„Seid zu einer Eskalation bereit“: Wie Republikaner mit einer „Army for Trump“ Angst vor dem Wahltag schüren
Das Wahlkampfteam von Trump will schon 50.000 freiwillige „Wahlbeobachter“ rekrutiert haben. Swing States wie Pennsylvania bereiten sich auf Störungen vor.
Am Mittwoch wandte sich Donald Trump erneut eindringlich an seine Unterstützer: „Mach mit und sei ein Wahlbeobachter“, schrieb der Präsident in einem Tweet, „Kämpfe für Präsident Trump“. Dazu gab es einen Link auf die Seite, auf der sich Freiwillige für die „Army for Trump“ registrieren können.
„Wahlbeobachter“ und „kämpfen“, das scheint zunächst unvereinbar. In Trumps Welt aber passt das zusammen, ja, es gehört sogar zusammen. Denn die „Beobachter“, die er meint, sind keineswegs nur Beobachter.
Die Republikaner setzen „Wahlbeobachter“ ein, um Bürger vom Wählen abzuhalten
„Poll watcher“, Wahlbeobachter, sind in den Vereinigten Staaten Tradition und in den Wahlordnungen der Bundesstaaten verankert. Allen an der Wahl beteiligten Parteien steht das Recht zu, Beobachter bei den lokalen Wahlbehörden registrieren zu lassen. Was diese dürfen und nicht dürfen, ist geregelt. In Pennsylvania zum Beispiel müssen die „poll watcher“ aus dem Bezirk stammen, in dem sie auch selbst wählen. Sie dürfen in Wahllokalen anwesend sein, wenn sie einen Verstoß vermuten, aber nicht selbst einschreiten, sondern müssen dem Vorsitzenden des jeweiligen Wahllokals Bescheid geben.
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Gerade den Republikanern wurde allerdings immer wieder vorgeworfen, ihre Wahlbeobachter dazu anzuhalten, Wähler abzuschrecken. Eine hohe Wahlbeteiligung ist gut für die Demokraten. Maßnahmen, um Bürger vom Wählen abzuhalten, gehören daher zur Strategie der Republikaner. Trump hat das im März in einem Interview mit dem Sender „Fox“ sogar offen gesagt. Ein Covid-19-Hilfspaket der Demokraten, das Gelder für die Organisation der Briefwahl enthalten hätte, kommentierte er mit den Worten: „Die hatten da Sachen drin, ein Level an Wahlbeteiligung, wenn man da zustimmen würde, würde in diesem Land nie wieder ein Republikaner gewählt.“
1981 trieben es die Republikaner auf die Spitze
1981 trieben es die Republikaner bei einer Wahl in New Jersey soweit, dass ein Richter das Nationale Organisationskomitee der Partei verpflichtete, sich Wahlbeobachtungsmaßnahmen vorab genehmigen zu lassen. Sie sollen damals gezielt ehemalige Polizeibeamte rekrutiert haben, um bewaffnet in überwiegend afroamerikanischen Vierteln Wähler auf der Straße zu kontrollieren. Diese Verordnung lief jedoch 2018 aus. Beobachter vermuten, dass die Republikaner das bei dieser Wahl ausnutzen könnten.
Nach eigenen Angaben hat die Partei bereits 50.000 „poll watcher“ rekrutiert. Der Sender ABC hat kürzlich eine Videoaufzeichnung von einer der Trainingssessions für die Beobachter zugespielt bekommen. Der Anwalt, der die Session leitet, erklärt in dem Video zwar korrekt, dass die Wahlbeobachter Wähler nicht behindern dürfen. Er hält sie aber auch dazu an, Fragen zu stellen, und sagt: „Seid zur Eskalation bereit.“
„In Philadelphia passieren schlimme Dinge“, behauptet Trump
Der Präsident selbst tut, was er kann, um eine Drohkulisse aufzubauen. Er spricht gern über die „poll watcher“ – denn das zahlt auch auf sein Dauerthema ein, den angeblich zu erwartenden Wahlbetrug. Im ersten TV-Duell sagte Trump: „Ich fordere meine Unterstützer eindringlich auf, in die Wahllokale zu gehen und sehr genau hinzuschauen, denn das ist, was passieren muss.“ „Poll watcher“ seien in einer Stadt in Pennsylvania aus Wahllokalen „hinausgeworfen“ worden. „Und wisst ihr, warum? Weil in Philadelphia schlimme Dinge passieren.“ Es war dasselbe Duell, in dem er auch die „Proud Boys”, eine rechtsextreme Gruppierung, aufforderte: „Haltet euch zurück und seid bereit.” Warum ausgerechnet Philadelphia?
