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Demonstranten stehen vor dem Triumphbogen in Paris
© Elyxandro Cegarra/ZUMA Wire/dpa

Protest der "Gelbwesten": Wie geht es den Franzosen wirklich?

Viele Franzosen können sich in diesem Jahr über mehr Kaufkraft freuen. Das gilt aber bislang nicht für diejenigen, die sich am unteren Rand befinden.

Frankreich sieht immer noch „gelb“. Nach der Ankündigung von Staatspräsident Emmanuel Macron, den Monatslohn von Mindestlohn-Beziehern um 100 Euro aufzubessern und Rentner steuerlich zu entlasten, haben die demonstrierenden „Gelbwesten“ an einigen Orten inzwischen ihren Protest eingestellt. Ein harter Kern der „gilets jaunes“ will den Protest hingegen bis ins kommende Jahr fortsetzen – beispielsweise im nordfranzösischen Département Aisne. Angesichts der anhaltenden Demonstrationen stellt sich die Frage: Wie geht es der Bevölkerung im Nachbarland wirklich? Und wie reformbedürftig ist der französische Staatssektor? Eine Übersicht.

Wie groß ist die Kaufkraft der Franzosen im Allgemeinen?

Die „Gelbwesten“ beklagen sich vor allem darüber, dass in der Haushaltskasse oft schon zur Monatsmitte Ebbe herrscht. Dabei steht es nach Angaben des nationalen Statistikamtes um die Kaufkraft sämtlicher Franzosen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht: Im laufenden Jahr wird die allgemeine Kaufkraft trotz des Anstiegs bei der Inflation voraussichtlich um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zunehmen.

Grundsätzlich haben Beschäftigte in Frankreich weniger in der Tasche als in Deutschland. 2014 lag das Bruttomonatseinkommen bei Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im Schnitt bei 3380 Euro, während es in Frankreich nur 2864 Euro waren. Allerdings waren im vergangenen Jahr Steuern und Abgaben nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prozentual in Deutschland im Schnitt etwas höher als in Frankreich.

Die Lebenshaltungskosten fallen wiederum in Frankreich stärker ins Gewicht als in Deutschland: Im Jahr 2014 lagen die Preise für Waren und Dienstleistungen in Deutschland um 1,5 Prozent über dem Schnitt aller 28 EU-Länder. In Frankreich lagen die Preise hingegen um ganze 9,1 Prozent über dem EU-Schnitt.

Wie viel bleibt Geringverdienern in der Tasche?

Der Mindestlohn in Frankreich ist höher als in Deutschland. Während in Deutschland gegenwärtig 8,84 Euro pro Stunde gezahlt werden, sind es in Frankreich 9,88 Euro. Geringverdiener in Frankreich haben nach Angaben des Forschungszentrums „Institut des politiques publiques“ damit zu kämpfen, dass sie angesichts der Reformen von Präsident Macron weniger Geld zur Verfügung haben als noch im vorigen Jahr. Nach den Erhebungen des Instituts, welche vor der Aussetzung der umstrittenen Ökosteuer entstanden, sind 23 Prozent der Franzosen am unteren Ende der Wohlstands-Skala von den Reformen Macrons negativ betroffen. Das gilt für Singles mit einem verfügbaren Jahreseinkommen von weniger als 14.370 Euro sowie für Familien mit zwei Kindern, die pro Jahr mit weniger als 29.960 Euro auskommen müssen.

Wie groß ist das Risiko durch Arbeitslosigkeit?

Die Arbeitslosenquote ist in Frankreich höher als in Deutschland: Während sie in Frankreich bei 9,1 Prozent verharrt, ist sie hierzulande zuletzt auf 4,8 Prozent gefallen. In Frankreich können über 50-Jährige die Arbeitslosenversicherung je nach Dauer der vorherigen Beschäftigung maximal drei Jahre lang in Anspruch nehmen, während es in Deutschland maximal 15 Monate sind. Auch in Frankreich gibt es eine Leistung, die mit dem deutschen Hartz IV vergleichbar ist: Das „Revenu de solidarité active“ (RSA), mit dem Bürger zu einer Rückkehr ins Erwerbsleben motiviert werden sollen, beträgt bei einem Single-Haushalt 551 Euro pro Monat. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der entsprechende Hartz-IV-Regelsatz bei 416 Euro – ohne Wohnzuschuss.

Wie geht es den Rentnern in Frankreich?

Frankreichs Rentner gehörten bislang angesichts von Macrons Reformen zu den Verlierern, weil sie von der Erhöhung der Sozialsteuer CSG betroffen waren. Um den Unmut der Senioren abzumildern, kündigte Macron in seiner Rede am Montagabend an, dass Renten unter 2000 Euro von der Erhöhung der Sozialsteuer verschont bleiben. Bevor der Staatschef diese Maßnahme verkündete, kam das französische Konjunkturforschungsinstitut OFCE zu dem Ergebnis, dass Macrons Reformen für knapp sieben Millionen Rentner zu einem jährlichen Minus in der Haushaltskasse von durchschnittlich 320 Euro in diesem Jahr geführt haben. Im EU-Vergleich stehen Frankreichs Rentner indes recht gut da.

Wie hoch sind Frankreichs Schulden?

Rund zehn Milliarden Euro werden die sozialen Wohltaten voraussichtlich kosten, die Macron zu Beginn der Woche verkündete. Damit könnte die französische Gesamtverschuldung, die derzeit bei 97 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt, gefährlich nahe an die 100-Prozent-Marke heranrücken. Auch ein Bruch der entscheidenden EU-Defizitregel, wonach die Neuverschuldung nicht drei Prozent des BIP übersteigen darf, ist für das kommenden Haushaltsjahr nicht auszuschließen. Deshalb sucht Finanzminister Bruno Le Maire nun neue Geldquellen – etwa durch eine Digitalsteuer für Unternehmen wie Google.

Wie hoch ist die Staatsquote im Nachbarland?

Frankreichs Staatsquote – also der Anteil der Staatsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung – liegt über dem EU-Durchschnitt. Während in den 19 Ländern der Euro-Zone der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr 45,8 Prozent betrug, waren es in Frankreich 56,5 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland machten Staatsausgaben im vergangenen Jahr 43,9 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Die hohe Staatsquote in Frankreich hängt zusammen mit der Bedeutung des öffentlichen Dienstes im Nachbarland: Hierzulande arbeitet etwa jeder zehnte Beschäftigte in Teil- oder Vollzeit im öffentlichen Dienst, in Frankreich tut das hingegen jeder fünfte Beschäftigte.

Die Ursache liegt in der vergleichsweise hohen Zahl von Menschen, die für den französischen Zentralstaat arbeiten. Zudem spielen Staatsbedienstete im französischen Gesundheitssektor eine größere Rolle als in Deutschland. Macron war zu Beginn seiner Amtszeit mit der Ansage angetreten, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2022 abzubauen. Ob er das Versprechen einhalten kann, bleibt abzuwarten.

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