Artenschutz: Wie viele müssen noch sterben?
In China ist Elfenbein der letzte Schrei, in Vietnam wollen alle Nashorn kaufen. Wilderer bedrohen den Bestand der Riesen.
Das Spitzmaulnashorn sieht traurig aus. Es ist tot, und seine zwei Hörner sind abgeschlagen. Das Präparat des Nashornkopfes hängt wieder im Ritterhausmuseum in der badischen Kleinstadt Offenburg nicht weit von der französischen Grenze. Im Februar am Fasentsamstag, so heißt dort der Karneval, haben zwei Briten, ein Mann und eine Frau, das Kassenpersonal in ein Gespräch verwickelt. Zwei weitere Männer eilten in die Jagdtrophäensammlung Cron, die das Offenburger Ehepaar Hermann und Gretchen Cron zwischen 1925 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammengetragen hatte. Vier Meter hoch hing der Nashornkopf. Sie schafften es, ihn abzuhängen und schlugen mit einem Vorschlaghammer die beiden Hörner ab. Die vier Diebe entkamen zunächst. Die drei Männer wurden vier Tage später zufällig in München verhaftet, weil einer von ihnen am Steuer eines in Großbritannien gestohlenen BMW mit dem Handy telefonierte. Erst vor wenigen Tagen ist die Komplizin des Trios auf Teneriffa festgenommen worden. Die 37-Jährige sitzt seither im Frauengefängnis Bühl und wartet auf ihren Prozess. Das haben ihre drei Komplizen hinter sich. Ein 20-Jähriger wurde nach vier Wochen Jugendarrest freigelassen. Die beiden anderen Männer wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die allerdings noch nicht rechtskräftig sind, weil ihre Anwälte Berufung eingelegt haben.
Der Offenburger Fall ist Teil einer ganzen Serie von Überfällen auf Museen in 14 europäischen Ländern. Die europäische Polizeibehörde habe seit Januar 2011 inzwischen 67 Fälle von Nashorndiebstahl und 15 versuchte Diebstähle registriert, sagt Europol-Sprecher Søren Kragh Pedersen. Die Nashorndiebe haben die Universitätssammlung in Hamburg beraubt, aber auch Privatsammlungen von Großwildjägern wie beispielsweise in einem kleinen privaten Naturkundemuseum in Bad Säckingen rund 100 Kilometer südlich von Offenburg. Im Bamberger Naturkundemuseum sind die Hörner der Nashornpräparate gestohlen worden, aber auch im sächsischen Sebnitz und im niedersächsischen Kreis Gifhorn wurden die Trophäen geraubt. Die Serie begann nach Pedersens Angaben im irischen Naturkundemuseum in der Hauptstadt Dublin. Dort sind inzwischen alle Nashornexponate aus der Ausstellung genommen worden. Andere Museen und Zoos haben ihre Sicherheitsvorkehrungen verbessert. Das scheine Wirkung gezeigt zu haben, berichtet Pedersen. „Seit ein paar Wochen sind keine neuen Vorfälle bekannt geworden“, sagt er. Die Spur der Offenburger Nashornräuber führte übrigens auch nach Irland. Mehrere Landfahrerclans, so berichtete die örtliche „Badische Zeitung“, seien als Hintermänner oder zumindest Abnehmer für die Nashornhörner ermittelt worden. Doch wie der Handel genau abläuft, wer die Mittelsleute zu den lukrativen Märkten in Vietnam und China sind, das blieb im Offenburger Prozess im Dunkeln.
In Südafrika weiß Tom Milliken von der Nichtregierungsorganisation Traffic dagegen ziemlich genau, wie der Handel abläuft. Traffic ist von der Umweltstiftung WWF und der Weltnaturschutzunion IUCN, die die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Tierarten führt, gemeinsam gegründet worden, um den illegalen Handel durch das Washingtoner Artenschutzabkommen Cites (siehe Kasten) zu überwachen. Das kann Tom Milliken zwar nicht, obwohl er die Datenbank über die Beschlagnahmung von illegal gehandeltem Elfenbein Etis führt. Aber in Südafrika ist eine vietnamesische Botschaftsangestellte 2008 dabei gefilmt worden, wie sie ein Rhinohorn-Geschäft abschließt. Die Dame wurde zunächst ins Außenministerium in Hanoi zurückbeordert, ist inzwischen aber nach Millikens Informationen wieder in einer Botschaft beschäftigt – in Südafrikas Nachbarland Mosambik. Ein weiterer vietnamesischer Diplomat sei sogar zweimal von der südafrikanischen Polizei verhaftet worden, berichtet Milliken, weil ihm eine Verwicklung in das Geschäft mit Nashorn vorgeworfen wurde. Beim zweiten Mal sei er unter einem falschen Namen erneut in der Botschaft beschäftigt gewesen.
