Freizügigkeit in Europa: Schulz: EU-Kritiker verdrehen Fakten
Martin Schulz kritisiert Überlegungen des britischen Regierungschefs David Cameron, das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU auszuhöhlen. Solche Pläne zeugten von "Geschichtsvergesssenheit", sagt der EU-Parlamentschef zum Mauerfall-Jubiläum in Berlin.
Beethovens „Egmont“-Ouvertüre klingt dramatisch. Sie verbreitet keine Volksfest-Stimmung, wie sie an diesem deutschen Schicksalstag am Brandenburger Tor herrscht. Ein paar hundert Meter weiter, im Haus der Kulturen der Welt, stimmt das europäische Jugendorchester am Sonntagvormittag das Publikum auf eine Rede von Martin Schulz ein, und da ist „Egmont“ nicht verkehrt. „Die EU ist in keinem guten Zustand“, sagt der EU-Parlamentschef.
Seit vier Jahren ist es in Berlin zur politischen Übung geworden, dass Spitzenvertreter der EU am 9. November vor einem Publikum, das von den Vorzügen der EU in der Regel nicht mehr groß überzeugt werden muss, eine „Europa-Rede“ halten. Bevor Schulz an diesem Jubiläumstag des Mauerfalls im Konzerthaus am Gendarmenmarkt den zentralen Vortrag hält, redet er sich sozusagen im alten West-Berlin warm. Mauerfall und Europa – es sind zwei Themen, die bei den beiden Auftritten des EU-Parlamentspräsidenten ineinander verwoben sind.
Wer Schulz kennt, der weiß, dass er den hohen Ton von sonntäglichen Feierstunden beherrscht, aber auch kräftig austeilen kann. Und so müssen die Zuhörer im Haus der Kulturen der Welt nicht allzu lange warten, bis der SPD-Mann auf die Missstände in der EU zu sprechen kommt. Die vorübergehenden Überlegungen in der britischen Regierung, Quoten für Zuwanderer aus der EU einzuführen, brandmarkt er als „Geschichtsvergessenheit“. Die EU-feindliche Ukip-Partei hatte zu Beginn des Jahres, als die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in der gesamten EU eingeführt wurde, mächtig Stimmung gegen so genannte Armutsmigranten gemacht. „Da werden die Fakten verdreht“, poltert Schulz, „zum bevorstehenden Massenansturm ist es nicht gekommen“.
Eine ähnliche Debatte wie in Großbritannien hatte auch in Deutschland die CSU unter dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ losgetreten. Deshalb beschränkt sich Schulz auch nicht darauf, den britischen Regierungschef David Cameron wegen dessen Haltung beim Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit aufs Korn zu nehmen. Deutschland profitiere von der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, erklärt er, und zudem könne niemand nach Deutschland kommen, „um sofort Sozialhilfe zu beantragen“. Schulz plädiert einerseits dafür, Kommunen finanziell zu helfen, die mit der Integration von EU-Zuwanderern überfordert sind. Noch eindringlicher verurteilt er aber Populisten, die dazu beitrügen, „dass in Europa wieder gehetzt wird“.
Schulz: Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer ist "Schande für Europa"
Der EU-Parlamentschef erinnert schließlich daran, dass Europa immer ein Kontinent der Ein- und Auswanderung gewesen sei. Deshalb sei es „eine Schande für Europa“, wenn man es zulasse, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Die EU müsse Möglichkeiten zur legalen Einwanderung schaffen, wie sie auch in den USA, Kanada oder Australien existierten, fordert Schulz.