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Corona-Proteste in Berlin am vergangenen Wochenende.
© REUTERS / Christian Mang

Unzufriedenheit, Misstrauen, Abwehrhaltung: Wie groß ist der Resonanzboden für die Corona-Proteste?

Wissenschaftler untersuchen die Zustimmung zu den bundesweiten Corona-Demos – und wie verbreitet der Glaube an Verschwörungsmythen ist.

Sie bekommen derzeit viel Aufmerksamkeit: die Zornigen, die überall in der Republik gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen. Und sie scheinen nicht allein zu sein.

Da ist der Nachbar, der mit den wachsenden Verlusten seines Betriebes zunehmend frustriert ist. Oder der Verwandte der raunt, in Wirklichkeit profitiere Microsoft-Gründer Bill Gates von der Pandemie.

Die Proteste scheinen anschlussfähig zu sein bis weit in die Gesellschaft hinein. Aber wie groß ist er wirklich: der Resonanzboden für die Anti-Lockdown-Proteste? Wie anfällig sind die Deutschen für Verschwörungstheorien? Könnte die Stimmung in der Gesellschaft kippen?

Zunächst muss man immer im Hinterkopf haben, dass die Zustimmung zur Regierungspolitik hoch ist: „70 Prozent der von uns Befragten halten die Corona-Einschränkungen für sinnvoll. 30 Prozent sind skeptisch“, sagt die Professorin Julia Becker von der Uni Osnabrück.

Sie hat eine repräsentative Studie durchgeführt, um herauszufinden, was die Demonstranten antreibt, aber auch um die Stimmung in der Bevölkerung zu sondieren.

Glaube an geheime Mächte

Becker sagt, die Proteste hätten durchaus einen Resonanzboden in der Gesellschaft. 30 Prozent der Befragten stimmten Indikatoren für Verschwörungstheorien zu. „Sie glauben etwa an einen geheimen Plan hinter auf den ersten Blick voneinander unabhängigen Ereignissen. Und sie glauben, von der Regierung genau überwacht zu werden.“

Das passt zu den Ergebnissen der jährlichen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hier gaben 46 Prozent an, hinter politischen Ereignissen steckten oft geheime Organisationen. Eine Allensbach-Studie zeigt: Mehr als jeder vierte Deutsche glaubt, dass „es bei den Maßnahmen gegen die Coronakrise um etwas ganz anderes geht als das, was Politik und Medien sagen.“

Die Sozialpsychologin Becker hat sich angeschaut, wie Personen ticken, die Verschwörungstheorien anhängen. „Sie sind eher reaktant: Sie reagieren auf Einschränkungen mit ,Jetzt erst recht‘ und erleben Ratschläge als Bevormundung“, sagt sie. „Wenn sie glauben, dass ihre persönliche Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden soll, reagieren sie sehr empfindlich.“ Mit Rückschlüssen muss man allerdings vorsichtig sein: Nicht jeder, der zu Verschwörungsgedanken neigt, würde auch zu einer Corona-Demo gehen.

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Laut ZDF-Politbarometer finden 81 Prozent der Deutschen die Proteste „nicht gut“; nur 16 Prozent finden sie „gut“. Dabei haben sie den größten Rückhalt bei Anhängern der AfD. Hier finden 61 Prozent der Befragten die Proteste „gut“. Bei den Anhängern von CDU/CSU sind es nur sieben Prozent. Zudem ist nur ein Teil der Bevölkerung bereit, tatsächlich zu protestieren.

Laut der Studie von Professorin Becker würden 24 Prozent der Befragten eine Petition gegen die Corona-Einschränkungen unterschreiben, 18 Prozent würden an einem Online-Protest teilnehmen und neun Prozent wären bereit, auf die Straße zu gehen. „Die Intention an Protesten gegen die Einschränkungen der Grundrechte teilzunehmen ist in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland“, sagt Becker.

