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Ägypten wählt. Ein Polizist hilft einer Rollstuhlfahrerin am Sonntag ins Wahllokal in Kairo.
© Khaled Desouki/AFP

Wahlen in Ägypten: Wie stabil ist Ägypten?

Das Land am Nil erlebt alle Höhen und Tiefen des Arabischen Frühlings. Nach zwei Jahren Militärherrschaft soll es jetzt wieder ein demokratisch gewähltes Parlament geben. Viele Menschen haben dennoch kein Vertrauen in die herrschende Klasse: Sie habe die Revolution geklaut.

Mehr als zwei Jahre regiert nun wieder das Militär, amtiert Präsident Abdelfatah al Sisi als der starke Mann Ägyptens – ohne gewähltes Parlament. Das soll sich bis Ende des Jahres ändern. Mit den Wahlen, die ab dem 17. Oktober in mehreren Runden stattfinden, soll das Land wieder eine demokratische Volksvertretung bekommen. Präsident Abdelfatah al Sisi sieht darin den Abschluss des ägyptischen Demokratisierungsprozesses nach der Absetzung seines Vorgängers Mohammed Mursi im Jahr 2013. Doch welches Parlament kann der Übermacht der Generäle und des Präsidenten etwas entgegensetzen?

Die Wahlberechtigten innerhalb und außerhalb Ägyptens sind in zwei längeren Phasen im Oktober und im November aufgefordert, aus Parteilisten und Einzelkandidaten ihre Repräsentanten zu wählen. Doch das Wahlsystem macht für viele Ägypter wenig Sinn. Rund 38 Prozent der Wahlberechtigten verstehen nicht den Mix aus Einzelkandidaten und Listen. Für viele ist nicht transparent genug, wie die Einzelkandidaten, die 65 Prozent der Bewerber ausmachen, auf die Wahlkreise aufgeteilt wurden. Eine repräsentative Wahlumfrage des ägyptischen Meinungsforschungsinstituts „Igabat“ sagt außerdem eine niedrige Wahlbeteiligung voraus. Während im ländlichen Oberägypten noch 65 Prozent die Absicht haben, wählen zu gehen, sind es deutlich weniger als die Hälfte in den dicht bevölkerten urbanen Zentren in Gizeh und Kairo. Dort ziehen sich viele Ägypter so gut es geht wieder ins Private zurück.

Kritische Bürger reden in Ägypten schon lange nicht mehr offen über Politik. Deswegen wurden einige Namen in diesem Artikel geändert. Die 29-jährige Iman ist ein Beispiel, wie aus ehemaligen politischen Aktivisten wieder vorsichtige Privatmenschen geworden sind. Iman stand am 25. Januar 2011 auf dem Tahrirplatz, danach engagierte sie sich in einer liberalen Partei und versuchte „das politische System ihres Landes an die Werte der Revolution anzupassen“, wie es die Wissenschaftlerin selbst formuliert. Sie war über die autoritäre Regentschaft der Muslimbrüder schockiert. Dennoch konnte sie nicht wahrhaben, dass ein Putsch folgte: „Militär, Muslimbrüder, Mubarak-Anhänger, sie haben unsere Revolution geklaut.“

Iman sagt, dass sie die anstehende Parlamentswahl boykottieren werde. Weder als aktive Parteipolitikerin noch als Wählerin möchte sie mitmachen. „Es ist ein einziges trauriges Schauspiel.“ Sie wolle dem Staat nicht mehr Legitimität mit ihrer Stimme verleihen. Eine effektive Opposition existiere sowieso nicht.

Der ägyptische Präsident Abdelfatah al Sisi.
Der ägyptische Präsident Abdelfatah al Sisi.
© dpa

Auch Ahmad und Mustafa aus dem armen Norden Kairos werden nicht zur Wahl gehen. Sie engagieren sich in ihrem Viertel ehrenamtlich in sozialen Projekten. Von den großen Fragen der Politik lassen sie besser die Finger weg. „Wir müssen aufpassen, überall sind Mitarbeiter des Geheimdienstes unter uns.“ In Ägypten, sagen die beiden Mittdreißiger, wolle weder das Militär noch seine Verbündeten in Europa und den USA wahre Demokratie. „Auch Deutschland kooperiert unkritisch mit den Machthabern bei uns.“ Stabilität geht vor Rechtsstaat, das sei das alte Erfolgsrezept, auf das sich nun alle wieder berufen fühlen. Ahmad und Mustafa haben im Jahr 2012 die mittlerweile verbotene Muslimbruderschaft gewählt. Es gebe bei der nächsten Wahl keine Partei, die sie repräsentieren könne.