Die Bürger vom Wählen abzuschrecken lohnt sich vor allem dort, wo es knapp ist und schon wenige Stimmen einen großen Effekt haben können. Der Staat Pennsylvania und die Stadt Philadelphia sind ein solcher Ort. Pennsylvania fiel 2016 zum ersten Mal nach sechs Wahlen infolge wieder an einen Republikaner – Donald Trump. Er konnte drei Bezirke kippen, die vorher demokratisch gewählt hatten, unter anderem in deindustrialisierten Kohle-Abbaugebieten. Die Ergebnisse in den liberalen Großstädten Pittsburgh und Philadelphia konnten das nicht wieder wett machen. Das scheint Trump wiederholen zu wollen. Für ihn ist es also wichtig, dass in den großen Städten in Pennsylvania weniger gewählt wird.
Wähler abzuschrecken, lohnt sich vor allem in Staaten, in denen es knapp wird
Da dieses Mal ein Großteil der Stimmen per Briefwahl oder Vorwahl abgegeben wird, hat Trumps Wahlkampfteam versucht, auch auf die Vor- und Briefwahl mit „poll watchern“ Einfluss zu nehmen. Bis Ende Oktober hatten in Philadelphia schon mehr als 420.000 Menschen ihre Stimme abgegeben, normalerweise zählt die Stadt bei einer Präsidentschaftswahl rund 700.000 abgegebene Stimmen.
Im Oktober eröffneten in Philadelphia neben dem Rathaus 15 weitere Ausgabestellen für Briefwahlunterlagen, an denen Wähler die Stimmzettel auch ausfüllen und einreichen konnten. Trumps Wahlkampfteam schickte daraufhin Freiwillige als vermeintliche „poll watcher“ zu diesen Orten. Sie wurden nicht eingelassen – und auf diesen Vorfall bezog sich Trump dann im TV-Duell. Die „Wahlbeobachter“ waren allerdings gar nicht gemäß der Wahlordnung registriert. Die Stadt argumentierte außerdem, bei den Briefwahlbüros handele es sich nicht um Wahllokale, sondern um Verwaltungszweigstellen. Die Republikaner klagten dagegen – verloren allerdings sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Dass sie den Rechtsstreit suchten, zeigt allerdings, wie verbissen der Kampf geführt wird.
Zwei Männer sollen Wähler fotografiert und eine Helferin belästigt haben
Seit dem Gerichtsurteil verläuft die vorgelagerte Stimmabgabe, bei der Bürger ihre Wahlunterlagen persönlich vorbeibringen können, offenbar insgesamt friedlich. Freiwillige Helfer an zwei Vorwahlbüros, dem zentralen in der Innenstadt und einem in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteil, berichten, sie hätten keine „poll watcher“ wahrgenommen und keine Störungen erlebt – mit wenigen Ausnahmen.
Cory Mast, ein 30-jähriger Freiwilliger aus Kalifornien, erzählt von einem einzelnen Erlebnis. Mast arbeitet für die unparteiische NGO „Working Families Party“. Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist er am Rathaus im Einsatz, ein paar Tage zuvor half er Wählern an der Overbrook Elementary School, einer Grundschule in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteil. Dort hätten sich zwei Männer mit Campingstühlen postiert, einer habe ein Trump-Cap getragen. Die Männer hätten Fotos gemacht und behauptet, einige der Wähler hätten mehrere Briefe mit Wahlunterlagen abgegeben. Einer freiwilligen Helferin seien sie sogar bis zu ihrem Auto gefolgt, als diese nach Hause ging.
