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Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.
© Christoph Hardt/imago/Future Image, Janine Schmitz/imago/photothek, Montage: TSP

Inlandsnachrichtendienst in der Kritik: Wie steht es um den Verfassungsschutz?

Als Präsident sollte Maaßen das Ansehen der Behörde wieder herstellen – nun wachsen die Probleme. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Es sieht immer düsterer aus für Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich nach Informationen der „Welt“ entschieden haben, dass Maaßen gehen muss. Bislang gibt es dafür aus der Regierung keine Bestätigung. Doch dass die Kanzlerin Maaßen sehr kritisch gegenübersteht, ist kein Geheimnis.

Wie steht der Verfassungsschutz insgesamt da?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war im Zusammenhang mit den NSU-Morden in eine Vertrauenskrise gestürzt. Der frühere Behördenchef Heinz Fromm trat 2012 zurück, nachdem bekannt wurde, dass möglicherweise relevante Akten zum Umfeld der Täter von einem BfV-Beamten vernichtet wurden – und zwar erst kurz nach Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle.

Maaßen sollte den Vertrauensverlust kitten. Doch wegen der Aufklärung der Affäre um den V-Mann Corelli geriet er bald selbst in die Kritik. Corelli hatte knapp 20 Jahre lang für den Verfassungsschutz in der rechtsextremen Szene gespitzelt – und dabei möglicherweise auch Kontakt zum NSU-Trio gehabt. Oppositionspolitiker forderten Maaßens Rücktritt, als bekannt wurde, dass im Bundesamt erst spät Handys und Sim-Karten des 2014 verstorbenen Spitzels festgestellt wurden und nur zum Teil ausgewertet worden waren.

Rücktrittsforderungen gegen Maaßen gab es auch, nachdem er die Blogger von „netzpolitik.org“ strafverfolgen ließ, weil sie Verfassungsschutz-Dokumente online stellten. Der Vorgang wurde als „Landesverratsaffäre“ bekannt.

Doch Maaßen bemühte sich, das Ansehen seiner Behörde wiederherzustellen. Sein besonderes Augenmerk lag auf der Bekämpfung des islamistischen Terrors. Die zuständige Abteilung ist nicht in der BfV-Zentrale in Köln-Chorweiler angesiedelt, sondern in Berlin-Treptow, wo sich der Verfassungsschutz im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) ständig mit den anderen Sicherheitsbehörden austauscht.

Beim Herbstempfang der Sicherheitsbehörden vergangene Woche lobte Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Innenministerium, es sei ein Verdienst der Sicherheitsbehörden, dass Deutschland 17 Jahre nach dem 11. September 2011 zu den sichersten Ländern der Welt gehöre. Das BfV half, Anschläge zu verhindern. Umso ärgerlicher muss es für Maaßen gewesen sein, als bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz den Berlin-Attentäter Anis Amri stärker beobachtete, als bislang bekannt. Maaßens Darstellung, das BfV habe nichts mit dem Behördenversagen im Fall Amri zu tun, steht infrage.

Was ist Maaßen für ein Typ?

Wenn Innenpolitiker aus dem Bundestag den Verfassungsschutzchef beschreiben, zeichnen sie zunächst das Bild des treuen Staatsdieners und hervorragenden Juristens. „Er ist ein kontrollierter Mensch“, sagt ein Unionsabgeordneter. Eine Fraktionskollegin erinnert sich hingegen: „Ich habe ihn auch schon ungehalten erlebt.“ Maaßen könne durchaus laut werden und „ausflippen“, heißt es. Man müsse die Mitarbeiter seiner Behörde an Holzkreuze nageln, soll Maaßen einmal in einem Wutanfall gefordert haben. Seine Wut, in den vergangenen Jahren richtete sie sich zunehmend auf die Kanzlerin – und deren liberaler Flüchtlingspolitik. Auf den Fluren des Bundestags mache er seine Abneigung besonders deutlich, erzählt ein SPD-Abgeordneter. Anstatt Merkel beim Namen zu nennen, sage Maaßen stets nur abfällig „die da drüben“ und nicke dabei in Richtung Kanzleramt.

Im Jahr 2015 hingegen klagte Maaßen noch in einem Interview mit dem Tagesspiegel über die „Anti-Asyl-Agitation“ rechter Parteien. Als Jura-Student war er Ende der 90er dagegen selbst auf asylkritischem Kurs unterwegs. Maaßens Doktorarbeit „bemüht sich um den Nachweis, dass für eine restriktivere Flüchtlingspolitik erhebliche noch unausgeschöpfte Spielräume bestehen“, schrieb die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff im Jahr 2000 in einer juristischen Fachzeitschrift.

