Verschwörungstheorien und Hetze: Wie Rechte die Spaltung Spaniens vorantreiben
Spanien wählt ein neues Parlament und erlebt einen harten Kampf um die Macht. Die rechte Populistenpartei Vox polarisiert das Land.
Frühes Schlafengehen und Politikinteresse lassen sich in Spanien in diesen Tagen kaum miteinander vereinbaren. Es ist kurz vor 22 Uhr, als die zweite TV-Debatte der Spitzenkandidaten für die spanischen Parlamentswahlen beginnt. Zwei Stunden früher würde kein Mensch einschalten. In Spanien verschiebt sich das Leben traditionell ein Stück weiter nach hinten. Das Arbeiten, das Essen – alles beginnt später, also auch die Fernseh-Primetime. Kein Politiker käme auf die Idee, gegen den Genuss einer guten Mahlzeit in Konkurrenz zu treten.
Der Arzt Sergio Valdes hat es sich – gut gesättigt – mit einem Fläschchen Bier vor dem heimischen Fernseher in der andalusischen Küstenstadt Málaga gemütlich gemacht. Am Sonntag wird gewählt. Valdes ist noch etwas unschlüssig wie viele andere auch. Vielleicht kitzeln die Moderatoren diesmal mehr aus den Politikern heraus als die Journalisten des staatlichen Fernsehens am Tag zuvor, hofft er. Vielleicht überrascht einer der Kandidaten und offenbart ein plausibles Rezept gegen die Herausforderungen, die das Land vor der Brust hat.
Vier Herren stehen im Studio. Junge Politiker zwischen 38 und 47 Jahre alt, nur einer mit wenigen grauen Strähnen. Drei tragen Anzug samt Krawatte, einer einen schwarzen Pullover. Sie wirken selbstbewusst.
Der amtierende Regierungschef und Sozialdemokrat Pedro Sanchez und der Konservative Pablo Casado lenken die Altparteien PSOE und PP. Sie repräsentieren die beiden maßgebenden politischen Positionen der 1980er Jahre, jenes erste Jahrzehnt nach dem Tod von Diktator Franco, mit einem jugendlichem Anstrich. Pablo Iglesias und Albert Rivera sind die Lichtgestalten der neuen Bewegungen, der linken Podemos und der liberal-bürgerlichen Ciudadanos. Die Parteien sind noch so jung, dass sie bislang keine anderen Führungsfiguren kennen gelernt haben als diese beiden.
Das erweiterte Parteienspektrum ist mit diesem Quartett nicht komplett. Es fehlen die Rechtspopulisten von Vox, die im Dezember in Andalusien 12 Sitze im Regionalparlament holten und jetzt Umfragen zufolge auf ein sattes Wahlergebnis von zwölf Prozent hoffen können. Der nationale Wahlvorstand entschied gegen eine Vox-Teilnahme an der TV-Debatte, weil die Partei bislang keinen Sitz im spanischen Parlament einnimmt. Doch kaum wächst das rechte Bewusstsein in der Bevölkerung, sprießen die Verschwörungstheorien. Man wolle die Rechten ausgrenzen, ihnen keine Plattform geben, glauben einige ihrer Anhänger.
Gegen Flüchtlinge und für Franco-Devotionalien
An einem Informationsstand der Partei im Zentrum von Málaga wollen die Rechten die Passanten für ihre Sache begeistern. Sie wollen die Wucht ihres Triumphes in Andalusien dazu nutzen, um von hier aus das gesamte Land von ihren Ideen zu überzeugen. Gut gekleidet und freundlich lächelnd erklären sie, weshalb sie gegen Migranten sind, weshalb sie den Katalanen den Autonomie-Status entziehen wollen und weshalb sie das Verbot von Franco-Devotionalien wieder aufheben wollen. Ein älterer Herr mit grauem Haar trottet an dem Stand vorbei. „Mit Faschisten rede ich nicht“, pflaumt er einen Jüngeren an, der ihm mit blumigen Worten ein Flugblatt in die Hand drücken will.
Nicht jeder ist so rigoros. „Du hast deine Meinung, ich habe meine Meinung. Respektieren wir das gegenseitig, und wir brauchen uns nicht zu streiten“, sagt Jesus Salgado. Er ist Anwalt. Seine Tochter geht auf eine englischsprachige Schule in einem der besseren Wohnviertel der Stadt. Die linken Parteien haben gleich darauf verzichtet, hier ausufernd Wahlwerbung zu machen. Ihre Plakate häufen sich eher im Westen und in den Vierteln um das Fußballstadion La Rosaleda, wo sich der FC Málaga zurzeit schwer tut, den Wiederaufstieg in die erste Liga zu schaffen.
