Volksabstimmungen: Wie tickt die Schweiz?
Weniger Zuwanderung, Goldreserven aufstocken, Minarettverbot – all das haben die Schweizer bei den Volksabstimmungen am Sonntag abgelehnt. Immer wieder erregen die Schweizer mit ihren Volksabstimmungen Aufsehen.
Die Schweizer sagten am Sonntag klar: dreimal Nein. Die Stimmberechtigten lehnten alle Volksinitiativen, die zur Wahl standen ab. Doch bei allem, in dem sich die politischen Lager in der Schweiz bekämpfen – in einem sind sie sich einig: Die direkte Demokratie muss bleiben.
Die sogenannte Ecopop-Initiative zur drastischen Verschärfung der Einwanderungsregeln fiel bei den Eidgenossen mit 74 Prozent Nein-Stimmen durch. Noch deutlicher sagten die Schweizer Nein zu einer Aufstockung der Goldreserven in der Nationalbank: Rund 78 Prozent wollen davon nichts wissen. Ebenso bekam die Initiative eine Abfuhr, die das Ende von Steuerprivilegien für superreiche Ausländer verlangte: Rund 60 Prozent votierten dagegen. Somit folgte die Bevölkerung der Regierung, dem Bundesrat.
Am schärfsten sprach sich die politische Führung gegen die Volksinitiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der Lebensgrundlagen“ aus. „Ecopop ist ein gefährlicher und populistischer Egotrip“, warnte Innenminister Alain Berset. Andere Gegner beschimpften die Initiatoren als „Öko-Faschisten“ und „Birkenstock-Rassisten“. Im Kern verlangten die Ecopop-Umweltschützer eine Reduzierung der jährlichen Nettozuwanderung auf 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung. In der Schweiz leben rund 8,1 Millionen Menschen. Ein Ja hätte die Nettozuwanderung von derzeit rund 80 000 Menschen pro Jahr auf weniger als 17 000 gedrückt.
Sind die Schweizer für Zuwanderung? Eher gegen wirtschaftliche Schäden...
Meinungsforscher betonten: Die meisten Schweizer hätten Nein gesagt, weil sie massive ökonomische Schäden fürchteten. Die Wirtschaft des Landes ist auf qualifizierte Einwanderer angewiesen. Zudem hätten die neuen Schranken das Verhältnis zur EU endgültig zerrüttet. Zwischen Bern und Brüssel knirscht es ohnehin gewaltig: Im Februar hatten die Schweizer in einer Volksabstimmung die Einführung von Kontingenten für Migranten beschlossen. Doch Kontingente sind unvereinbar mit dem Abkommen über Personenfreizügigkeit mit der EU.
Wie die Eidgenossen diesen Konflikt lösen wollen, bleibt unklar. Noch heftiger als zu Ecopop sagten die Schweizer Nein zu der Gold-Initiative. Rechte Kreise hatten gefordert, Gold sollte mindestens 20 Prozent des Vermögens der Nationalbank ausmachen. Das Edelmetall sollte unverkäuflich werden und vollständig in der Schweiz lagern. Mit einem Ja zu dem Plan hätte die Schweizer den Spielraum der Währungshüter massiv beschnitten.
„Volksentscheide sind zu akzeptieren“, sagte einer der Initiatoren, Lukas Reimann, von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei. Auch bei den Linken herrschte Niedergeschlagenheit. Ihre Initiative „Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre“ war nicht durchgekommen. Ziel war es, Einkommen und Vermögen von fast 6000 reichen Ausländern in der Schweiz höher zu besteuern – man zielte auf eine Gleichbehandlung mit normalen Schweizern.
Links und Rechts einig im uneingeschränkten Ja zur direkten Demokratie
Die betuchten Fremden können sich jetzt freuen. Der Fiskus wird sie weiter nur pauschal nach ihren Lebenshaltungskosten besteuern – es gelten Ausgaben für Hauspersonal über Yachten bis hin zum Limousinen-Fuhrpark.
So hart sich Linke und Rechte in konkreten Volksabstimmungen bekämpfen, so einig sind sie doch im uneingeschränkten Ja zu der direkten Demokratie. „Die Entscheidungen der Bürger konstituieren eine helvetische Ausprägung von Basisdemokratie“, erklärt der Soziologe und Sozialdemokrat Jean Ziegler. Bei den Konservativen spricht man vom „Volkswillen“, den die Eidgenossen an der Urne formulieren. Die direkte Demokratie zieht sich durch den gesamten Staatsaufbau – auf allen Ebenen können die Bürger direkt entscheiden. In den Gemeinden stimmen sie über den Ausbau des kommunalen Schwimmbades ab. In den Kantonen kommen größere Projekte wie Autobahnen auf den Prüfstand. Und die nationalen Abstimmungen rücken das kleine Land immer wieder ins Zentrum des internationalen Interesses, so etwa als die Schweizer 2009 bei einer Abstimmung auf Bundesebene ein Bauverbot für Minarette verhängten.
Schon vor 700 Jahren wurde in der Schweiz direkt abgestimmt
Auf nationaler Ebene können sich die Schweizer über Volksabstimmung und Referendum einbringen. Eine Volksabstimmung zielt auf eine Änderung der Verfassung ab. Um sie zu ermöglichen, müssen die Befürworter 100 000 Unterschriften sammeln. Beim Referendum liegt die Hürde niedriger: Falls ein Gesetz, das vom Parlament beschlossen ist, den Bürgern missfällt, können sie eine Abstimmung verlangen. Sie brauchen dafür 50 000 Unterschriften.
Die Ursprünge der direkten Demokratie liegen mehr als 700 Jahre zurück. Schon Ende des 13. Jahrhunderts trafen sich Schweizer zu Abstimmungen unter freiem Himmel. Die Bürger von Appenzell-Ausserrhoden schafften erst 1997 diese Form der Abstimmung ab. 2010 votierten sie über die Wiedereinführung. Doch eine Mehrheit von 11500 Appenzeller sagten Nein. Selbst die Urform der direkten Demokratie ist dem Volksentscheid ausgeliefert.
Jan Dirk Herbermann