Umfragen zur Coronakrise: Wie sich die Gefühle in der Pandemie verändert haben
Nach Wochen mit scharfen Restriktionen lockert die Politik ihre Vorgaben. Während die Angst abnimmt, wächst in der Bevölkerung die Skepsis.
Das Gefühl kennt sicher jeder. Es ist Sonntagabend und beim Gedanken an die neue Woche macht sich eine Mischung aus Nervosität und gespannter Erwartung breit. Vielleicht schläft man deshalb auch nicht ganz so gut, vor dem Einschlafen wird gegrübelt.
Nun war Deutschland in den vergangenen Wochen nicht im Wochenende sondern im Lockdown. Und besonders angenehm war das für die meisten auch nicht.
Dennoch beginnt für die Republik gerade die nächste Phase der Coronakrise. Langsam wird gelockert und geöffnet, es geht wieder los. Deutschland startet in eine neue Normalität – mit allen Risiken, die diese mit sich bringt.
Und da darf man die Frage stellen: Wie geht es uns eigentlich? Wer Demoskopen dazu befragt, bekommt einen Eindruck von der Gemütslage der Republik.
Die Angst vor Corona nimmt ab
Die ersten Wochen der Krise herrschte große Angst in der Bevölkerung. Hier beobachtet Annelies Blom die deutlichste Veränderung. „Wir sehen, dass allgemeine Gefühle der Angst seit Beginn der Corona-Maßnahmen sehr stark abgenommen haben – im Prinzip über alle Gesellschaftsgruppen hinweg“, sagt die Professorin von der Uni Mannheim.
Sie leitet eine repräsentative Studie, bei der ihr Team seit dem 20. März pro Tag etwa 500 Personen befragen. Blom kann deshalb sehr präzise Auskunft darüber geben, wann sich Veränderungen in der Gefühlslage, aber auch im Verhalten der Befragten ergeben haben. Sie sagt: „Erklären lässt sich die Abnahme der Angst möglicherweise damit, dass eine Art Gewöhnungseffekt einsetzt. Aber auch damit, dass wir anfangs ja viel weniger wussten, was uns da eigentlich erwartet.“
Diesen Trend zeigt auch eine Online-Befragung des Umfrageinstitutes Civey:
Unterschiede gebe es trotzdem, sagt Blom. So hätten Frauen generell deutlich mehr Angst als Männer. Und die Jüngeren zwischen 14 und 35 Jahren hätten deutlich weniger Angst als die Älteren. Zudem muss man auch bei der Angst selbst differenzieren. Während das Gefühl, die Corona- Pandemie sei eine Bedrohung für einen selbst, bei den Menschen im Laufe der Zeit abgenommen hat, fürchten laut Blom gleichbleibend viele, dass sie bei einer Ansteckung schwer krank werden und ins Krankenhaus müssen.
Bei der Angst vor Ansteckung sind die Deutschen realistischer geworden. „Zu Beginn der Pandemie wurde die Ansteckungsgefahr deutlich überschätzt. Mittlerweile haben die Menschen ihre Erwartung, wie viele Leute sich jede Woche anstecken, nach unten korrigiert“, sagt Blom.
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Am Anfang glaubten die Befragten noch, dass sich von 100 Menschen, die ihnen selbst ähnlich sind, binnen einer Woche 17 infizieren werden. Dieser angenommene Wert ist jetzt auf vier gesunken. „Das könnte sich aber ändern, falls auf Grund der Lockerungen die Infiziertenzahlen wieder deutlich steigen“, meint die Forscherin.
Die Sorgen wegen Corona nehmen zu
Auch wenn die Angst abgenommen hat, die Sorgen sind natürlich nicht verschwunden – im Gegenteil. Die Krise hat viele Menschen in Deutschland pessimistisch werden lassen. Die Stimmungslage in der Bevölkerung sei „eingebrochen wie nie zuvor, in kürzester Frist“, sagte am Wochenende die Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher.
In einer Umfrage Ende März habe nur knapp jeder Vierte die Frage bejaht, ob er den kommenden zwölf Monaten mit Hoffnung entgegensehe. Zum Jahresbeginn hatte sich jeder Zweite zuversichtlich gezeigt. „Innerhalb von zwei, drei Wochen Anfang März brach der Optimismus der Bevölkerung völlig zusammen“, berichtete Köcher.
Vor allem die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung ist hoch bei den Deutschen. Beim Umfrageinstitut Infratest Dimap spricht man von einem „Rekordabsturz“. Nur noch ein Drittel der Deutschen bewertet die wirtschaftliche Lage im Land positiv. Es ist der niedrigste Wert im ARD- Deutschland-Trend seit der Euro-Finanzkrise.