Salgado aber ist keineswegs ein Konservativer, geschweige denn ein Rechter. Aber verdammen will er die Radikalen auch nicht. Er sagt: „Die politische Einstellung ist nur ein kleiner Teil des Lebens. Wir sollten uns deswegen nicht aus dem Weg gehen, sondern über unsere Gemeinsamkeiten sprechen. Davon gibt es doch noch genug.“
Doch Vox ist mit dafür verantwortlich, dass sich der Ton verschärft hat in Spanien. Hetze gegen Migranten und Katalanen sind die eine Sache. Aber vor allem treibt Vox die Konservativen und Bürgerlichen vor sich her. Der neue PP-Chef Casado leistet sich regelmäßig verbale Grenzüberschreitungen, weil ihm die Wähler weglaufen. Laut Umfragen sind es nur rund 20 Prozent, ein Desaster für die Volkspartei. Mit ihrer Rhetorik wollen die Politiker die Radikalen kontern und treiben damit Keile zwischen die moderaten Schichten der Gesellschaft.
Sanchez hatte Neuwahlen selbst angesetzt
Casado sagt, eine mögliche linke Koalition würde sich aus Terroristen, Separatisten, Chavisten, Castro-Sympathisanten und Verschwörern zusammensetzen. Premierminister Sanchez nennt er eine „öffentliche Gefahr“ für das Land. Auch Ciudadanos-Chef Rivera schlug schon in diese Kerbe und verglich Regierungschef Sanchez mit einem „nationalen Notfall“, der beseitigt werden müsse. Sanchez hatte die Neuwahlen selbst angesetzt, weil seiner Minderheitsregierung die Zustimmung für den Haushalt 2019 versagt blieb. Nur acht Monate hatte er zu diese Zeitpunkt regiert, nachdem er Vorgänger Mariano Rajoy per Misstrauensvotum aus dem Amt gejagt hatte.
Der Arzt Valdes mag die neue Form der Auseinandersetzung nicht. Er wünscht sich mehr Sachlichkeit und Kooperation. Er schafft noch zwei weitere Flaschen Bier an diesem politischen Fernsehabend. Es sind nur Viertelliterflaschen. Aber kurz vor Mitternacht ist der 44-Jährige so schlau wie vorher. „Nichts Neues dabei. Alle haben gesagt, was sie sagen mussten“, meint er. „Viel Polemik und ständig dieses gegenseitige Bezichtigen der Lüge.“ Einzig der Linke Iglesias hätte sich aus diesen Scharmützeln herausgehalten und sachlich argumentiert. „Aber die Linken wähle ich nicht. Die sind mir zu wirtschaftsfeindlich. Du musst auch mal Leuten den roten Teppich ausrollen, die du nicht magst“, sagt Valdes.
Zu seinem Verdruss hat der Ciudadanos-Kandidat Rivera eine Koalition mit den noch regierenden Sozialdemokraten ausgeschlossen. Die Umfragen deuten daraufhin, dass dies die einzige mehrheitsfähige Konstellation ergeben könnte – mit PSOE als stärkster Kraft. Jetzt aber läuft wohl alles darauf hinaus, dass Linke oder Rechte neue oder alte Bündnisse schustern und dann als Minderheitsregierung ihr Glück versuchen werden.
Hohe Arbeitslosigkeit und viele weitere Probleme
Aber würde Spanien damit froh werden und die Probleme gelöst? Die Arbeitslosigkeit ist noch immer viel zu hoch. Nach einem deutlichen Aufwärtstrend in den vergangenen Jahren ging es zuletzt wieder bergab. Auch die soziale Ungleichheit ist seit der Krise vor zehn Jahren immer größer geworden. Das öffentliche Gesundheitssystem lässt Patienten teilweise Wochen oder Monate warten, ehe sie einen Termin beim Spezialisten bekommen. Und der Konflikt mit den Unabhängigkeitsbefürwortern in Katalonien hat sich so zugespitzt, dass er bald schon einem Pulverfass gleichen könnte.
Valdes hat den Fernseher abgeschaltet. Am nächsten Tag grübelt der Arzt am späten Nachmittag mit einem Freund in einem Café über den möglichen Ausgang der Wahl. „Wir haben jetzt mehr Parteien. Und das ist eine gute Sache, weil sich jeder repräsentiert sieht. Aber die großen Parteien müssen endlich zusammenfinden und zusammenarbeiten.“ Den Beweis, dass die Parteien das können, sind sie bislang schuldig geblieben. Nach der Wahl 2015 benötigte es eine Neuwahl und insgesamt zehn Monate, ehe eine neue Regierung gefunden war.
Marcel Grzanna