwandererfamilien und sozial schwachen Familien angewiesen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts und der Uni Dortmund bestätigte im vergangenen Jahr dieses Argument.

Ein grundsätzlicher Einwand lautet, es sei unsinnig, Bürgern dafür Geld zu zahlen, dass sie eine staatliche Leistung wie die Kinderbetreuung nicht in Anspruch nehmen. Es hätten ja auch jene Bürger keinen Anspruch auf ausgleichende Geldleistungen, die zum Beispiel öffentliche Schwimmbäder nicht nutzen.

Anders als die CSU fordert die SPD, mehr Geld in den Kitaausbau zu investieren, um es insbesondere Frauen zu ermöglichen, am Erwerbsleben teilzuhaben. Im CSU-regierten Bayern werden die Betreuungsgeld-Anträge fertig ausgefüllt mit der Geburt des Kindes nach Hause geschickt.

Warum wurde die umstrittene Leistung trotzdem in Gesetzesform gegossen?

Union und SPD hatten schon in ihrem Koalitionsvertrag 2005 die Prüfung eines Betreuungsgeldes vereinbart – als Gegenleistung dafür, dass die CSU dem Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung zustimmte. Die schwarz-gelbe Koalition beschloss die Leistung dann trotz massiver Bedenken der FDP Ende 2012. Auch in der CDU gab es Vorbehalte gegen das Betreuungsgeld, doch CSU-Chef Horst Seehofer drohte mit dem Platzen der Koalition für den Fall, dass die von seiner Partei gewünschte Leistung gekippt würde.

Warum ist das Betreuungsgeld verfassungswidrig?
Der Bund durfte die zugrunde liegenden Regelungen nicht erlassen. Ihm fehlte die Gesetzgebungskompetenz. Das Karlsruher Urteil beruht also allein auf formellen Erwägungen. Zum Inhalt des Gesetzes, den materiellen Fragen, sind die Richter nicht vorgedrungen.

Wer hat gegen das Gesetz geklagt?
Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens war es öfter Thema, ob die Regeln gegen das Grundgesetz verstoßen. Sogar Bundespräsident Joachim Gauck ließ bei der Ausfertigung des Gesetzes verkünden, er habe tief greifende Zweifel. Allerdings kreiste die öffentliche Diskussion weniger um Kompetenzfragen als eine mögliche Diskriminierung, weil Frauen durch das Betreuungsgeld von ihren Jobs ferngehalten würden. Geklagt hat dann schließlich Hamburg in einem Verfahren der so genannten abstrakten Normenkontrolle.

Warum war der Bund nicht zuständig?
Die Regierung hatte ihr Vorhaben auf Artikel 74 des Grundgesetzes gestützt, wonach die „öffentliche Fürsorge“ zur so genannten konkurrierenden Gesetzgebung gehört, in der sowohl Bund wie Länder tätig werden können. „Öffentliche Fürsorge“ dürfe dabei aber nicht allzu eng ausgelegt werden, entschieden jetzt die Richter. Es gehe nicht nur um echte Notlagen, sondern auch um Situationen „zumindest potenzieller Bedürftigkeit“, etwa in Lebenssituationen, die mit besonderen Belastungen verbunden seien, wozu das Kinderkriegen zähle. Allerdings gehört die Fürsorge zu einer Reihe von Gesetzgebungsmaterien, bei denen der Bund nur unter bestimmten Voraussetzungen aktiv werden darf.

Welche Voraussetzungen sind das?
Der Bund hat das Gesetzgebungsrecht nur dann, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Diese „Erforderlichkeitsklausel“ ist strenger als die früher geltende „Bedürfnisklausel“. Der Bund braucht handfeste Gründe, weshalb er den Ländern ihre Regelungshoheit streitig macht.

Sind diese Voraussetzungen beim Elterngeld erfüllt?
Nein. Es scheitert schon an an dem Erfordernis der gleichwertigen Lebensverhältnisse. Denn dies ist laut Verfassungsgericht nur dann der Fall, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern „in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt hätten“ oder sich eine derartige Entwicklung abzeichne. Das bloße Ziel, einheitliche Regelungen oder bessere Lebensverhältnisse zu erreichen, genüge dafür nicht. Im Klartext: Gute Absichten reichen nicht. Das Betreuungsgeld sei nicht darauf angelegt, echte Nachteile auszugleichen. Die öffentlich geförderte Kinderbetreuung stehe allen Eltern offen, „ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste“. Allein der gesellschaftliche Wunsch nach „Wahlfreiheit“ würde ein Bundesgesetz noch nicht gleich im Sinne des Grundgesetzes „erforderlich“ machen.

Wie ist es bei der „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“?
Auch hier gilt: Nicht erforderlich. Allein schon deshalb, weil es in einzelnen Bundesländern ein Betreuungsgeld gibt, das mit dem Bundes-Betreuungsgeld nicht abgeschafft werde. Auch lassen die Richter den Vergleich mit einer anderen Familienleistung nicht zu, dem Elterngeld. Das Elterngeld fördere die Beteiligung von Eltern am Arbeitsleben und sei damit ein „Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfaktor“; dem Betreuungsgeld fehle diese Funktion. „Insbesondere ist es weder dazu bestimmt noch ist es angesichts seiner Höhe dazu geeignet, eine private, nicht öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu finanzieren.“

Was passiert mit den bisher ausgestellten Zahlungsbescheiden?
Sie behalten grundsätzlich ihre Gültigkeit, obwohl die ihnen zugrunde liegende Regelung wegfällt. Ob es zur Auszahlung kommt, liegt in der Hand von Bund und Verwaltung. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) gehört zu den Kritikern der Leistung, will aber trotzdem nach einer Lösung suchen, damit jene Familien, die die Leistung bisher nutzen, dies auch weiter tun können.

Belastet der Konflikt um die Leistung die große Koalition?

Streit ist zu erwarten, eine Koalitionskrise aber eher nicht. Dazu ist die juristische Niederlage des CSU-Lieblingsprojekts zu deutlich. Die SPD lehnt die Forderung nach Bundesmitteln für ein Betreuungsgeld der Länder kategorisch ab. SPD-Landesregierungen wollen die Leistung in eigener Regie nicht einführen. Laut Schwesig wollen die Regierungsfraktionen am 13. August darüber beraten, wie es weitergeht. Offen ist allerdings, ob die CSU dann der Umwidmung der frei werdenden Mittel für andere Familienleistungen zustimmen wird.

Jost Müller-Neuhof, Hans Monath

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