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Blick nach vorn: Markus Söder will die CSU zur Klimaschutz-Partei machen.
© Armin Weigel/dpa

Kurs der CSU: Wie sich Söder an die Spitze der Umweltbewegung setzen will

Wendig war Markus Söder schon immer. Doch nun mutet Bayerns Ministerpräsident seiner CSU Erstaunliches zu. Er will sie zur Klimaschutz-Partei machen.

Begonnen hat der erstaunliche Schwenk der CSU und ihres Vorsitzenden vor ziemlich genau fünf Monaten. Mit einem „Bienenstich“, wie der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter spöttelt.

Gut 1,7 Millionen Menschen hatten aus dem Stand heraus das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ gezeichnet. Fast ein Fünftel aller Wahlberechtigten in Bayern! Für Ministerpräsident Markus Söder – gerade frisch zum Parteichef gekürt und seit jeher mit einem Bauchgefühl für Volksstimmungen gesegnet – war sofort klar, dass alles anders werden musste. Und zwar schlagartig.

Wenn die CSU Volkspartei bleiben will, braucht sie aus Söders Sicht eine Kehrtwende

Wenn die CSU als Volkspartei überleben wollte, musste sie bei einem Thema, das die Bürger derart umtreibt, eine radikale Kehrtwende hinlegen. Auf den Punkt gebracht: Die Christsozialen hatten sich von der Partei des rigorosen Wirtschaftswachstums zu einer des engagierten Umweltschutzes zu wandeln.

Anfang April teilte Söder der verblüfften Landtagsfraktion mit, dass die Staatsregierung die Forderungen nach deutlich mehr Umwelt-, Natur- und Artenschutz übernehmen wolle. Komplett und unverändert. Drei Monate später beschloss der Landtag diesen Regelungskatalog, mit dem die Bayern nun alle anderen Bundesländer übertreffen, als Gesetz. Die Initiatoren aus der Umweltbewegung jubelten, sprachen von einem „historischen Tag“. Dass die Landwirte protestierten, als deren Beschützer sich die CSU bisher so gerne inszeniert hatte, war Söder plötzlich egal. Sind ja nur noch zwei Prozent der Wähler.

Heimliches Treffen mit den Aktivisten von Fridays-For-Future

Wenn du eine mächtige Bewegung nicht verhindern kannst, dann kapere sie und setze dich an ihre Spitze. Nach dieser Devise verfährt Söder nun auch in der Klimapolitik. Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ traf sich der CSU-Chef vor einer Woche ganz diskret mit Aktivisten der Fridays-For-Future-Bewegung. Fast zwei Stunden dauerte der Austausch in der Staatskanzlei. Und Söder scheint genau zugehört zu haben. Denn an diesem Dienstag präsentiert er seinem Kabinett ein dickes Bündel von Maßnahmen, das wie einer Ideensammlung der Grünen entnommen scheint.

Bayern, so Söders ehrgeiziges Ziel, soll bis 2040 komplett klimaneutral sein. Die bisherige Begrenzung für Photovoltaik-Flächen soll nahezu verschwinden. In nur zwei Jahren sollen im Freistaat hundert neue Windanlagen entstehen. Wälder und Moore sollen zu CO2- Speichern ausgebaut, der Verbrauch von Plastik im Alltag drastisch gesenkt werden. Schon im kommenden Jahr sollen zwei Drittel des Fuhrparks der Staatsregierung nicht mehr mit Verbrennungsmotor fahren. Flugreisen für Beamte und Politiker sollen deutlich verringert und auf die Bahn verlagert werden.

Klimaschutz als Staatsaufgabe ins Grundgesetz

Und vor allem: Söder will den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe im Grundgesetz verankert haben. Dafür sucht er nun den Konsens mit Bund, Ländern, Kommunen, anderen Parteien. Denn, so tut er staatsmännisch kund: Beim Klimaschutz handle es sich um eine „Jahrhundertaufgabe“, die nicht in irgendwelchen Parteienstreit gehöre.

Ob und wie dieses Öko-Feuerwerk die traditionell orientierte CSU verstört, wird sich zeigen. Er rechne „nicht mit einem Aufstand“, sagt der Politologe und Parteienkenner Oberreuter. Der Grund: Söder sitzt – auch wenn er noch so sprunghaft agiert – in unanfechtbarer Machtposition. Kabinett und Landtagsfraktion seien rundum „gesödert“, es gebe dort keinen ernsthaften Gegenspieler. Für die Partei gelte dasselbe.

