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Alaa Abdel-Fatah (r.) wurde am Montag aus dem Tora-Gefängnis entlassen. Als einer der wenigen Aktivisten, die von der Justiz verfolgt werden.
© DPA

Menschenrechte in Ägypten: Hunderte Aktivisten treten in den Hungerstreik

In Ägypten sitzen hunderte Aktivisten, Anwälte und Journalisten in Gefängnissen. Ohne gescheite Anklageschrift, oft ohne erkennbaren Grund. Nun treten viele von ihnen in den Hungerstreik und werden zu Ikonen.

Ab sofort. Unbefristet. Es ist eine verzweifelte Aktion von rund 300 Menschenrechtsaktivisten in Ägypten. Sie sitzen nämlich in kleinen Käfigen. Teilweise in Untersuchungshaft, die kurzfristig immer wieder um ein oder zwei Wochen verlängert wird. Das geht schon seit Monaten so. Die ägyptische Justiz war noch nie unabhängig. Seit dem Militärputsch vor mehr als einem Jahr ist sie aber das effektivste Mittel gegen Aktivisten, Anwälte und Journalisten, die der Regierung in Ägypten regelrecht auf die Nerven gehen. Nun sind sie in den Hungerstreik getreten.

Vor allem an Ägyptens Universitäten und im Menschrechtsmilieu versucht die Regierung jede Art von Opposition vor den anstehenden Wahlen zu unterdrücken. Noch vor Jahresende sollen die Ägypter ein neues Parlament wählen.

Das ägyptische Militärregime feiert sich bis dahin als Retter eines Landes, in dem die Wirtschaft reglos am Boden liegt. Um mehr Zuspruch im Volk zu bekommen, pflegen die Behörden und (Staats-)Medien unter Präsident Abdelfatah al-Sisi einen sicherheitspolitischen Diskurs, der in seiner Intensität weder unter dem geschassten Präsidenten Hosni Mubarak, noch dem abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi dermaßen instrumentalisiert wurde.

Homosexuelle werden als Beweis für eine "gute politische Moral" verfolgt, Muslimbrüder werden pauschal als "Terroristen" gebrandmarkt und Menschenrechtsaktivisten werden massenhaft in Gerichten abgefertigt.

Die internationale Gemeinschaft schaut weg, auf Gaza und den "Islamischen Staat"

Niemand sage mehr etwas, beklagt Naiera Magdy. Sie arbeitet bei einer UN-Organisation in Kairo im Bereich Demokratieentwicklung. "International schaut auch niemand mehr auf Ägypten", sagt sie. Die euphorischen Zeiten seien vorbei. Die neue Unterdrückung von Freiheitsrechten am Nil sei ein hoher Preis für Stabilität in der Region.

Ein Preis, der vom Westen und von politischen Aktivisten in Ägypten gleichermaßen bezahlt werde. Die internationale Gemeinschaft schaute zunächst weg, dann auf den Gazakrieg und nun auf den "Islamischen Staat". Ägypten, wo es nur noch selten brenne, sei nicht mehr wichtig.

Es sitzen aber unzählige Gegner des Militärs hinter Gittern. Und jeden Tag werden es zehn, zwanzig mehr. Davor kannte niemand ihre Namen. Doch immer öfter tauchen "Ahmad", "Mahinour", "Alaa" und "Yara" auf Transparenten und in Sozialen Medien auf. Hunderte wollen als Zeichen der Solidarität einen Tag mit ihnen ebenfalls in den Hungerstreik treten, um mit "leeren Mägen für Freiheit zu demonstrieren". Hunderte? Das ist für ägyptische Verhältnisse erstaunlich wenig.

Yara, die lächelnde Anwältin

Yara Salam ist eine der bekanntesten Gefangenen. Die junge Menschenrechtsanwältin, die für die größte ägyptische Menschenrechtsorganisation EIPR arbeitet, wurde Ende Juni in Kairo festgenommen. Seitdem sie 15 Jahre alt war, setzte sich Yara in verschiedenen Jugendorganisationen für Menschenrechte in ihrem Land ein. Karim Omar, ein Weggefährte der Aktivistin beschreibt sie schlicht als "anders". Sie hätte sich bei ihrer Arbeit nie in den Mittelpunkt gestellt und stets versucht im rechtlich gültigen Rahmen, die beste Lösung für ihre Mandaten zu erreichen.

Nun ist sie selbst Opfer der Justiz geworden. Weil sie gegen das neue Demonstrationsgesetz - das Demonstrieren in Ägypten eigentlich verhindern soll - protestierte.

Berühmt wurde Yara erst nach ihrer Festnahme in Heliopolis, im Norden Kairos. Auf allen Bildern im Netz, die Yara entweder in einem kleinen Käfig im Gerichtsaal oder in einem weißen Gefangenenanzug in die Kamera lächelnd zeigen. Und das Lächeln der 28-Jährigen wird zumindest im harten Kern der ägyptischen Menschrechtsszene als Symbol des leisen Widerstands gefeiert.

Barmherzige Justiz?

Der sanfte Protest, der sich unter anderem auf Yaras Lächeln stützt, trägt schon Früchte. Am Mittwoch kündigte die Generalstaatsanwaltschaft in Kairo an, 116 Studenten und Schüler, darunter viele Minderjährige, freizulassen. Als "Zeichen der Barmherzigkeit gegenüber der ägyptischen Jugend" zum Beginn des neuen Schuljahres. Das Regime inszeniert sich. Doch massenhafter Hungerstreik der Gefangenen setzt sogar die ägyptische Justiz unter Druck.

Die massenhaften Festnahmen, die auch vor 15-jährigen Schülern nicht halt machen, gehen aber dennoch weiter und verunsichern die Aktivisten nachhaltig. Es ist diejenige Generation, die im Jahr 2011 maßgeblich die Revolution anführte. Sie traut sich heute nur noch selten auf die Straßen. Das erkannte auch Yara Salam und versuchte mit Blick auf das neue Demonstrationsgesetz eine "lächelnde Bewegung" zu mobilisieren.

Kurz vor ihrer Festnahme schrieb Yara noch regelmäßig in ihren Blog. Einer ihrer letzten Einträge erzählt von der Depression, die viele junge Aktivisten in Ägypten eingeholt habe: "Wir werden alt und verbittert in dem Moment, in dem wir denken, dass wir endlich einen guten Neuanfang hinbekommen." Denn der Neuanfang bliebe ihnen in den letzten Jahren - trotz toter Aktivisten, Massendemonstrationen und Hungerstreiks - immer wieder verwehrt.

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