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Für dieses SPD-Wahlplakat (links) wurde Scholz leicht von unten fotografiert. Das lässt ihn staatsmännischer wirken.
© Kay Nietfeld/dpa

Riesige Hände und schräge Volkslieder: Wie Werbeagenturen die Parteien zur Wahl inszenieren

Im Wahlkampf wird Politik auf knappe Botschaften heruntergebrochen und zu einem Lebensgefühl stilisiert. Welche Parteien machen das besonders erfolgreich?

Olaf Scholz erkennt man schon von Weitem. Um ihn herum ist alles signalrot und er sieht ziemlich zuversichtlich aus, so wie er da von dem Wahlplakat auf die Straße schaut. Allerdings ist sein Gesicht gar nicht das, was man zuerst bemerkt. Vielmehr bleibt der Blick an seinen Händen hängen. Die wirken riesig. Richtig große Pranken, mit denen er einen Briefwahlumschlag in die Kamera hält.

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„Die Fotos der SPD-Wahlkampagne wurden mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen. Dadurch entsteht der prägnante dreidimensionale Effekt, der sich durch die gesamte Kampagne zieht“, sagt Raphael Brinkert. Er ist der Kampagnen-Manager von Olaf Scholz. Sein Job ist es, politische Inhalte so umzusetzen, dass daraus ein Lebensgefühl wird, dass Menschen wählen wollen.

Entweder, weil ihnen eine Vision von Deutschland präsentiert wird, mit der sie sich identifizieren. Oder weil ihnen ein Repräsentant vorgestellt wird, von dem sie den Eindruck haben, dass er ihre Belange vertritt.

Natürlich entscheiden letztlich die Parteien, worauf sie im Wahlkampf setzen, traditionell ist der Generalsekretär verantwortlich. Aber die Agenturen können Kreativität fördern oder Einfältigkeit manifestieren. Und so ist gerade auf fast allen Straßen der Bundesrepublik zu betrachten, welches Verständnis die Parteien von Ästhetik und schnell-zugänglichen Wahlversprechen haben. Und wie kompetent ihre Berater sind.

Raphael Brinkert, der Scholz am vergangenen Sonntag zum Triell begleitet hatte, ist ein politischer Seitenwechsler. 2019 war er an der Kampagne der CDU zur Europawahl beteiligt. Damals selbst noch als Christdemokrat, jetzt ist er Sozi. Ausschlaggebend für seinen Unions-Austritt war die Kemmerich-Wahl 2020 in Thüringen, als ein FDP-Politiker auch mit den Stimmen von CDU und AFD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, erzählt er auf Nachfrage.

Ausschlaggebend für die SPD nach einem neuen Werber zu suchen, war wohl der völlig vermasselte Wahlkampf von Martin Schulz bei der vergangenen Bundestagswahl.

„Kommunikationsstrategisch war das ein ziemlich mutiger Schritt.“

Scholz scheint jedenfalls nicht schlecht beraten zu sein, vielleicht hilft ihm die christdemokratische Vergangenheit seines Kampagnen-Managers sogar. Kommunikationswissenschaftlerin Stephanie Geise sagt: „Diese Bundestagswahl ist allein schon deshalb besonders, weil kein Kandidat den Kanzlerbonus hat.“

Geise glaubt, dass die Kampagne der SPD, die ihren Kandidaten von Beginn an in den Mittelpunkt gestellt hat, genau dazu führte, dass er dann doch den Amtsbonus erhalten habe. Als Vizekanzler. „Kommunikationsstrategisch war das ein ziemlich mutiger Schritt.“

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Matthias Storath, Geschäftsführer der Werbeagentur „Heimat Berlin“ war bei der vergangenen Bundestagswahl 2017 ähnliches geglückt. Auch er hatte auf eine Personalisierung gesetzt. In dem Fall auf die Lindner-Show. Er konzipierte eine peppige Rund-um-Erneuerung für eine Partei, die davor an der Fünfprozenthürde gescheitert war.

Dazu gehörten schwarz-weiß Fotos vom Parteichef in weißem Oberhemd und mit gegelten Haaren. „Ungefiltert. Ungefotoshopped“, nennt Storath seine Wahlplakat-Ästhetik. Lindner sollte sich so von den „perfekt geschminkten und digital bearbeiteten Gesichtern“ abgrenzen, die man sonst aus der politischen Kommunikation kenne. „Wir setzen auf einen langfristigen Markenansatz“, sagt Storath.