Trotz der großen Skepsis in der Bevölkerung zieht die erst seit wenigen Wochen durch Präsident Sisi ausgewechselte ägyptische Regierung ihr Programm durch. Was viele junge Ägypter wie Iman, Ahmad und Mustafa frustriert, ist die Tatsache, dass sehr viele Köpfe des alten Mubarak-Regimes wieder auf einflussreiche Posten schielen. Die alten Kader wollen wieder an die Macht – und in das zukünftige Parlament. „Die 30 Jahre, in denen wir regiert haben, waren die besten Jahre Ägyptens“, macht ein ehemaliger Abgeordneter der Mubarak-Partei NDP Wahlwerbung für sich.

Internationale Vertreter, darunter auch die Bundesregierung, begrüßen trotzdem die anstehenden Parlamentswahlen. Mehrere tausend nationale und internationale Wahlbeobachter sollen die Abstimmung beaufsichtigen und Unregelmäßigkeiten melden. Doch der ägyptische Staat setzt bei seiner Transparenzoffensive vor allem auf eine Karte: „Unsere unabhängige Justiz.“

Der Wahlzettel für die Wahl in Ägypten.
Der Wahlzettel für die Wahl in Ägypten.
© Mohamed El-Shahed/AFP

Der Sprecher der Obersten Wahlkommission, Omar Marwan kündigte in einer Pressekonferenz in Kairo an, dass unter den 2573 Einzelkandidaten exakt 112 Frauen seien. Wie viele es von ihnen ins Parlament schaffen, steht auf einem anderen Blatt. In Sozialen Netzwerken macht derweil ein Bild einer Kandidatin aus Gizeh die Runde. Sie ist mit einer Ägyptenfahne verschleiert, ihre Augen sind sehr großzügig geschminkt, ihr Logo zeigt eine weiße Friedenstaube. „Alles was man haben will: Islam, Nationalismus, Frieden, Frauen.“, kommentieren die meisten User und machen sich über diese „Karikatur einer Demokratie“ lustig. Auch Iman, die einst die Mission hatte, verfolgte Frauen in der Politik zu fördern, kann diese Kandidatin nicht ernst nehmen. Gleichzeitig sticht eine Zahl aus den aktuellen Umfragen heraus: 90 Prozent der befragten Wahlberechtigten geben an, dass Religion nichts in der Politik verloren hätte. Zwar ist die ägyptische Gesellschaft, der muslimische wie auch der christliche Teil, in den letzten zwei Jahren nicht weniger gläubig geworden. Nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi und nach der negativen Erfahrung mit seiner Muslimbruderschaft glauben mehr Ägypter denn je fest an die demokratische Kraft der ägyptischen Armee – und des Präsidenten. Laut gültiger Verfassung darf er fünf Prozent der Abgeordneten direkt ernennen.

In Sozialen Netzwerken ist kurz vor der ersten Wahlrunde ein Gegenwahlkampf entstanden. Zwar trauen sich immer weniger Menschen, auf der Straße gegen den Staat zu demonstrieren, virtuell ist in Ägypten aber weiterhin Rebellion angesagt. Mit der viralen Kampagne „Stimmt für …“ wollen Aktivisten auf die mehr als 1200 Toten der Revolution von 2011 und die mehr als 12 000 Gefangenen danach erinnern. Sie wollen „ihren Märtyrern“ eine Stimme verleihen. „Keiner der korrupten Kandidaten hat es verdient, gewählt zu werden“, schreibt ein User auf Facebook. Zwar haben einige Imame und orthodoxe Priester auf Druck der Regierung Wahlverweigerer als Sünder tituliert, viele Menschen können über diese Art von Zwang aber nur lachen.

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