Dobrindt geht noch weiter - und bringt Radikalumbau der Kfz-Steuer ins Spiel

So war fürs erste das glatte Gegenteil von Widerstand zu besichtigen: Landesgruppenchef Alexander Dobrindt versuchte den Chef bei der Klimapolitik auf die Schnelle sogar noch zu toppen. Bevor Söder am Wochenende mit seinen Plänen herauskam, präsentierte der bisher eher als Grünen-Basher denn als Umweltstratege aufgefallene Berlin-Statthalter via „Münchner Merkur“ weitere grundstürzende Ideen: teurere Flugtickets, günstigere Bahnpreise durch Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent.

Und, man höre und staune: einen Radikalumbau der Kfz-Steuer zu Lasten hochmotorisierter Geländewagen. Bayerns SUV-Massenproduzenten BMW und Audi zum Trotz.

Bisher blockierte die CSU im Bund alles, was nach Ökologie roch

Beobachter reiben sich die Augen. Was passiert da grade mit der Partei, die zwar im Freistaat bei aller Flächenversiegelung immer auch auf Naturschutz achtet, im Bund bisher aber alles blockierte, was nur im Entferntesten nach Ökologie roch. Hat sie nicht im Bundestag die Grünen mitausgebremst, die den Klimaschutz schon seit längerem im Grundgesetz verankert haben wollten.

Und stellte sie nicht über ein ganzes Jahrzehnt hinweg ununterbrochen die Verkehrsminister der Republik? Taten die sich etwa durch Versuche hervor, Gütertransport und Personenverkehr auf die Schiene zu verlagern, das Fliegen zu verteuern, das Autofahren in Städten zu erschweren? Im Gegenteil: Straßenbau hatte bei den Christsozialen immer absoluten Vorrang.

In der Flüchtlingspolitik absolvierte Söder eine ähnliche Kehrtwende

Der Kurswechsel erfolge in der „Söder-eigenen Radikalität“, sagt Oberreuter. Der Parteichef versuche alles loszuwerden, was die CSU in irgendeiner Weise belasten könne. Oder als rückwärtsgewandt erscheinen lasse. Der Sturzflug der SPD sei ihm offenbar eine Mahnung. Und dass er eine 180-Grad-Wende hinlege, bei der kaum einer mitkomme, sei nicht das erste Mal. In der Flüchtlingspolitik habe sich Söder ähnlich verhalten. „Erst radikaler als alle anderen, dann den Seehofer allein stehengelassen“. Man erinnere sich nur an Söders Wort vom Asyl-Tourismus, das der Bundesinnenminister nie in den Mund genommen hat.

Ist das bloß Opportunismus? Oder beruhen solche Turn-Arounds tatsächlich auf neuen Einsichten, gepaart mit Ungeduld?

Bei Umweltthemen schon immer sensibel

Tastsache ist: Bei Umweltthemen war Söder, der ja in Bayern auch drei Jahre lang der dafür zuständige Minister war, schon immer sensibel. Und oft auch vorneweg. Vor zwölf Jahren beispielsweise forderte der forsche Franke ein Verbot der Neuzulassung von Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2020. Und 2009 war er der erste hochrangige CSU-Politiker, der sich gegen den umstrittenen Donauausbau stellte. "Wenn wir als CSU in der Zukunft mehr Prozentpunkte wollen als 43, ist es wichtig, dass wir uns den Zielgruppen zuwenden, die sich nicht nur mit Beton beschäftigen“, sagte er damals.

Schon klar: Die CSU hatte zu diesem Zeitpunkt gerade die absolute Mehrheit verloren. Und diesmal? Steht sie hilflos neben der Riesenresonanz auf ein schwedisches Schulkind, das den untätigen Politikern in Sachen Klimaschutz die Leviten liest. Und erlebt einen geradezu kometenhaften Zuspruch für die Grünen.

Schwarz-Grün als Perspektive?

„Zwei Megatrends“ veränderten die Welt, hat Söder neulich diagnostiziert: Digitalisierung und Klimawandel. Man könne nicht immer einflussloser werdende Wählergruppen bedienen und dabei zusehen, wie die Leistungsträger der Zukunft zu den Grünen abwanderten, argumentiert er intern. Wenn er überhaupt argumentiert und sein Ding nicht einfach durchzieht.

Eine Zielrichtung könne natürlich die schwarz-grüne Perspektive sein, sagt Oberreuter. Im eigenen Land, auch im Bund. Manche orakeln sogar schon von einer denkbaren Kanzlerkandidatur, angesichts des konturlosen CDU-Personals. Doch das ist bislang wilde Spekulation. Wenn Söder der eigenen Truppe zu viel zumutet, wenn sie ihm bei den verordneten Häutungen nicht zu folgen vermag, braucht keiner an so was zu denken. Im Gegenteil: Dann könnte der wendige CSU-Vorsitzende auch wie ein Maulheld dastehen.

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