Politische Stilkritik: Wie Politiker auf das Volk wirken
Bei öffentlichen Auftritten versuchen Politiker ein bestimmtes Bild von sich zu erzeugen. Doch die richtige Inszenierung ist nicht einfach. Welcher Politiker kann überzeugen und wer braucht 2012 eine neue Strategie?
1 Unter deutschen Dächern
Es wäre auch unter anderen Umständen etwas unpassend gewesen: Bundespräsident Christian Wulff im Weißen Haus. Das ist nämlich seit seinem Amtsantritt 2010 das Skript für die Weihnachtsansprache im Schloss Bellevue: statt steifer Rede in die Kamera lockeres Rumstehen in einer Art Kaminzimmer, inmitten des Volks. Und zwar nicht irgendeines, sondern des neuen deutschen Volks. Bürgerinnen und Bürger mit dunkler Hautfarbe sind mit dabei, „one of each race“, und gleich fühlte man sich ein bisschen wie vor dem US-Fernseher zu Weihnachten: „Ladies and Gentlemen, the President of… .“
Doch Wulff ist eben kein Obama. Vor der präsidialen Weihnachtssoap in diesem Jahr wurden dicke Schlagzeilen geplant, weil man schon vorab wusste, dass er in seiner Ansprache NICHT über seinen Hausbaukredit plaudern würde. Das tat er auch nicht, trotzdem strafte allein die Inszenierung alle Titelseiten Lügen – lauter hätte der erste Mann im Staate sich nicht äußern können. Denn der Niedersachse, der privat, wie inzwischen alle wissen, in einem Haus lebt, mit dem kein Wüstenrot-Vertreter mehr Kleinbürgerfantasien befeuern würde, setzte sich auch 2011 wie einer der Mächtigen in Szene.
Warum muss er – privat auf Pump so klein gemacht – im Dienst am Vaterland im Berliner Schloss trotzdem auf Weißes Haus machen? Das alles wirkt seltsam angesichts der Fotos von Wulffs Walmdach in Großburgwedel, dem Biederbackstein darunter, den Freitreppen davor und dem Glacis aus tadellos gestutztem Rasen. Hoffen wir auf das neue Jahr und eine andere Inszenierung zum nächsten Weihnachtsfest!
2 Endlich angekommen
In Lateinamerika haben sie Angela Merkel gerade zur „Persönlichkeit des Jahres 2011“ gekürt. Die deutsche Kanzlerin habe die Fähigkeit „Krisen zu bewältigen und einen kühlen Kopf auch in sehr kritischen Situationen zu behalten“, fanden Zeitungsherausgeber aus elf Ländern. Tatsächlich hat die Bundeskanzlerin selbst in Deutschland zuletzt eher gute Noten für ihr Beharrungsvermögen in der Euro-Krise bekommen. Nach sechs Jahren im Amt scheint sie ihre Rolle gefunden zu haben. Europa-Partner Sarkozy wirkt meist nur noch wie „der Mann an ihrer Seite“, der zwar auf Augenhöhe mit ihr in die Kameras lächeln darf (was Gernegroß Sarkozy an sich ja schon viel bedeutet), hinter verschlossenen Türen aber nicht mehr viel zu sagen hat. Berlusconi ist Geschichte, Cameron geht eigene Wege, die anderen Partner haben sich der deutschen Führung mehr oder weniger widerwillig angeschlossen – die stets wiederkehrenden Karikaturen von Merkel wahlweise im Domina- oder Nazikostüm dürften auch Polen und Briten nur noch langweilen. In Deutschland wird über das Äußere der Kanzlerin ohnehin nicht mehr gesprochen. Auch in dieser Hinsicht scheint ihr Stil endgültig akzeptiert zu sein: schlichte Anzüge, gelegentlich eine neue Blazerfarbe, 2011 kam schokobraun hinzu, dann und wann eine neue Kette oder Handtasche. Ihre aktuelle, orangefarbene Tasche trägt die Kanzlerin mit dem ihr eigenen Humor. Und ob es Zufall war, dass sie ausgerechnet beim Empfang mit den deutschen Bischöfen am Vorabend des Papstbesuchs eine kardinalrote Jacke trug? Kleiderfragen sind Machtfragen, das weiß sie sehr genau. Vorbei sind allerdings die Zeiten, da Merkel bei den Bayreuther Festspielen selbstbewusst mit Mann und Federboa auftrat oder gar im tief dekolletierten Kleid wie 2008 in der Osloer Oper. Seit der Bayreuther Schweißfleck-Affäre, ebenfalls 2008, gilt auch hier: keine Experimente. Dabei könnte sie sich das längst wieder leisten.
Hillary Clinton, Mario Monti und Karl-Theodor zu Guttenberg.
