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Auf "Zuhör-Tour": Die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer spricht im Konstanzer Konzil zu CDU-Mitgliedern.
© Patrick Seeger/dpa

"Zuhör-Tour" der CDU-Generalsekretärin: Wie Kramp-Karrenbauer auf die CDU-Basis zugeht

Annegret Kramp-Karrenbauer ist unterwegs, um von der CDU-Basis zu lernen und Ideen für ein Grundsatzprogramm zu sammeln. Für sie steht aber noch viel mehr auf dem Spiel.

Was das miese Ergebnis bei der Bundestagswahl angeht, hat der kleine Stämmige eine handfeste Erklärung. Der Mann hat viele Jobs gehabt im Leben, jetzt arbeitet er für eine Hausverwaltung. Früher hat das dort ganz gut funktioniert mit dem Mülltrennen. Dann zogen Flüchtlinge ein „und schmeißen in die gelben Säcke Bügeleisen und Bananenschalen“. Dann stiegen natürlich die Müllgebühren. „Dann kommen die Hassmasken von der AfD und sagen, da seht ihr, was ihr von Merkels Politik habt.“

Der kleine Stämmige schüttelt den Kopf. So was müssten die Neuen lernen, das praktische Leben, statt im Integrationskurs die Namen der 16 Bundesländer. Schnell in Beschäftigung bringen müsste man sie auch. „Die haben keine Arbeit und stehen nur rum.“ Und da wundern sich die in Berlin, dass es böses Blut gibt!

Die aus Berlin legt den Kopf etwas schief. Aber Annegret Kramp-Karrenbauer wollte ja wissen, wie die CDU-Basis denkt. Gut 100 Mitglieder sind an einem sonnigen Frühsommerabend in den Hotelsaal in Minden gekommen. An der Stellwand hinter der Generalsekretärin ist der Motto-Schriftzug „Zuhör-Tour“ förmlich eingekreist von Zetteln mit Fragen und Wortmeldungen.

Zwei Mitarbeiter haben versucht, sie unter Themen zu ordnen, „Wirtschaft“, „Familie“, „Rente/Soziales“. Der kleine Stämmige fällt unter „Integration“. Das ist meist der vorletzte Punkt bei den gut 40 Terminen, die Kramp-Karrenbauer gerade im ganzen Land absolviert. Die Leute sollen sich etwas warmreden können vor den heißen Eisen.

"Unsere Partei"

Der letzte Punkt ist immer „Unsere Partei CDU“. Theoretisch ist er der wichtigste. Die Tournee der Generalsekretärin dient schließlich dazu, der Christlich-Demokratischen Union ein neues Grundsatzprogramm zu geben. Kein Wahlprogramm, keine Regierungspläne– neue Grundsätze. Die aktuellen sind erst ein Jahrzehnt alt, aber so was nutzt sich halt schnell ab beim Regieren.

Wer die Idee zu der Renovierung hatte und wann, liegt übrigens ein bisschen im Dunkeln. Fragt man Kramp-Karrenbauer selbst, bleiben die Auskünfte freundlich im Ungefähren: Initiativen aus der Partei, vom Ortsverein Konstanz, vom Mitgliederbeauftragen Henning Otte…

Alles richtig, nur: Das ist nicht der spannende Punkt. Wurde die Idee vielleicht schon mitgedacht, als Angela Merkel und die damalige Ministerpräsidentin sich gemeinsam darüber den Kopf zerbrachen, wie man die Saarländerin ins politische Spiel in Berlin bringen könnte? Ist sie womöglich Teil eines Plans, der die zierliche 55-Jährige eines Tages zur Nachfolgerin der Kanzlerin machen könnte?

Wenn es ein Plan ist, ist er jedenfalls schlau. Er bietet ihr eine Bühne. Kramp- Karrenbauer gehört eigentlich zu der Sorte Menschen, die man im Gewusel leicht übersieht. In Talkshows drängt sie nicht, in der Hauptstadt kannten sie nur wenige. Die allerdings hielten immer schon große Stücke auf sie. Seit ihrem Wahlsieg im vorigen Frühjahr, der den Martin-Schulz-Hype brach, und den langen Koalitionsverhandlungen hat sie einen echten Fanclub in der eigenen Partei. „Die Frau ist unglaublich gut“, schwärmt ein Ministerpräsidentenkollege.

Der Parteitag im Februar wählte sie mit knapp unter 100 Prozent ins Amt. Merkel strahlte noch Tage später vor Freude. Der Coup war gelungen, Kramp-Karrenbauers riskanter Schritt aus der Provinz ins Rampenlicht hatte funktioniert, und die CDU-Chefin selbst muss sich nicht mehr so viel Gedanken darüber machen, ob ihre liberale Mitte-CDU überlebt oder die Propheten einer bürgerlich-konservativen Revolution bald den Ton angeben.