Es sind die Widersprüche, die die Person Maaßen zu kennzeichnen scheinen. Einerseits warnte er 2015 nach den gewalttätigen Ausschreitungen im sächsischen Heidenau, „dass sich Gruppen bilden, die dazu bereit sind, rechtsterroristische Anschläge zu verüben.“ Jetzt bezweifelte er öffentlich das Ausmaß rechter Gewalt in Chemnitz – trotz eindeutiger Berichte der Presse sowie der örtlichen Polizei. Auch dass Maaßen im Fall Chemnitz öffentlich von „Mord“ gesprochen hat, obwohl die Staatsanwaltschaft nur wegen Totschlags ermittelt, passt nicht so recht in das Bild des präzisen Juristen.

Was sagen die Verfassungsschützer aus den Ländern?

In den Landesämtern für Verfassungsschutz schauen viele mit Sorge auf die Causa Maaßen. Sie haben Angst, der umstrittene Verfassungsschutzchef schade dem Ruf der Nachrichtendienste insgesamt. Dabei gehe es gar nicht um Maaßens öffentliche Zweifel an „Hetzjagden“ in Chemnitz. Die teilten viele Geheimdienstler, heißt es aus Sicherheitskreisen. Im Mittelpunkt der Kritik aus den Länderbehörden steht Maaßens Umgang mit der AfD. Seit mindestens einem Jahr drängen Beamte aus Bremen, Brandenburg oder Thüringen darauf, die AfD ins Visier zu nehmen – oder zumindest zu prüfen, ob das nötig ist. In Thüringen ist die AfD bereits „Prüffall“. In Bremen wird die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ wegen rechter Umtriebe beobachtet.

Auch im Brandenburger Verfassungsschutz herrscht Unzufriedenheit über das Bundesamt. Dort befindet sich die AfD in einer Art Vorstufe der Beobachtung. Doch beim Bundesamt in Köln will man offenbar von solchen Aktivitäten nichts wissen. Nach Recherchen des „Handelsblatts“ gibt es in einigen Landesämtern sogar die Sorge, dass Informationen aus der Behörde direkt an die AfD geflossen sind. Die Bevölkerung könne den Eindruck gewinnen, der Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge blind, heißt es in den Ländern. Dazu trügen Maaßens Treffen mit prominenten AfD-Politikern wie der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry oder dem Rechtsaußen-Mann Stephan Brandner bei.

Seit Monaten sehen die Landesverfassungsschützer außerdem mit Argwohn zu, wie Maaßen die Kompetenzen seiner Behörde ausweiten möchte. Maaßen hatte Ende 2017 in einem Brief an die Chefs der Landesbehörden ein „länderübergreifendes Direktionsrecht“ gefordert, auch weil er die Länder bei der Beobachtung islamistischer Terroristen für überfordert hält.

Wie viel Geld hat der Verfassungsschutz?

Die Behörde wurde in den vergangenen Jahren stark ausgebaut – und soll noch weiter wachsen. Laut Jahresbericht 2017 bekam sie 307 Millionen Euro an Bundesmitteln. Im Jahr zuvor gab es vom Bund gut 250 Millionen. Die steigenden Kosten liegen auch am wachsenden Mitarbeiterstab des Bundesamtes, der zuletzt von 2970 Bediensteten im Jahr 2016 auf 3200 im vergangenen Jahr anwuchs. Für das kommende Jahr hat Maaßen laut „Süddeutscher Zeitung“ eine Rekordsumme von 421 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln beantragt.

Wer kontrolliert den Verfassungsschutz?

Der Verfassungsschutz ist als Inlandsnachrichtendienst dem Innenministerium unterstellt. Das BfV bezieht seine Informationen teils aus allgemein zugänglichen Quellen und Gesprächen. Aber er kann auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen – wie das Führen von V-Leuten, Observieren oder Abhören von telefonischer und elektronischer Kommunikation. Genau wie der Bundesnachrichtendienst als Auslandsnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst wird der Verfassungsschutz durch die Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) kontrolliert. Das PKGr darf auf Akten zugreifen und Angehörige der Nachrichtendienste befragen. Im PKGr musste sich Maaßen vergangene Woche auch zu seinen umstrittenen Aussagen zu den Vorgängen in Chemnitz äußern.

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