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Präsident Putin im Kreml. (Archivbild)
© DPA/YURI KOCHETKOV

Soziologe über Putin: Russland-Wahl: "Der Kreml hat keine Ideen"

Am 18. März stimmen die Russen über ihren künftigen Präsidenten ab. Wie beurteilt der Soziologe Lew Gudkow die Wahl? Ein Interview.

Herr Gudkow, wie blicken Sie als Soziologe auf die Wahl?

Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass dies eine transparente, ehrliche und demokratische Abstimmung wäre. Es ist ein Zwangsplebiszit. Das Bewusstsein der Alternativlosigkeit ist sehr wichtig.

Was meinen Sie damit?

Die Bürger haben einerseits ein nüchternes Realitätsverständnis – für die politische Zensur, die Abweisung realer Kandidaten, die Wahlen als Zeremonie der Akklamation mit vorhersehbarem Ergebnis. Andererseits kann das eine Form von Hoffnung annehmen: „Vielleicht gelingt Putin doch wieder ein Wachstum der Einkünfte, so wie in den Nullerjahren.“ Alternativlosigkeit gepaart mit Hoffnung – das ist der Grund für die Unterstützung Putins.

Jede Amtszeit hatte ein Thema. Zuletzt war es nationale Größe. Was kommt jetzt?

Der Kreml hat keine Ideen. Er kann kein Angebot machen. Alle ideologischen Ressourcen sind ausgeschöpft. Wenn man an etwas appelliert, dann an sowjetische Stereotype: von großer Vergangenheit, Erinnerungen an den Großmachtstatus, die Gegnerschaft zum feindlichen Westen. Hinzu kommt soziale Demagogie: das Versprechen erhöhter Sozialausgaben. Doch real sinken die Einkommen der Bevölkerung schon seit Jahren um bis zu 15 Prozent. Das ist schmerzlich, aber nicht gefährlich für das Regime. Es ist ein langsamer Prozess, daher können die Menschen sich anpassen.

Kommt nun Putins letzte Amtszeit?

Niemand weiß das. Wenn man von der Entstehungslogik des Regimes ausgeht, dann wird es härter und repressiver. Putin entscheidet nicht alles selbst, er ist Geisel dieses gewachsenen Systems. Er kann nicht einfach so abtreten. Denn er weiß, sobald das Regime Schwäche zeigt, wird es wohl zusammenbrechen.

Also endet der Putinismus mit Putin?

Russland bleibt in jedem Fall bestehen (lacht). Das Regime bricht zusammen, oder geht in eine andere Form über. Ich sage nicht, dass danach eine demokratische Ordnung entsteht. Im Inneren ist das Regime jedenfalls nicht sehr stabil.

Lew Gudkow (61) ist einer der bedeutendsten Soziologen Russlands. Er leitet das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Russlands.
Lew Gudkow (61) ist einer der bedeutendsten Soziologen Russlands. Er leitet das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Russlands.
© Valeriy Levitin/picture alliance / dpa

Putins neue Kader sind jung, loyal und haben keine eigene Machtbasis.

Das ist für diktatorische Regimes typisch: das Ausbooten der alten Garde und das Stützen auf junge Kandidaten, die dem Diktator persönlich verpflichtet sind.

Sie nennen Russland eine Diktatur?

Zweifellos. Es herrscht eine von der Gesellschaft nicht kontrollierbare Macht. Das sind totalitäre Praktiken.

Jutta Sommerbauer

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