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Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in einem Kampfpanzer (Archivbild vom 14. Februar 2022)
© Imago/Sven Eckelkamp

Umstrittenes Sondervermögen: Wie werden die 100 Milliarden für die Bundeswehr genutzt?

Die Ampel will mehr Schulden machen, um stärker in die Sicherheit investieren zu können. Aber das Wie ist umstritten. Die Zeit drängt – die Union auch.

Hinter den Kulissen geht es in der Ampel-Koalition heftig zur Sache. Wie das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag angekündigte Sondervermögen für die Bundeswehr gestaltet werden soll, wie die 100 Milliarden Euro an neuen Krediten konkret genutzt werden, die in diesen Nebenhaushalt fließen sollen, wie das von Scholz postulierte Ziel erreicht werden kann, schon zügig die so genannte Nato-Quote zu erfüllen – alles umstritten zwischen SPD, Grünen und FDP.

Und dann kommt noch die Union hinzu, die ebenfalls mitstreiten darf. Denn der Kanzler und Finanzminister Christian Lindner (FDP) möchten das Sondervermögen im Grundgesetz verankern – wozu es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag bedarf, für die man die CDU/CSU- Fraktion braucht. Wie es heißt, ist der Artikel 87a, der sich auf die Bundeswehr bezieht, für die Ergänzung vorgesehen.

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Vor allem die Grünen sind noch nicht überzeugt von dem Vorgehen, das sich Scholz und Lindner ausgedacht haben. Sie akzeptieren das Sondervermögen zwar. Aber ob es allein für militärische Beschaffungen genutzt wird, ist aus ihrer Sicht offen. Sie möchten auch "weichere" Maßnahmen damit bezahlen - unter dem Schlagwort, der Sicherheitsbegriff dürfe nicht verengt werden.

Es geht um Waffen - aber nicht allein

"Investitionen in die militärische Verteidigung müssen eine Entsprechung im Zivilschutz finden, der massiv gestärkt werden muss", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, am Freitag. „Darüber hinaus muss auch die Energieversorgung, Entwicklungszusammenarbeit sowie humanitäre Hilfe scharf in den Blick genommen werden.“ Notwendig sei zudem, die Vorsorge zum Schutz der Bevölkerung und der kritischen Infrastruktur, etwa der Energieversorgung, auszubauen. Will heißen: Die Grünen möchten, dass aus dem Sondertopf auch solche Ausgaben finanziert werden – oder im normalen Etat dafür mehr zur Verfügung gestellt wird.

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Aber vor allem, das ist trotz der grünen Bedenken klar, wird das Sondervermögen für militärische Beschaffungen genutzt. Scholz selbst nannte den US-Kampfjet F35 und neue Drohnen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) muss derzeit Vorrangvorhaben sammeln. Denn neben der Grundgesetzänderung muss die Koalition auch bald schon ein Ausführungsgesetz zum Sondervermögen samt einem Wirtschaftsplan vorlegen, in dem konkrete Ausgabenprojekte benannt sein müssen.

Unabhängiger Nebenhaushalt

Im Gespräch ist offenbar auch, dem Sondervermögen eine eigene Kreditermächtigung zu geben. Es wäre unabhängiger vom Bundeshaushalt und rechtlich selbständiger als etwa der Energie- und Klimafonds, das zweite große Sondervermögen, mit dem die Ampel vor allem Investitionen in den Klimaschutz finanzieren will.

Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner ziehen an einem Strang. Die Grünen von Außenministerin Annalena Baerbock haben noch Probleme mit den höheren Mitteln für das Militär.
Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner ziehen an einem Strang. Die Grünen von Außenministerin Annalena Baerbock haben noch Probleme mit den höheren Mitteln für das Militär.
© Michele Tantussi/Reuters/Pool

Die Nato-Quote soll schon zügig erreicht sein. Die Partner im Verteidigungsbündnis haben vereinbart, jedes Jahr eine Summe in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Wehretats zu stecken. Deutschland erfüllt das bisher nicht. Im Etatentwurf für 2022, der am 16. März im Kabinett beschlossen werden soll, stehen bisher etwa 50 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Das wären etwa 1,5 Prozent des BIP. Das Zwei-Prozent-Ziel wäre somit mit zusätzlich 17 Milliarden Euro erreicht. In den kommenden Jahren müssten es dann schon 20 Milliarden und mehr sein, zumal Scholz eine Übererfüllung der Nato-Quote in Aussicht gestellt hat. Zum Vergleich: Vor 1990 lagen die Verteidigungsausgaben des Bundes regelmäßig weit über der Zwei-Prozent-Marke.

Nato-Quote soll übererfüllt werden

Wie will die Koalition das Ziel erreichen? Zunächst soll teilweise Geld aus dem Sondervermögen verwendet werden, um den Aufwuchs Richtung Nato-Quote zu finanzieren. Zuletzt waren etwa acht Milliarden Euro im Wehretat für Beschaffungen vorgesehen, diese könnten nun über Kredite aus dem Sondervermögen bezahlt werden. Nach Informationen des Tagesspiegels plant die Koalition allerdings nicht, in jedem Jahr exakt bei zwei Prozent zu landen – es könnten auch einmal weniger und dann wieder mehr sein, heißt es, abhängig von den Umständen der Beschaffungen. Militärische Großprojekte haben häufiger Tücken bei der Planung und Umsetzung. Spätestens mit dem Auslaufen des Sondervermögens in einigen Jahren müsse gesichert sein, dass die Nato-Quote über die normalen Einnahmen abgedeckt werde, ist zu hören.

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Auch will die Koalition für die neuen Schulden einen Tilgungsplan vorlegen. Das müsste sie nicht, weil bisher geplant ist, das Sondervermögen an der Schuldenbremse im Grundgesetz vorbei einzurichten. Würde die Notfallklausel der Schuldenregel genutzt, wäre die Tilgung dieser Kredite Pflicht (sonst werden Anleihen nach Ablauf immer wieder durch neue Kredite refinanziert). Es klingt wie ein Entgegenkommen an die Union. Die will das Sondervermögen und die Grundgesetzänderung mittragen, wie CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Freitag nochmals bestätigte. Die Mittel dürften aber nicht für „abweichende, sachfremde Investitionen“ genutzt werden, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Das wiederum klingt wie eine Absage an die Grünen. Es sei denn, in dieser sehr großen Koalition – Ampel plus Schwarz – wird doch ein etwas weiterer Sicherheitsbegriff als Grundlage für die Ausgaben des Sondervermögens gewählt. Jedenfalls drängt die Zeit. Spätestens in anderthalb Wochen will die Koalition einen Beschluss fassen. Beim Entlastungspaket dauerte die Einigung zuletzt deutlich länger.

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