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Genau hin schaut das „Covid-19 Snapshot Monitoring“, ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Erfurt, des Robert-Koch-Instituts und weiterer Einrichtungen, für das täglich Menschen befragt werden.
Weit vorne steht demnach bei den wirtschaftlichen Sorgen die Befürchtung, dass kleinere Unternehmen in Konkurs gehen und Deutschland in eine Rezession schlittert. Erst mit einigem Abstand folgen dann die Befürchtungen, die Befragten selbst könnten ihren Arbeitsplatz verlieren oder in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Auch bedrückt viele die Vorstellung, die Gesellschaft könnte egoistischer und die Kluft zwischen Arm und Reich größer werden. Sorgen machen sich die Menschen zudem, dass es doch noch zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen könnte. Allerdings hat diese Sorge seit Anfang April deutlich abgenommen. Konstant geblieben ist zudem die Befürchtung, einen geliebten Menschen zu verlieren.
Die Skepsis der Bürger steigt
Verschiedene Befragungen zeigen, dass Eingriffe wie die Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen, das Verbot von Versammlungen oder andere Einschränkungen von Freiheitsrechten auf erkennbar weniger Zustimmung stoßen als vor einigen Wochen. Diese Entwicklung zeigt auch eine Civey-Befragung:
Noch überwiegt die Zustimmung. Das passt zur Zufriedenheit der Deutschen mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung: Diese ist nach wie vor hoch, fiel aber laut Infratest Dimap zwischen April und Mai um fünf Prozentpunkte auf 67 Prozent. Das sind Werte, die sich ähnlich bei Civey zeigen:
Hermann Binkert, der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, hält das für normal. Wahrend die Bevölkerung am Anfang froh war, dass die Bundesregierung die Krise entschieden anging, werde jetzt eben genauer hingeschaut. Bemerkenswert findet Binkert, dass mittlerweile 20 Prozent der Menschen sagen, dass sie nicht glauben, dass es zu einer zweiten Infektionswelle kommt.
Auch die Mannheimer Forscherin Blom beobachtet, dass sich das Verhalten der Menschen verändert hat. „Seit Ostern nimmt die Zahl der persönlichen Kontakte kontinuierlich zu. Wir sind jetzt auf einem Level, das höher liegt als zu Beginn der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im März.“ Wie die Trendkurve verläuft, zeigt diese Civey-Umfrage:
Beachtenswert findet Blom die Antworten auf die Frage, ob im Kampf gegen das Virus der gesellschaftliche Nutzen größer sei als der wirtschaftliche Schaden. „Zeitgleich mit den Lockerungen stieg der Anteil der Menschen, die den wirtschaftlichen Schaden der Maßnahmen für größer halten als den gesellschaftlichen Nutzen. Dennoch überwiegt für mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiterhin der Nutzen.“
Allensbach-Chefin Köcher warnte jüngst, die Stimmung könnte umschlagen: Der Bevölkerung werde „zunehmend bewusst, welchen Preis die Bekämpfung fordert“. Sie glaubt, die Krise führe zu neuen Spaltungen, das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik sei „generell bemerkenswert“.
Blom vermutet zudem, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Zustimmung zu Corona-Einschränkungen und den Debatten darüber. „Maßnahmen werden scheinen dann als der Situation nicht mehr angemessen betrachtet zu werden, sobald in Politik und Medien darüber diskutiert wird.“ So sei es beispielsweise bei den Schulschließungen gewesen.
Die Deutschen bleiben vorsichtig
Auch wenn jetzt gelockert wird, wollen die meisten Deutschen nicht so weiter machen wie zuvor. Weil die Unsicherheit groß ist, wie sich Covid19 auf die Haushaltskasse auswirkt, wollen 28 Prozent der Deutsche auch dann noch weniger Geld ausgeben, wenn die Pandemie in Deutschland unter Kontrolle gebracht ist.
Das ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Der gleiche Anteil geht davon aus, dass sich ihr Kaufverhalten nach frühestens einem Jahr normalisiert. Ein Drittel der Befragten kann sich vorstellen, nach ein paar Monaten wieder das Kaufverhalten von vor der Krise zu haben.
Wie ist also das Gefühl der Deutschen auf der Schwelle zur neuen Phase?
Insa-Chef Binkert sagt, wenn es etwas wie ein Sonntagabendgefühl gebe, dann falle das bei jedem etwas anders aus. Da sei die Fraktion derer, die sich der Gefahr nach wie vor sehr bewusst seien und es behutsam angehen lassen wollen. Und auf der anderen Seite die der Risikofreudigen, denen auch die beschlossenen Lockerungen nicht weit genug gehen. Letztere seien aber eindeutig in der Minderheit, sagt Binkert.
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