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Der Druck vor dem Tor der Stasi-Zentrale in Lichtenberg wurde an jenem 15. Januar 1990 immer größer.
© dpa

Das Ende der Stasi vor 25 Jahren: Wie von Geisterhand ging das Tor auf

Ein Vierteljahrhundert nach der Besetzung der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg blühen noch immer die Mythen: War es ein abgekartetes Spiel? Sind die Bürgerrechtler verschaukelt worden? Fest steht: Die Stasi wurde nicht gestürmt - es war eine Art Teilkapitulation.

Es blühen die Mythen. Das Phänomen ist bekannt: Je ferner die Zeiten, je desto größer die Helden, umso farbiger die Mythen. Fünfundzwanzig Jahre danach geht es nach immer um das Ende der Staatssicherheit. Die einen schildern es als eine einzige Intrige, die vom letzten DDR-Ministerpräsidenten als Ablenkungsmanöver inszeniert worden sei. Die Stasibesetzungen hätten die Bürger davon abhalten sollen, gegen die SED vorzugehen. Und die Stasi habe willig mitgespielt, um die Aktivisten in Sicherheit zu wiegen, damit Mielkes Leute weiter Akten vernichten konnten. Die Bürgerbewegten seien zu dumm gewesen, das Spiel zu durchschauen und seien im Übrigen von Stasi-Spitzeln durchsetzt gewesen.

Die Gegensaga geht einfacher, etwa so, wie bei Asterix und Obelix, wenn diese die römischen Legionen aufmischen: Das Neue Forum um Bärbel Bohley rief zu Demo, Zehntausende kamen und stürmten am 15. Januar 1990 das Ministerium in Berlin-Lichtenberg. „Wie durch Geisterhand“ sei das Tor in der Normannenstraße aufgegangen. Das war‘s. 

Dabei gibt es doch heute schriftliche Quellen, Zeitzeugen können befragt werden, Narrative müssen nicht auf Stammtischniveau verharren. Die Geister zum Beispiel, die das Tor aufmachten, haben einen Namen. Sie heißen Martin Montag und Konrad Taut und waren Mitglieder von Bürgerkomitees aus der südlichen DDR. Diesen hatte das MfS schon gegen 16 Uhr das Zepter übergeben. Die beiden ließen das Tor von der Volkspolizei aufmachen, als die Demonstranten eintrafen und sich vor dem Tor drängelten. Die Volkspolizei bewachte das Gelände laut Regierungsbeschluss schon seit dem Vortag. Es gab eine Art Doppelherrschaft auf dem Gelände. Schon zwei Stunden, bevor die Demonstranten kamen, war es Schluss mit der Stasiherrschaft. Die Stasi wurde nicht besetzt, es war eine Art Teilkapitulation. Wie es dazu kam, ist schon schwieriger zu beantworten.

Im Dezember hatten Bürger überall in der DDR Stasigebäude besetzt, nur nicht die Berliner Zentrale. Auch in der Provinz arbeiteten manche Dienststellen eingeschränkt weiter, trafen IM, schreiben Rapporte und vernichteten Akten. Das empörte viele Bürger. Sie wollten der letzten Bastion der Stasi den Garaus machen. Es gab Streik, sogar Generalstreikdrohungen vor allem aus dem Süden der DDR. Im alten DDR-Parlament, der Volkskammer, drohten selbst die Altparteien, Ministerpräsident Hans Modrow die Zusammenarbeit aufzukündigen. Am 11. Februar ging Modrow mit dem Willen ins Parlament, die Stasi reformiert als Verfassungsschutz weiterzuführen. Als er am nächsten Tag wieder rauskam, hatte er seinen Plan fallen lassen müssen. So war das mit den großen Plänen damals. Das Neue Forum mobilisierte zur Demo, die Stasizentrale sollte zugemauert werden. Der runde Tisch drängte auf Auflösung, ohne präzise Beschlüsse zu fassen. Jeden Tag war eine neue Situation.

Die DDR-Bürgerkomitees, die sich in den besetzten Stasigebäuden gebildet hatten, kamen am 12. nach Berlin und beschlossen, die Berliner Zentrale lahm zu legen. Am 15. Kündigten sie das am runden Tisch an, vor laufenden Fernsehkameras, am Nachmittag war eine Delegation auf dem Gelände. Im Protokoll liest es sich grotesk. Der Regierungsvertreter flehte die Bürgerkomitees geradezu an, die Macht zu übernehmen.

Sicherheitspartnerschaft hieß das Zauberwort. Hier setzen die an, die alles als eine Intrige sehen. Mittels Sicherheitspartnerschaft habe man die Bürgerkomitees eingelullt, nach einem Plan seien einige gezielt nach Berlin gelockt, in Stasiluxusunterkünften untergebracht, von inoffiziellen Stasimitarbeitern in den eigenen Reihen manipuliert worden. Spannende Geschichte! Aber wo ist der Plan? Dass die Bürgerkomitees Stasi-Ressourcen nutzten, in diesem Fall das Sporthotel von Dynamo, war üblich, und wer konkret die IM gewesen sein sollten, bleibt im Nebel.

Es ist sicher zutreffend, das Modrow mit Hilfe von Sicherheitspartnerschaften die revoltierenden Bürger in Verantwortung nehmen wollte. Er wollte sie unterhaken - Regierung und nationale Bürgerbewegung Hand in Hand. Das Konzept war von der Perestroika abgekupfert, wo die Partei zusammen mit gesellschaftlichen Organisationen die Gesellschaft reformieren wollte. Aber wie die Perestroika schiefging, wurde auch Modrow zurückgedrängt, das Volk ging letztlich über ihn hinweg.

Richtig ist allerdings, dass die Stasi-Generäle die Kompromissbereitschaft der Bürgerkomitees missbrauchten, um auch nach dem 15. Januar weiter Akten zu vernichten. Bürger, die von heute auf morgen politische Funktionen inne hatten, Bürgerrechtlicher, die in kuscheligen Basisgruppen und nicht in Machtapparaten Politik eingeübt hatten, wurden oft geleimt. Heute wissen das die meisten. 

Es wurden aus heutiger Sicht mehr Akten zerstört, als dem Historiker lieb sein kann.  Aber das war damals nicht der Maßstab. Sicherheitspartnerschaft war ein Kompromiss, den auch radikale wie verantwortungsbewusste Bürgerrechtler bewusst eingingen, damit alles friedlich blieb. Angesichts vieler Revolutionen, wo das anders lief, kein Fakt, über den man leichtfertig hinweggehen sollte. Die heutige Schlacht um die Schlacht von damals geht denn auch nur vordergründig um die historische Wahrheit. Es ist in Wirklichkeit die Schlacht um die Zukunft der Immobilie an der Normannenstraße. Ist sie auch ein Ort der Emanzipation oder nur ein Ort der Kabale? Doch wer andere immer mahnt, endlich die Geschichte aufzuarbeiten, sollte mit der eigenen Geschichte sorgfältig umgehen. Sonst machen sich die Aufarbeiter selbst entbehrlich.

Der Autor ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stasiunterlagenbehörde.

Christian Booß

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