In China gilt Rhinohorn schon lange als traditionelles Heilmittel, obwohl es keinerlei Wirkung hat. Es besteht aus Keratin. „Da könnte man genauso gut Fingernägel kauen“, sagen Umweltschützer. In Vietnam dagegen hat Milliken Anwendungen beobachtet, die mit der chinesischen Medizin wenig zu tun haben. „Die jungen erfolgreichen Geschäftsleute und Banker nehmen gemahlenes Rhinohorn in ihre Drinks, weil sie angeblich dann am nächsten Morgen keinen Kater haben“, sagt er. Außerdem wird Rhinohorn verzweifelten, todkranken Krebspatienten auf Privatstationen als Heilmittel angepriesen. Tatsache ist, dass der vietnamesische Markt nach immer mehr Horn verlangt. In Südafrika hat das allein in diesem Jahr schon dazu geführt, dass 528 Nashörner abgeschlachtet worden sind. Im vergangenen Jahr waren es 448, drei Jahre vorher waren es noch 83 gewesen.
Europol-Sprecher Pedersen beschreibt das Geschäft mit den Nashörnern als „sehr profitabel bei geringem Risiko“. Zumindest gilt das für relativ ungesicherte europäische Museen. Die Offenburger Nashörner dürften auf dem vietnamesischen Schwarzmarkt rund 200 000 Euro wert gewesen sein. „So viel Geld lässt sich sonst nur mit Drogen, Waffen oder Frauenhandel verdienen“, sagt Pedersen. Nach Erkenntnissen von Europol und der internationalen Polizeibehörde Interpol, die seit 1993 eine auf illegalen Wildtierhandel spezialisierte Einheit hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass genau diese Banden der organisierten Kriminalität auch den Handel mit Stoßzähnen von Elefanten und Nashörnern erledigen. Die kriminelle Infrastruktur sei schließlich vorhanden, argumentiert Pedersen. Die Verstecke, in denen Elfenbein meistens auf dem Weg nach China oder Thailand gefunden werden, sprechen ebenfalls für diese These. So werden beispielsweise Trennwände in Container eingefügt, hinter denen sich Stoßzähne so gut verstecken lassen wie Drogen.
Der frühere Chef der kenianischen Naturschutzbehörde (KWS), Julius Kipng’etich, hat dem „Spiegel“ kurz vor seinem Rücktritt Ende September noch einen anderen Zusammenhang geschildert. Überall in Afrika leben inzwischen große chinesische Gemeinden. Bei jedem Großprojekt, sei es ein Straßenbau oder ein Ölförderprojekt, kommen weitere chinesische Arbeiter ins Land. „Überall, wo sie sind, sterben Elefanten. Die chinesische Botschaft will das nicht hören. Aber es ist wahr.“ Tatsächlich sind in den vergangenen zwei, drei Jahren viele Chinesen im Zusammenhang mit Wilderei in Kenia verhaftet worden. Für eine Tonne Elfenbein sterben mindestens 50 Elefanten, je nachdem wie groß die Stroßzähne waren. Bei den kleineren zentralafrikanischen Waldelefanten sind es eher 100 Elefanten.
Sicher ist, dass die ostafrikanischen Elefanten weiterhin bedroht sein werden. Denn ihr Elfenbein sei von besonders hoher Qualität, sagt Rainer Bücking. Er führt ein Traditionshaus mit Elfenbeinwaren in Erlangen. Die Firma gibt es seit 1746. Bücking verarbeitet die Elfenbeinvorräte, die sein Vater noch vor dem Handelsverbot 1990 erworben hat, zu Klaviertasten für historische Instrumente, die er restauriert. Außerdem ist er Gutachter für das Bundesamt für Naturschutz, das in Deutschland die Einhaltung des Cites-Abkommens überwacht. Das ostafrikanische Elfenbein ist durchgehend weiß, während das der südafrikanischen Elefanten Farbunterschiede aufweist. Das habe mit dem Klima zu tun, sagt Bücking. In Deutschland gebe es inzwischen keinen Markt mehr für Elfenbein, sagt er. Aber dafür liegen noch rund 30 Tonnen Rohelfenbein auf Lager.
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