Christian Lindner ist in diesem Wahlkampf mehr der Denker

Kommunikationsexpertin Geise findet das sinnvoll. Das hätten bislang viele Parteien verpasst, über verschiedene Wahlkämpfe hinweg, an der Etablierung einer Identität zu arbeiten, sagt sie. „Auf den ersten Blick sind die FDP-Wahlplakate in diesem Jahr wieder ähnlich wie 2017. Ich finde aber, dass Lindner im letzten Wahlkampf sehr viel frecher rüberkam.“ Da war er eher als „junger, dynamischer Herausforderer“ aufgetreten.

In diesem Wahlkampf ist Lindner auf zahlreichen Plakaten am Schreibtisch sitzend abgebildet. Um ihn herum herrscht Dunkelheit, bloß eine Lampe spendet etwas Licht. Alle schlafen, nur Lindner arbeitet, soll das wohl heißen. Ob es der Partei hilft, ein zweites Mal hintereinander zweistellig in den Bundestag einzuziehen, wird sich zeigen. Es wäre jedenfalls historisch.

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Eine Kampagne, die weit weniger auffällt, ist die von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Er und die Union werden von der Werbeagentur „Serviceplan“ beraten, die unter anderem auch die Vermarktung des Lebensmitteldiscounters Penny betreut. „Es wurde zwar versucht, Laschet in den Vordergrund zu rücken, aber man war dabei nicht sehr mutig“, analysiert Geise.

Man müsse bei Wahlkampagnen immer bedenken, dass sie nicht im luftleeren Raum stattfinden. Erhoffte Wirkungen, können je nach Ablauf des Wahlkampfes völlig torpediert werden.

Manchmal kann die Kampagne auch nichts mehr retten

Auch bei Laschet haben sich die Fehler der vergangenen Wochen wohl eher kontraproduktiv auf die Rezeption seiner Kampagne ausgeübt. Auf den CDU-Plakaten wird eine ganze Themenpalette präsentiert: Familienleben, Beruf, der Kanzlerkandidat selber. Die Fotos sind jeweils von einem Kreis aus Deutschlandfarben umgeben. „Das ist eigentlich ein ganz originelles Element“, sagt Geise.

Das Problem sei nur: es fokussiere den Blick auf einen Kandidaten, der sehr viele handwerkliche Fehler gemacht habe und viele verschiedene andere Themen, die unsortiert daher kämen. „Das funktioniert so nicht.“

Obwohl dieser Wahlkampf so digital ist, wie keiner zuvor, bleiben Wahlplakate die wichtigste Werbung. Eine Forsa-Erhebung hat ergeben, dass 56 Prozent der Befragten angaben, über Plakate von Parteien und deren Kandidat:innen zu erfahren. Dicht gefolgt von Wahlspots im Fernsehen (48 Prozent). Mehrfachnennungen waren möglich.

Die Grünen haben mit ihrem Clip für besonders viel Aufmerksamkeit gesorgt. Darin wird das Volkslied von 1840 „Kein schöner Land“ zu „Ein schöner Land“ und so umgedichtet, dass kuriose Zeilen entstanden wie: „Anschluss an Straße, Bus und Bahn / Und natürlich auch W-Lan“. Weil das Versmaß so ungelenk ist, entsteht ein schiefer Gesang, der von zahlreichen Menschen, die wohl verschiedene Milieus repräsentieren sollen, vorgetragen wird.

Konzipiert hatte den Clip die eigens von der Partei gegründete Agentur Neues Tor 1, die auch ansonsten für die Wahlkampagne zuständig ist.

„Grundsätzlich ist die Idee von dem Spot gar nicht blöd“, sagt Geise. Das Problem sei eher der Zeitpunkt: Kurz nach der Flutkatastrophe einen Spot auszustrahlen, der „Happy-Family und Bullerbü“ signalisiere, sei ein komisches Signal. Dazu käme die satirische Anmutung, der Spott geradezu provoziere. Wenn im Wahlkampf alles reibungslos liefe, könne so ein Clip einer Kandidatin nicht viel antun. Wenn diese jedoch ohnehin misstrauisch beäugt werde, dann sei so ein Video Wasser auf die Mühlen der Gegner.

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