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Blick vom Tower auf das Flughafengelände in Berlin-Tegel
© Thilo Rückeis
Update

Vor dem Volksentscheid: Wie geht's weiter am Flughafen Tegel?

Die Initiative „Tegel bleibt offen“ hat 204.263 gültige Unterschriften gesammelt, das Volksbegehren ist somit erfolgreich. Was bedeutet das für die Berliner Flughäfen? Fragen und Antworten.

Die Zukunft der Berliner Flughäfen scheint wieder unklar. Der Volksentscheid über die Frage, was mit Tegel geschehen soll, rückt näher. Die Initiatoren von „Tegel bleibt offen“ haben 204.263 gültige Unterschriften gesammelt, das teilte die Landeswahlleiterin am Dienstag mit. Das Volksbegehren war also erfolgreich. Damit der Volksentscheid zustande kommen kann und alle Berliner zur Abstimmung über den städtischen Flughafen aufgerufen werden, waren 174.251 gültige Unterschriften nötig, das entspricht sieben Prozent der Stimmberechtigten.

Die umstrittenen Werbeaktionen, wie etwa die Kampagne der Firma Sixt, zum Sammeln von Unterschriften, haben laut der Abstimmungsleiterin Petra Michaelis-Merzbach keine Auswirkungen auf die Gültigkeit: „Angesichts der großen Zahl gültiger Unterschriften – rund 30.000 mehr als erforderlich – ändern die umstrittenen Werbeaktionen nichts am Ergebnis."

Wie unterscheiden sich die Bezirke?

Die höchste Unterstützung für das Volksbegehren gab es im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: 18,3 Prozent der Stimmberechtigten haben hier eine gültige Unterschrift geleistet. Am geringsten war die Unterstützung im Bezirk Marzahn-Hellersdorf (1,8 Prozent). Die weiteren Bezirksergebnisse: Reinickendorf (16,4 Prozent), Steglitz-Zehlendorf (15,9 Prozent), Tempelhof-Schöneberg (10,6 Prozent), Spandau (9 Prozent), Mitte (6,8 Prozent), Neukölln (6,3 Prozent), Treptow-Köpenick (5,4 Prozent), Pankow (3,4 Prozent), Friedrichshain-Kreuzberg (3,3 Prozent), Lichtenberg (2,0 Prozent).

Wie reagiert die Berliner Politik?

Die Berliner FDP hat das Votum für einen Volksentscheid über den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel begrüßt. "204.263 gültige Unterschriften für das Volksbegehren zur Offenhaltung des Flughafens Tegel - damit ist das Ziel erreicht", erklärte Generalsekretär Sebastian Czaja am Dienstag. "Die Bürger dieser Stadt haben mehr politischen Verstand als ihr Senat - sie haben erkannt, welche Bedeutung der Weiterbetrieb für unsere Stadt hat."

Die Linkspartei twitterte am Dienstag: "Unsere Haltung ist klar: Tegel muss geschlossen werden." Die AfD-Fraktion teilte mit, sie wolle den Volksentscheid "mit aller Kraft unterstützen.“

 Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt kann der Volksentscheid kommen, wobei der Senat das Anliegen prüfen und selbst ein Gesetz erlassen kann, das die Ziele des Volksbegehrens übernimmt. So geschah es beim Mietenvolksentscheid. Da vereinbarte der Senat mit den Initiatoren einen Kompromiss zur stärkeren sozialen Ausrichtung der Wohnungspolitik an. Im Fall von Tegel ist das wohl ausgeschlossen, weil der BER nicht öffnen kann, wenn Tegel offen bleibt, so schreibt es das Planfeststellungsverfahren vor. Dessen Änderung, um einen Weiterbetrieb beider Airports zu ermöglichen, gilt als rechtlich schwierig und gerichtlich anfechtbar. Beim Referendum zählt die einfache Mehrheit, vorausgesetzt, dass sich ein Viertel der Wahlberechtigten beteiligt. Beim letzten Volksentscheid über die Bebauung des Tempelhofer Feldes lag die einfache Mehrheit bei knapp 630.000 Stimmen.

Was wollen die Tegel-Befürworter eigentlich?

Sie sagen, Tegel muss offen bleiben, weil schon heute klar sei, dass der BER-Neubau nicht ausreiche, um die vielen Flugreisenden zu befördern. Nach jetzigem Stand werde der Bedarf bereits in diesem Jahr bei mindestens 36 Millionen Passagieren liegen, der BER kann davon 23 bis 25 Millionen bewältigen. Die Planer hätten sich bei der Prognose der Passagierzahlen ebenso geirrt wie bei Kosten und Bauzeit für den BER.

Und wie ist die Rechtslage?

