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Die Afrikanistin Raija Kramer (vorne) mit ihren Studenten in Jaunde.
© privat

„Holt uns hier raus!“: Wie im Ausland gestrandete Deutsche um ihre Rückkehr kämpfen

Das Auswärtige Amt holt Tausende Touristen nach Hause, andere Deutsche müssen im Ausland auf ihre Heimreise warten. Die Kritik an Außenminister Maas wächst.

Es ist ein dringender Hilferuf, den Raija Kramer am Wochenende nach Deutschland geschickt hat. „Holt uns hier raus!“, schrieb die 42-Jährige am Samstag von ihrem Hotelzimmer aus in der kamerunischen Hauptstadt Jaunde. Dort sitzt Kramer, Juniorprofessorin an der Universität Hamburg, mit drei Studenten fest.

Während das Auswärtige Amt und private Reiseveranstalter in diesen Tagen zehntausende deutsche Touristen aus aller Welt nach Hause holen, muss das kleine Forscherteam wegen der Corona-Krise bis auf weiteres in Kamerun ausharren – in einem Land mit zunehmend angespannter Sicherheitslage und fest geschlossenen Grenzen.

Wie Kramer warten in der Corona-Krise zahlreiche deutsche Staatsbürger jenseits der Touristenpfade auf eine schnelle Rückkehr nach Deutschland – Forscher, Handlungsreisende, Entwicklungshelfer. Insgesamt rund 300.000 EU-Bürger aus aller Welt wollen im Moment: nichts als schnell nach Hause.

In Deutschland kämen derzeit pro Tag rund 10.000 Heimkehrer an, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Montag in Berlin. Mit Hilfe von Reiseveranstaltern und Bundesregierung seien binnen einer Woche rund 120.000 Deutsche heimgeflogen worden. „Das Auswärtige Amt bemüht sich aktuell intensiv, deutsche Staatsbürger zurückzuholen, die im Ausland festsitzen“, sagt SPD-Staatsministerin Michelle Müntefering dem Tagesspiegel.

„Jenseits der Schmerzgrenze“

Eine „immense Aufgabe“ nennt es Grünen-Politiker Omid Nouripour, Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. „Das Auswärtige Amt arbeitet hier jenseits der Schmerzgrenze.“ Grüne, Linke und FDP haben das Thema für Mittwoch auf die Tagesordnung des Auswärtigen Ausschusses gesetzt. Dann hofft Nouripour, vom Außenministerium zu erfahren, wie viele Deutsche genau in anderen Ländern festsitzen.

Die Afrikawissenschaftlerin Kramer und ihre Studenten erleben indes eine nervenaufreibende Hängepartie. Wie brenzlig ihre Lage ist, das klingt auch in Kramers Stimme durch, wenn sie am Telefon von den aktuellen Geschehnissen erzählt. „Die Ereignisse haben uns regelrecht überrollt“, sagt sie und atmet tief durch.

Vor wenigen Tagen fand sie sich in ihrem Forschungsgebiet in Nord-Kamerun plötzlich zwischen den Fronten gewalttätiger Auseinandersetzungen wieder. Wütende Taxifahrer hätten gegen die Regierung protestiert. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt, es seien Schüsse gefallen, Kramer und ihre Studenten mussten sich in einem Restaurant verschanzen.

Überstürzt reiste die Gruppe darauf in die Hauptstadt Jaunde, wo sich die Sicherheitslage inzwischen ebenfalls zuspitzt. In Kamerun breitet sich eine Art Corona-Panik aus. Viele glauben, die Europäer schleppten die Krankheit ein – die werden auf der Straße deshalb verbal und teils auch tätlich angegangen.

Die Hysterie in Kamerun hat einen Grund: Eine Ausbreitung des Coronavirus könnte das ohnehin schwache Gesundheitssystem in dem westafrikanischen Staat mit seinen 24 Millionen Einwohnern in kürzester Zeit kollabieren lassen. Bislang sind nur wenige Infektionsfälle offiziell bekannt, was an den wenigen Tests in Kamerun liegen könnte. Die Regierung um den autoritären Präsidenten Paul Biya hat das Land abgeriegelt, alle Flugverbindungen mit Europa sind gestrichen.