3 Auf der Suche
Einer der fiesesten Sprüche im Macho-Mobbing gegen die erste aussichtsreiche US-Präsidentenkandidatin ging so: Ob man wirklich einer Frau vier Jahre lang beim Altern zusehen wollte, höhnten die Republikaner, als Hillary Clinton sich noch gegen Barack Obama um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bewarb. Sie unterlag Obama – und bemüht sich nun als seine Außenministerin ihre Gegner zu widerlegen: Wie ein Teenie züchtet sich Hillary seit einiger Zeit das gepflegte Blondhaar auf Langmähne zurecht. Ende noch nicht abzusehen - denn dass sie mit dem strengen Klosterschülerinnenzopf, den es in Birma zu sehen gab, am Ziel des Re-Stylings ist, wird ihr der Imagestab hoffentlich ausreden. Auch zurück zu den Hängesträhnen des Übergangs – der ist immer hart, wie jede 14-Jährige weiß – führt wohl kein Weg, denn sie gaben der Trägerin etwas, das noch unfroher war als die Weltlage. Diese Welt darf unterdessen rätseln, was Hillarys Haupt über die US-Außenpolitik verrät. Die Frau, die mit 64 Jahren ihre Frisur noch nicht gefunden hat, während sich ihre Kleidung farblich bereits gefährlich der Queen annähert, scheint auch politisch noch immer auf der Suche. Der Nahostkonflikt ist ungelöst, neue Themen nicht in Sicht. Irans Präsident Ahmadinedschad jedenfalls hat das neue Jahr mit alten Spielchen eingeläutet, und der neue Herrscher in Pjöngjang, Kim Jong Wer…?, weiß es offenbar nicht besser als sein Vater. In Washington immerhin ist frischer Wind in die Nachbarschaft der US-Chefdiplomatin eingezogen – mit Christine Lagarde steht nun eine Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds, die zeigt, dass Macht und Mode durchaus vereinbar sind. Die dezente Eleganz der Französin und ihr weißgrauer Kurzhaarschnitt beweisen: Politikerinnen können durchaus in Würde altern. Und den Republikanern sei gesagt, dass es auch kein Vergnügen war, Putin und Berlusconi beim Nichtaltern zuzusehen.
4 Neue Nüchternheit
Italien verwöhnt die Augen endlich wieder mit Understatement. Unter Berlusconis Nachfolger Mario Monti ist Schluss mit dem lauten Bling-Bling; die protzigen Golduhren, die gelifteten Gesichter, die Machosprüche und die Obszönitäten sind verschwunden. Statt Privatjets oder dem Konvoi der berüchtigten „auto blu“ des Politadels erleben die Italiener jetzt einen Premier, der in Mailand in den Zug nach Rom steigt. Er trägt naturbelassene Haut und nur eigenes Haar und lässt sich nicht mit Starlets und „Escorts“ erwischen, sondern geht an der Seite der Gattin zum Gottesdienst. Sein Kabinett der Professorinnen und Professoren versammelt respektable Lebensläufe, und Italiens Ministerinnen dürfen wieder Falten haben, wie man sie vom Nachdenken und vom Älterwerden eben kriegt.
Doch Roms neue Nüchternheit fällt nach all den grellen Jahren so sehr auf, dass sie bereits genauso von der tatsächlichen Politik ablenkt wie jahrelang die Orgien und Sprüche Berlusconis. Die „Regierung der Experten“, wie diese Intermezzi in Italien seit je heißen, hat noch keinen harten Bruch mit der Vorgängerin geschafft. Wenn sie ihn denn will. Was Monti und die Seinen bisher angekündigt haben, trifft wie bisher die Armen und die untere Mittelschicht, vor allem die Angestellten und Rentner, es schont die Reichen und die Kirche. Dem Medientycoon Berlusconi, den er vorerst vertrieben hat, hätte Monti am liebsten weitere Fernsehfrequenzen geschenkt - bis der Volkszorn zu hoch kochte (und der zuständige Minister – ein Bankier – wenigstens Versprechungen an das Volk machte). Vielleicht wird die Regierung Monti, Anzuggrau und öffentlicher Nahverkehr, ja die gelungenste Inszenierung des neuen Jahres.
5 Weniger ist weniger
Männer haben es schwer. Inzwischen auch in der Politik. Die spielt seit langem in Brüssel, weshalb es die in Berlin Verbliebenen nur selten schaffen, mit ihren Themen durchzudringen. Neben der Eurokrise erscheint alles andere unwichtig - auch die Opposition und sogar der kleine Koalitionspartner. Frank-Walter Steinmeier (zur Erinnerung: SPD-Fraktionsvorsitzender) und Guido Westerwelle (nur noch Außenminister) haben in ihrer Verzweiflung darauf gesetzt, ihre Aufmerksamkeitswerte durch neue, Profil schärfende Brillen zu erhöhen. Beide tragen jetzt markante schwarze Hornbrillen, eigentlich ein Tabu für Politiker, denn die gelten als Gift für die Sympathiewerte. Doch die Zeiten ändern sich, und die beiden wollten vielleicht als freundliche Nerds durchgehen. So oder so, genutzt hat es nichts. Den wenigsten sind die neuen Accessoires der beiden Herren überhaupt aufgefallen. 2012 müssen sie es also wieder mit Inhalten versuchen. Weniger ist mehr, sagte sich dagegen Großplagiator Karl-Theodor zu Guttenberg. Im amerikanischen Exil zeigte sich der Ex-Hoffnungsträger der deutschen Politik ganz ohne Brille und Gel und fühlte sich, auf diese Weise rund-erneuert, berufen, das Management der Europäer in der Schuldenkrise zu kritisieren. Den gewünschten Erfolg brachte das freilich nicht. Denn während die Hofer Staatsanwaltschaft in seiner Doktorarbeit 23 strafrechtlich relevante Urheberrechtsverstöße, sprich von anderen Autoren abgekupferte Stellen, ausmachte, sieht der Freiherr auch mit Abstand noch immer nur hochanständige Schludrigkeit. Da die Deutschen auf eine schludrige Bundeswehr- und Europa auf eine ebensolche Finanzreform allerdings gut und gerne verzichten können, muss man wohl mit Guttenberg selbst sagen: Dieses Comeback ist „vorerst gescheitert“. Dank seiner On-Off-Beziehung zu CSU-Chef Horst Seehofer ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass Ex-Ex Guttenberg auch in diesem Jahr wieder von sich reden machen wird.
Andrea Dernbach, Ulrike Scheffer
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