Terror und Sicherheit: Wie von der Leyen Bundeswehreinsätze im Inneren ermöglichen will
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat beim Amoklauf von München die Bundeswehr mobilisiert und verfolgt das Projekt mit gezielten Provokationen. Ein Kommentar.
Eines muss man Ursula von der Leyen lassen: Wenn sie etwas will, ist sie sich für keine Provokation zu schade. Der Schock über den zunächst als Terrorakt vermuteten Amoklauf von München war noch frisch, da ließ die Verteidigungsministerin wissen, dass sie die Bundeswehr mobilisiert hatte.
Die Trauerfeier für die Opfer ist kaum vorbei, da treibt sie das Projekt weiter. Unter dem Eindruck des Schreckens soll der Bundeswehreinsatz im Inneren schleichend normal erscheinen.
Der Vorgang hat eine lange Vorgeschichte. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center wollte die Bundesregierung Kampfpiloten den Abschluss entführter Passagierflugzeuge erlauben. Das Bundesverfassungsgericht verbot das 2006 als unvereinbar mit der Menschenwürde: Der Staat dürfe Leben nicht gegen Leben aufrechnen.
2012 hob der Große Senat des Gerichts nicht den Kern, aber einen Teil dieses Urteils wieder auf. Seither steht fest, dass Bund und Länder die Bundeswehr mitsamt ihren Waffen in Terror-Krisen zur Hilfspolizei machen dürfen. Allerdings hat das Gericht die Hürden sehr hoch gelegt. Hinter der Karlsruher Formel von einer „ungewöhnlichen Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“ steckt ausdrücklich eine dem Staatsnotstand vergleichbare Lage.
Selbst beim Staatsnotstand, bei bewaffneten Revolten, dürfte die Politik die Armee nicht schon dann abkommandieren, wenn die Polizei bloß überfordert ist, sondern erst, wenn der Untergang der Demokratie und des Staats selber droht. Diese juristische Sicht hat freilich zwei Nachteile: Dem normalen Menschenverstand ist sie schwer vermittelbar, und moralische Dilemmata löst sie nicht auf.
Schon Leyens Vorgänger von Peter Struck bis Thomas de Maizière waren entschlossen, den Passagierjet doch abschießen zu lassen, den ein Terrorist auf eine Großstadt zusteuert. Sie wären dafür notfalls ins Gefängnis gegangen. Man kann diese Haltung heroisch finden.
Die Verfassung lässt sich nicht ersatzweise in Scheibchen ändern
Leyen versucht den Menschenverstand allerdings auf einer viel niedrigeren Ebene gegen die Karlsruher Maßstäbe in Stellung zu bringen. In München hat sie Militärpolizei und Sanitäter mobilisiert – in der richtigen Annahme, dass sich keiner groß darüber aufregt. Wer gibt schon gern den Dogmatiker, wo es um Leben und Tod geht?
Ähnlich verhält es sich mit den Übungen, bei denen Polizei und Militärs die Zusammenarbeit proben sollen: Wer will etwas dagegen sagen, dass man sich für alle Fälle vorbereitet? Im neuen Weißbuch definiert die Bundesregierung schließlich Terror-„Großlagen“ als einen möglichen Katastrophenfall.
Erlaubt ist beides, provozieren wie üben. Gespannt sein darf man allerdings auf das Szenario der Übung. In München wäre der Einsatz von Soldaten – dem übrigens vorher das gesamte Kabinett zustimmen müsste – wohl selbst im schlimmsten dort denkbaren Fall ein Verfassungsbruch geworden.
Wer das falsch findet, muss das Grundgesetz ändern. In der Abschussfrage sind die Karlsruher Schranken unüberwindbar, an diesem Punkt nicht. Was fehlt, ist eine Mehrheit. Aber die Verfassung lässt sich nicht ersatzweise in Scheibchen ändern. Und provozieren lässt sie sich auch nicht. Nicht mal von Ursula von der Leyen.