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Alles nach Plan. In Russland wird vor der Wahl nichts dem Zufall überlassen.
© AFP

Wahl in Russland: Wie staatliche Behörden versuchen, die Abstimmung zu manipulieren

In Russland ist die Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Doch für Putin hängt einiges davon ab, wie viele Menschen abstimmen. Deshalb wird dafür einiges getan.

Geh wählen, bevor es zu spät ist – das ist die wenig subtile Botschaft eines Videoclips, der seit Mitte Februar im russischen Internet millionenfach angeklickt wurde. In dem dreiminütigen Film wird ein Durchschnittsrusse – Halbglatze, Bierbauch, Plattenbauwohnung – mit seinen schlimmsten Albträumen konfrontiert.

Weil er am 18. März nicht zur Wahl gegangen ist, wird er in die Armee eingezogen. Die Hyperinflation ist zurück, und der Sohn verlangt plötzlich Unsummen an Geld. In seiner Küche sitzt ein femininer Mann, der lasziv von einer Banane abbeißt – ein homosexueller Single, der laut eines neuen Regierungsprogamms von Familien ausgehalten werden muss, bis er wieder einen Partner hat.

Der Clip ist einer der schrillsten Mobilisierungsversuche für die Präsidentenwahl. Doch er ist auch typisch. Möglichst viele Wähler sollen abstimmen. Auch wenn der Sieger in dem ungleichen Wettkampf schon heute so gut wie feststeht, will Amtsinhaber Wladimir Putin doch in einer legitim erscheinenden Wahl bestätigt werden.

Kopfzerbrechen im Kreml

Doch nicht immer nehmen es die Verwaltung und mit ihr verbundene Strukturen bei der Agitation mit dem Gesetz so genau. Nichtregierungsorganisationen wie „Golos“ sprechen gar von schweren Verstößen gegen russisches Recht. Auch deshalb ist „Golos“ erst gar nicht zur Wahlbeobachtung zugelassen worden.

Wie viele Bürger tatsächlich ihre Stimmzettel in die Plastikboxen werfen werden, ist die einzige wirkliche Unsicherheit bei dieser Abstimmung und eine Frage, die den Polittechnologen des Kreml Kopfzerbrechen bereitet. Zwar wollen laut der letzten Umfrage des Kreml-nahen Instituts Wziom 82 Prozent „sicher“ oder „eher“ teilnehmen.

Doch sagen sie die Wahrheit oder geben die Befragten eine Antwort, die von ihnen erwartet wird? Die Wahlbeteiligung ist in Russland stetig gesunken – Ausdruck von Desinteresse und der Überzeugung vieler, dass die Stimme sowieso nichts zählt.

Die Interventionen der Behörden waren 2011/2012 so groß, dass sie zum Auslöser für eine Protestwelle wurden. Der Kreml, der Unruhen unbedingt verhindern will, hat daraus gelernt: Die Staatsmacht befürwortet jetzt selbst transparente Wahlen.

Wählen gehen - egal, wo

So warb die Zentrale Wahlkommission in einer beispiellosen Kampagne. ZIK-Mitarbeiter zogen von Haus zu Haus und informierten über die nächstliegenden Lokale. „Wir begrüßen, dass der Staat über die Wahlen informiert“, sagt Grigorij Melkonjanz, Vizevorsitzender von „Golos“. Doch dabei bleibt es nicht.

In staatlichen oder staatsnahen Unternehmen, in Behörden und an Universitäten setzt man wie früher Mitarbeiter unter Druck und verletzt deren Recht auf eine freie, geheime Wahl. Wie „Golos“ anhand vieler Beispiele dokumentiert, rufen Chefs ihre Angestellten nicht nur zur Stimmabgabe auf. In Listen müssen sie angeben, wo sie abstimmen werden.

Aufgrund einer Gesetzesänderung dürfen die Bürger Wahllokale auch unabhängig vom Wohnort aufsuchen. Das könnte dazu führen, dass Vorgesetzte ihre Angestellten dazu nötigen, in einem von ihnen kontrollierten Wahllokal zu erscheinen.

Gleichzeitig eröffnet die Bestimmung einem traditionellen Instrument der Manipulation Tür und Tor: dem Karussell. Dabei werden Gruppen loyaler Putin-Wähler von Abstimmungslokal zu Abstimmungslokal chauffiert. Sie geben ihre Stimme dann so oft ab, wie es für einen überzeugenden Sieg Putins nötig ist.

Jutta Sommerbauer

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