Sechs Monate nach der Eröffnung vom BER – und dafür reicht schon die Inbetriebnahme der südlichen Start- und Landebahn – muss der Flugbetrieb in Tegel enden. Das ist so festgelegt in dem „Landesentwicklungsplan Flughafen“. Diesem Plan haben beide Parlamente der Länder Berlin sowie Brandenburg zugestimmt, die beide ja auch – neben dem Bund – beteiligt sind an der Flughafengesellschaft. Begründet wird die Schließung unter anderem damit, dass dann nur noch 60 000 Menschen vom Fluglärm betroffen wären – bei Tegel sind es bisher 225 000 Anwohner.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte das geprüft?

Ja, im Jahr 2006 (BVerwG 4 A 1078.04) musste das oberste Gericht eine Klage verhandeln, die größtenteils Eigentümer von Häusern und Wohnungen in der Umgebung und in der Einflugschneise des geplanten Großflughafens angestrengt hatten. Aus deren Sicht lag in Schönefeld unter anderem ein mangelhaftes „Lärmschutzkonzept“ vor. Das Gericht lehnte die geforderte Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zugunsten des BER- Neubaus ab, weil „keine durchgreifende Verfahrensfehler“ zu erkennen seien. Außerdem, so heißt es im Urteil weiter, sei auch die Begründung für die BER-Pläne und die Stilllegung von Tegel durch den Senat „hinreichend aussagekräftig“, weil demnach die Zahl der Lärmbetroffenen „auf weniger als 30 Prozent“ reduziert werde. Das erspare den Menschen im Norden von Berlin das Dröhnen der Düsenmaschinen.

Wäre die gesamte Flughafenplanung infrage gestellt, wenn Tegel offen bliebe?

Zweifellos. Das Bundesverwaltungsgericht hat unmissverständlich formuliert: „Das Ausbauvorhaben in Schönefeld und die Schließung der beiden Stadtflughäfen bedingen einander und sind untrennbar miteinander verbunden.“ Kurz: Bleibt Tegel offen, kann der BER bis zur Erstellung einer neuen Flughafenplanung nicht öffnen. Die Berliner Senatsverwaltung für Verkehr sieht nämlich „das Risiko, dass in möglichen Prozessen vor dem Bundesverwaltungsgericht die Betriebsaufnahme am BER suspendiert wird, wenn der Flughafen Berlin-Tegel weiter betrieben werden sollte“. Und die Flughafenbetreiber sagen zu dem drohenden Planungs-Gau nur einen Satz: „Sowohl der Widerruf der Betriebsgenehmigung als auch der Entwidmungsbescheid für den Flughafenstandort Berlin- Tegel sind bestandskräftig.“

Ist nicht auch der Bund schuld daran, dass plötzlich die Widerstände gegen die Schließung von Tegel wachsen?

Kein Bundespolitiker fordert offen, dass Tegel bleiben muss, zumal der Bund ja selbst an der Flughafenplanung beteiligt ist. Aber gleichzeitig sollte der wissenschaftliche Dienst vor geraumer Zeit prüfen, ob Tegel nicht doch weiter betrieben werden kann. Das lässt darauf schließen, dass einige Vielflieger aus dem Regierungsviertel den langen Weg nach Schönefeld scheuen. Geschickt werden in der Analyse, die vor vier Jahren erschien, Zweifel an der Leistungsfähigkeit des BER gesäht: „Das ungewisse Ereignis eines Volllastbetriebes des Flughafens BER“ lege nahe, dass „von Amts wegen“ eine Überprüfung des Landesentwicklungsplanes herbeigeführt werden müsse. Außerdem sei die Frist von sechs Monaten zur Schließung von Tegel „zumindest mittelfristig zu erweitern, um die Wirtschaftlichkeit beider Standorte zu erproben“ oder die Kapazität des BER zu erweitern. Die Formulierungen machen deutlich, dass nur eine politische Entscheidung diesen Weg ebnen könnte. Experten für Luftverkehrsrecht betonen, dass die Genehmigung für den Flugbetrieb in Tegel bereits formal widerrufen sei. Dieser Beschluss sei nur aufgeschoben und trete automatisch mit der Öffnung des BER in Kraft.

Wie viele Millionen gehen verloren, wenn die Pläne für eine Nutzung Tegels nach dem Ende des Flugbetriebes nicht verwirklicht werden können?

So genau will das niemand sagen, aber Dutzende von Millionen sind es sicher. Die kleine landeseigene Entwicklungsfirma arbeitet seit Jahren , die ersten Aufträge an Planer und Architekten für den Umbau des Areals zu einem Technologie-Standort sind sogar schon vergeben. Teile der Beuth-Hochschule, die Ingenieure ausbildet, sollten als erste auf das Areal umziehen. Start-Ups und Technologie-Firmen wollen folgen. Die Entwickler rechnen mit jährlichen Steuereinnahmen in Höhe von 150 Millionen Euro. Außerdem sollen 3000 Wohnungen am Nordrand der derzeitigen Startbahn gebaut werden, darunter viele günstige Mietwohnungen, an denen es in der Stadt besonders fehlt.

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