Unausgesprochen ist das natürlich genau die Frage, die abstrakt über dem Programmprozess schwebt. Konkret ist sie allerdings so ungefähr die letzte, die die Basis umtreibt. Das Hauptthema im Ostwestfälischen, nimmt man die Zahl der Wortmeldungen, hört auf den sperrigen Begriff „Doppelverbeitragung“. Er beschreibt, dass Rentner auf Betriebsrenten volle Sozialbeiträge zahlen müssen, und zwar einmal beim Ansparen und dann wieder bei der Auszahlung.

Das gilt zwar schon seit 2003, aber es betrifft jetzt immer mehr Rentner. Obendrein gilt die Regelung rückwirkend. „Wenn wir so in Minden unsere Satzung machen würden“, schimpft ein alter Stadtverordneter, „glauben Sie mir, wir wären nicht mehr am Rathaus!“

Stichwort Vertrauen

Kramp-Karrenbauer glaubt ihm sofort. Aber sie soll kein Regierungs-, sondern ein Grundsatzprogramm schreiben. Welche Grundsatzfrage verbirgt sich hinter der Doppelverbeitragung? Sie versucht es mit dem Stichwort Vertrauen: „Wie schaffen wir Verlässlichkeit unserer Politik?“ Dem Rentner ist das aber schnurz, weil, verlässlich ist einstweilen nur, dass ihn der Doppelbeitrag ein paar Tausender kostet. Kramp-Karrenbauer kann nur versichern, das Problem sei angekommen.

Der Wortwechsel ist nicht untypisch für den Ablauf dieser „Zuhör-Tour“. Den Leuten brennen konkrete Probleme auf den Nägeln. Bei „Digitalisierung“ denken sie nicht daran, ob Roboter demnächst Rentenbeiträge zahlen – eine Frage, der sich eine zeitgemäße CDU sicher wird stellen müssen –, sondern sie denken an das Glasfaserkabel, das bei ihnen im Dorf fehlt und mit ihm die ganze Online-Welt von der flotten E-Mail bis zum ruckelfreien Wunschfilm in HD. Die in Berlin, denken sie, brauchen halt Druck.

AKK – das praktische Kürzel für den Doppelnamen hat sich längst eingebürgert – wäre unter normalen Umständen für diese Art Kummerkasten keine schlechte Adresse; als langjährige Landesmutter hat sie Erfahrung. Nur eben, es soll ein Grundsatzprogramm werden. Kramp-Karrenbauer macht in ihrer Einleitung denn auch immer gleich klar, dass sie keine Neuauflage der Regionalkonferenzen will, sondern eine offene, gerne auch strittige Diskussion. Also nicht nach dem bislang auf ebendiesen Konferenzen geltenden Motto: „Sie kritisieren, und wir sagen Ihnen, warum Sie falsch liegen.“

Der Satz ist genau betrachtet eine glatte Unbotmäßigkeit. Merkel ist einst von Regionalkonferenzen per Akklamation zur Retterin aus der Parteispendenkrise emporgeklatscht worden. Sie hat das Instrument in allen kritischen Situationen bis hin zur Flüchtlingskrise genutzt, um sich zu rechtfertigen. Hätte, sagen wir, Jens Spahn über Regionalkonferenzen so einen bösen Satz gesagt, gäbe es tagelang Schlagzeilen über einen schweren Angriff des ehrgeizigen Jungkonservativen auf die Kanzlerin.

Aus Kramp-Karrenbauers Mund reicht die Bosheit nicht mal zur Kurznachricht. Alle wissen, dass sie es nicht hinterhältig meint. Alle ahnen, dass Merkel zu der ironischen Absetzbewegung heimlich sogar ihren Segen gibt. Keiner ihrer Generalsekretäre bewegte sich so selbstbewusst an der Amtsbeschreibung, die ihre zwei allerersten Vorfahren einst sogar förmlich trugen: geschäftsführende Parteivorsitzende.

Unorthodoxe Idee

Außerdem sind die Probleme der CDU mit sich selbst inzwischen zu groß für ein paar Regionalkonferenzen. Dass ein Programm sie lösen soll, gilt allerdings als durchaus unorthodoxe Idee. Die CDU war nie Programmpartei. Vom späteren Bundespräsidenten Roman Herzog ist der lose Spruch überliefert, dass Christdemokraten ein Programm bloß wegen des Parteiengesetzes brauchten – ihnen reiche es an sich völlig aus zu regieren.

Das war damals eine Spitze gegen die SPD, der ja leicht jede Änderung der Straßenverkehrsordnung zur Grundsatzfrage gerät. Aber das Machtsatte hat im Moment auch in der CDU an Legitimationskraft eingebüßt. Die Marke Merkel glänzt im dreizehnten Regierungsjahr nicht mehr so hell. Die Reißwenden der Kanzlerin haben Wunden hinterlassen, Atom, Wehrpflicht, man kennt die Strophen des konservativen Klagegesangs. Die Konkurrenz am rechten Rand verstört. Der Niedergang der SPD weckt Zweifel am Konzept Volkspartei. Dass sogar die Grünen auf der Suche nach neuen Grundsätzen sind, deutet auf einen Zeitenbruch. Womöglich wird das neue Grundsatzprogramm nach dem Ahlener Programm von 1947 das erste in der CDU-Geschichte, das als echte Selbstvergewisserung funktionieren muss.