Eine Frau hält Freiwillige mehrere Stunden in Atem
Am Rathaus selbst hätten er und eine Kollegin ein seltsames Erlebnis gehabt, das sie aber nicht recht zuordnen können. „Einen Tag lang war hier eine ältere russische Frau, sie sprach kaum Englisch“, erzählt Mast. „Sie hatte einen Umfragebogen von Trumps Wahlkampfteam dabei und behauptete, das seien ihre Briefwahlunterlagen. Sie war stundenlang hier und hat alle von der Arbeit abgehalten. Das kam mir alles sehr seltsam vor. Ich habe mich irgendwann gefragt, ob sie das nur spielt oder wirklich verrückt ist, aber ich weiß es nicht.“
Der Vorfall an der Overbrook Elementary School scheint einmalig gewesen zu sein. Jahira Nixon, eine junge Frau, die selbst hier zur Schule gegangen ist und regelmäßig aushilft, ebenfalls für die „Working Families Party“, sagt, ihr sei noch nie etwas Besonderes aufgefallen. „Die Wahl ist hier im Viertel ein riesiger Erfolg“, sagt sie, „wir haben echt die besten Leute hier.“ Auch andere Freiwillige, die an der Schule aushelfen, haben keine Erlebnisse mit „Wahlbeobachtern“.
Ein Experte ist zuversichtlich: „Wir sind auf alles vorbereitet.“
David Thornburgh beobachtet den Wahlablauf für die Bürgerrechtsorganisation „Committee of Seventy“. Der Präsident der Organisation ist in engem Kontakt mit den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung. Auch ihm sind keine Vorfälle bekannt. Dass die Wahl so ruhig verläuft, führt er auf die Gerichtsurteile gegen die Trump-Kampagne zurück. Und darauf, dass der demokratische Bürgermeister der Stadt, Jim Kennedy, sich sehr deutlich geäußert hat. Für die Sicherheit der Wahl seien die Wahlleiter zuständig, „nicht Bürgerwehren der ,Prouds Boys', die die Leute davon abhalten, in die Wahllokale zu gehen“, sagte Kennedy im Oktober. „Wenn sie am Wahltag nach Philadelphia kommen, werden die Wahllokale sicher sein."
Dem Wahltag sieht Thornburgh mit gespannter Gelassenheit entgegen. „Das ist eine sehr, sehr außergewöhnliche Wahl. Wir sind auf alles vorbereitet“, sagt er. Dass es zu Ausschreitungen vor Wahllokalen kommt, hält er aber nicht für besonders wahrscheinlich: „Das wird natürlich ein intensiver Tag für Freiwillige beider Parteien. Sie werden präsent sein und die Leute ermutigen, für ihren Kandidaten zu stimmen. Vielleicht kommt es auch zu verbalen Auseinandersetzungen. Wir nehmen die Wahl sehr ernst hier.“
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Die Sorge vor Störungen aber bleibt. Nicht zuletzt, weil etwa die „Proud Boys“ erst kürzlich in der Stadt Präsenz gezeigt haben. Ende September zogen sie in Kampfmontur zur „Independence Hall“ - dem Ort, an dem sowohl die Unabhängigkeitserklärung als auch die amerikanische Verfassung angenommen wurden - und sangen dort die Nationalhymne.
Trumps Kampagne wirkt: Die Angst vor dem Wahltag ist da
Im September traf sich auch ein Krisenstab der Stadt. Mit dabei: Vertreter der Stadtverwaltung, der Polizei und der Feuerwehr. Nach Informationen des „Philadelphia Inquirer“ aus Teilnehmerkreisen spielten die Verantwortlichen Reaktionen für den Fall durch, dass es in der Stadt zu Unruhen kommt, etwa, weil Trump zunächst in Pennsylvania führt, danach aber durch die „blaue Welle“ der Briefwahlstimmen zum Verlierer wird. Und für den Fall, dass es Auseinandersetzungen in und um Wahlbüros gibt.
Vielleicht ist es schon ein kleiner Sieg für Trumps „poll watcher“-Kampagne, dass solche Szenario-Spiele überhaupt stattfinden. Denn darum geht es ja: Um die Angst vor dem Wahltag.