Michelle Müntefering (SPD) ist Staatsministerin für Internationale Kultur im Auswärtigen Amt.
Michelle Müntefering (SPD) ist Staatsministerin für Internationale Kultur im Auswärtigen Amt.
© picture alliance / Kay Nietfeld/

Das Hotel als Gefängnis

Die deutsche Botschaft hat alle Bundesbürger im Land dazu aufgefordert, nicht mehr rauszugehen – mit dem Hinweis auf „rassistische Ressentiments innerhalb der Bevölkerung, die die Sicherheit unserer Landsleute beeinträchtigen.“ Kramer und ihr Team sind deshalb ins Hilton gezogen, das als einzig wirklich sicheres Hotel in Jaunde gilt. In dem wuchtigen Bau im Stadtzentrum teilen sie sich zu viert ein Doppelzimmer für 450 Euro pro Nacht – viel zu viel für das knapp bemessene Budget der Wissenschaftler. Die Uni Hamburg habe inzwischen zugesagt, die Rechnung zu übernehmen, sagt Kramer. Wenigstens über die Kosten muss sich die zweifache Mutter erstmal keine Sorgen machen.

Was aber, wenn das Hotel schließt und die Forscher auf der Straße stehen? Kramer schickt Fotos von menschenleeren Hotelfluren, wie aus einem Geisterfilm – was sonst als Luxushotel dient, ist für die Forscher zum Gefängnis geworden. „Wir würden gerne so schnell wie möglich auf das Gelände der Botschaft umziehen“, sagt Kramer. „Vor allem aber möchten wir bald zu unseren Familien zurück.“

Auch Günter Nooke, den Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin, hat Kramer um Unterstützung gebeten. Nooke hat viele gute Kontakte in Kamerun. „Was alle Betroffenen jetzt brauchen, ist schnelle Hilfe“, sagt der CDU-Politiker. „Nicht nur die deutsche Botschaft ist sehr bemüht, dabei voran zu kommen. Inwiefern weitere Aktivitäten meinerseits oder Kontakte von Personen, die ich noch kenne, notwendig werden, kann ich jetzt nicht einschätzen.“

Zuletzt hatte auch Frankreich versucht, mit der kamerunischen Regierung spezielle Landegenehmigungen auszuhandeln – bislang offenbar ohne Erfolg. Der Luftraum über Kamerun bleibt zu.

Opposition kritisiert Heiko Maas

Der Grünen-Politiker Nouripour dämpft die Hoffnungen auf eine rasche Rückholung aller Deutschen aus dem Ausland. SPD-Außenminister Heiko Maas habe mit seinen Ankündigungen zügiger Heimholaktionen aller deutschen Touristen „eindeutig zu große Erwartungen geweckt“, sagt Nouripour. „Es wird schwierig werden, so viele Menschen auszufliegen, weil es dafür an vielen Orten nicht die richtigen Strukturen gibt.“ Auch müsse man hoffen, dass die IT-Systeme deutscher Auslandsvertretungen jetzt nicht zusammenbrechen.

Der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai sagt: „Die aktuellen Schwierigkeit bei der Rückholaktion zeigen, dass sich Außenminister Maas von Beginn an viel besser mit seinen europäischen Kollegen hätte absprechen müssen“. Ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen der EU-Mitgliedsstaaten sei in Krisenzeiten wichtiger denn je.

Unter Druck: Außenminister Heiko Maas (SPD).
Unter Druck: Außenminister Heiko Maas (SPD).
© AFP/Tobias Schwarz

Die deutsche Botschaft in Jaunde bittet die betroffenen Bundesbürger wie Kramer und ihre Studenten indirekt um Geduld.  „Die Rückführungen finden nach territorialer Priorisierung statt“, heißt es in einer Rundmail an alle Deutschen im Land. „Im Fokus stehen zunächst besonders betroffene Gebiete mit vielen deutschen Touristen.“ Aus Kamerun könne man derzeit niemanden ausfliegen, auch weil es keine „Sondergenehmigung zur Ausreise“ gebe.

Die Wissenschaftlerin Kramer hofft dennoch, das Hilton in Jaunde so schnell wie möglich in Richtung Heimat verlassen zu können. Ihr Appell an die Bundesregierung lautet: „Vergesst uns nicht!“ Und dann gibt Kramer für sich selbst und ihre drei Studenten noch eine Durchhalteparole aus: „Wir sind eine gute Truppe“, sagt sie am Telefon. „Wir halten fest zusammen.“

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