Der Prozess ist darauf angelegt. Auf die „Zuhör-Tour“ soll später in den gleichen Orten eine „Antwort-Tour“ folgen, auf der die Basis Textvorschläge diskutieren soll. Das kann kontrovers zugehen. Im Moment stehen die Interessen noch einfach nebeneinander. Der selbstständige Unternehmer, der an das alte Versprechen Steuersenkung erinnert („Wir haben ja nicht umsonst an die FDP wieder Stimmen verloren“), steht also neben dem zweiten, der im Gegenteil eine kräftige Steuererhöhung fordert, und zwar für Manager und ganz speziell für die bei VW.

So geht es durch alle Themenbereiche. Ein paar Tage später im sächsischen Radebeul schlägt einer eine allgemeine Dienstpflicht für junge Leute vor. Ein anderer fordert, die Bundespolizei wieder als Bundesgrenzschutz einzusetzen. Das gehe doch nicht zusammen, sagt der Mann: einen Sitz im Weltsicherheitsrat beanspruchen und dann die eigenen Grenzen nicht sichern können! Er meint nicht die zu Österreich und nicht wegen der Flüchtlinge, sondern die Grenze nach Polen und Tschechien, über die Kriminalität und Drogen frei ins Elbtal fluteten.

„Die schlimmste Grenze ist die nach Brandenburg!“, ruft jemand dazwischen. aber der Witz verpufft, weil die Wortführer im Saal keine Sachsen sind, sondern Zugereiste, die in den schmucken Radebeuler Villen wohnen und im nahen Dresden arbeiten. Die Veranstaltung findet in einem alten Lokschuppen statt mit zwei musealen Eisenrössern der „Deutschen Reichsbahn“ der DDR im Hintergrund. In der ersten Reihe sitzt ein Bundestagsabgeordneter – es ist Thomas de Maizières Wahlkreis – und er erzählt, die Ultrakonservativen von der „WerteUnion“ hätten vorher mächtig Reklame gemacht, dass man sich hier melden solle.

Frauencafés

Das ist natürlich ein prinzipielles Problem. Zu den Veranstaltungen darf jeder mit Parteibuch. Kramp-Karrenbauer hat zwar extra verschiedene Formate gewählt, darunter Frühstücksrunden, Frauencafés und Internetchats. Trotzdem ergeben die selbst in der Summe kein ganz repräsentatives Bild. Die Unzufriedenen haben immer schneller den Finger oben als die, die den Kurs tragen. In Minden fordert ein einziger, Merkels Flüchtlingsentscheidung vom Herbst 2015 als richtig in dem Programm festzuschreiben.

Radebeul ist die erste Veranstaltung im Osten, deshalb waren sie im Berliner Adenauer-Haus selbst etwas nervös. Aber der Aufmarsch von Konservativen wird gar nicht mächtig. Ein Schwabe findet es glatte Verschwendung, dass geflüchtete Syrer Deutsch lernen, wo sie doch sowieso wieder zurück müssten. Eine Lebensschützerin findet die „Ehe für alle“ grundgesetzwidrig. In Minden hatte ein Sarrazin-Fan auf seinen Wortmeldezettel als Stichwort listig „Kinderarmut“ geschrieben, meint aber gar nicht arme Kinder, sondern beklagt eine Armut an Kindern bei „autochthonen Deutschen“, weshalb deren Aussterben drohe.

Da ist er bei Kramp-Karrenbauer allerdings an der falschen Adresse. „Autochthon“, damit könne sie wenig anfangen. Eingeborene Saarländer hätten gewöhnlich französische Vorfahren oder italienische oder türkische; wer eben hängen geblieben ist im Grenzland und seinen Kohlegruben, wo die Hautfarbe nicht zählt, weil unter Tage alle schwarz sind.

Ganz ohne Regionalkonferenzen-Methode geht es eben doch nicht. Der Sarrazin-Fan wird keinen Eingang ins Programm finden. Die Lebensschützerin? Auch die Katholikin Kramp-Karrenbauer war gegen die „Ehe für alle“. Aber dagegen zu klagen, sagt sie, hielten selbst „die besten bayerischen Juristen“ für aussichtslos. Und man müsse bedenken, dass die eigene Gegenposition in der Gesellschaft klar in der Minderheit sei.

Ohne Pragmatismus geht es eben auch nicht. Das neue Programm, versichert die Generalin, solle „CDU pur“ beschreiben. Aber „CDU pur“ zu Beginn des 21.Jahrhunderts ist nicht Adenauer-CDU und nicht Kohl-CDU und überhaupt keine heimelige Retro-CDU, die in Wahrheit ja auch nie existierte. Es wird viel Merkel darin bleiben und ein neuer Ton dazukommen. Den zu treffen wird nicht einfach. Er soll die CDU mit sich selbst versöhnen, aber auch mit der Welt, so wie sie halt ist. Und ganz nebenher soll er natürlich so abgestimmt sein, dass er mit der Eigenmarke AKK harmoniert.

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