Getrieben vom Ungerechtigkeitsempfinden

Doch auch wenn nur ein kleiner Teil der Befragten wirklich auf die Straße gehen würde, dürften manche Demonstranten das Gefühl haben, für eine größere Masse an Menschen zu sprechen. Bestärkt könnten sie sich von der insgesamt schwindenden Akzeptanz der Deutschen für die Anti-Corona-Maßnahmen fühlen. So zeigt eine Online-Studie der Uni Mannheim, dass nicht einmal die Hälfte, rund 48 Prozent, die Schließung der EU-Grenzen noch für sinnvoll hält. Die Schließung öffentlicher Einrichtungen hält nur jeder Dritte für richtig. Das Verbot von Großveranstaltungen begrüßen hingegen 84 Prozent.

Becker beobachtet zwar, dass das Publikum bei den Protesten sehr unterschiedlich ist: Verschwörungsgläubige, Wutbürger, Impfgegner, Rechtspopulisten – aber auch Eltern, die einfach fix und fertig sind. Eines teilten aber alle Teilnehmer: „Die Proteste sind vor allem von Wut auf die Politik getrieben, von einem Ungerechtigkeitsempfinden.“ Wer an den Demos teilnehme, fürchte sich weniger vor dem Virus als vor den wirtschaftlichen Folgen der Krise.

Dass diese Ängste weit über das Lager der Demonstranten hinausgehen, zeigt auch die Allensbach-Studie. Demnach blicken nur noch 22 Prozent der Bevölkerung mit Hoffnungen auf das kommende Jahr. An eine schnelle Erholung der Konjunktur glaubt nur jeder Dritte. 46 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage.

Kein „anhaltender Sturm des Protests“ erwartet

„Wenn mehr Menschen die wirtschaftlichen Folgen der Krise spüren und der Frust kommt, kann das durchaus zum Brennstoff für neue Proteste werden“, sagt Christina Morina, die an der Uni Bielefeld Rechtspopulismus erforscht. Sollten die Parteien der Mitte darauf keine passende Antwort finden, „kann es zu einer erneuten extremen Polarisierung der gesellschaftlichen Debatte kommen“. Profitieren könne dann die AfD, aber auch die Grünen, so wie es in der aufgeheizten Stimmung nach dem Sommer 2015 war.

Einen „anhaltenden Sturm des Protests“ erwartet Morina allerdings vorerst nicht. So seien die Proteste zuletzt geschrumpft – „auch, weil aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft früh und vielstimmig davor gewarnt wurde, wer da alles mitmarschiert“. Eine „Wiederholung von Pegida“ stehe wohl vorerst nicht an, sagt die Historikerin.

Bei allem Potenzial zur Aufheizung der Stimmung, das sich in der Krise zeige, gebe es doch nach wie vor einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie: „Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland gezwungenermaßen einen so wissenschaftlich unterfütterten und überwiegend rationalen Diskurs wie jetzt verfolgen müssen, das immunisiert gegen allzu kurzsichtige Empörungsszenarien.“

Die Kosten steigen

Eine Frage bleibt dennoch: Warum leidet die Corona-Disziplin, auch wenn viele Menschen eigentlich von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt sind? Florian Kaiser ist Professor für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie an der Uni Magdeburg.

Er untersucht unter anderem die Hintergründe menschlichen Verhaltens. Unter diesem Gesichtspunkt schaut er sich an, warum Menschen sich in der Corona-Krise immer weniger an Abstands- und Hygieneregeln halten. „Das hat nicht unbedingt mit einer gesunkenen Motivation zu tun“, sagt er.

Diese Motivation könnte etwa sein, sich selbst zu schützen, seine Familie und seine Mitmenschen oder sich schlicht konform mit dem zu verhalten, was die Regierung vorgibt. Doch mit zunehmender Dauer der Krise stiegen die „Verhaltenskosten“. Das heißt, es falle zunehmend schwerer, beispielsweise die Freunde nicht zu sehen. Dazu kämen die tatsächlichen ökonomischen Kosten.

„Wenn die Verhaltenskosten die Motivation übersteigen, dann führt das dazu, dass die Regeln nicht mehr eingehalten werden“, erklärt Kaiser. Oder anders gesagt: Je größer die Verhaltenskosten werden, desto stärker müsse man von der Sinnhaftigkeit der Einhaltung der Regeln überzeugt sein, um sich weiter konform zu verhalten. „Und wenn Leute in den Nachrichten hören, dass die Zahl der Neuinfizierten niedrig ist, halten sie oft die Bedrohung für niedrig – und das senkt wiederum die Motivation.“

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