Nach Unfall in Berlin-Mitte: Wie gefährlich sind SUV für Mensch und Klima?
Nach dem tödlichen Unfall in Berlin ist die Debatte über SUV neu entbrannt. Die schweren Fahrzeuge stehen als klimaschädlich und „panzerähnlich“ in der Kritik.
Vier Fußgänger sind gestorben, getötet mitten in Berlin von einem schweren Geländewagen, der auf den Gehweg raste. Unter den Toten ist ein dreijähriger Junge, der vor den Augen seiner Mutter starb. Ebenso musste die Frau mit ansehen, wie die Großmutter des Jungen durch den Unfall getötet wurde.
Hunderte Menschen kamen zu einer Mahnwache in der Berliner Invalidenstraße, legten Blumen und Kuscheltiere an der Unfallstelle ab, zündeten Kerzen an. Der genaue Hergang ist noch unbekannt, da hat schon eine Debatte eingesetzt, die seit Langem schwelt und vor Beginn der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt die Autobranche vor unangenehme Fragen stellt. Denn kein Segment wächst so stark wie das der Geländelimousinen, kurz SUV (Sport Utility Vehicle).
Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel, meint: „Solche panzerähnlichen Autos gehören nicht in die Stadt. Es sind Klimakiller, auch ohne Unfall bedrohlich, jeder Fahrfehler wird zur Lebensgefahr für Unschuldige." Die Autobranche wehrt sich gegen einseitige Stimmungsmache – aber auf dem Präsentieren neuer SUV–Modelle bei der IAA liegt ein Schatten.
Wie groß ist die Nachfrage nach SUV?
„Keine Fahrzeugart wächst so stürmisch wie die sportlichen Geländewagen und keine Kategorie polarisiert so stark wie SUV“, sagt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen. „Die Diskussion läuft zwischen Hass und Begeisterung. Erstmals werden in diesem Jahr in Deutschland mehr als eine Millionen SUV neu zugelassen werden.“
Während das Zulassungsniveau im August mit 313.748 Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahresmonat praktisch stagnierte, legte die Neuzulassung von SUV um 11,1 Prozent zu – erstmals rückten sie laut Kraftfahrtbundesamt an die erste Stelle. Dabei wird in der Debatte oft außer Acht gelassen, dass es die Modelle vom Kleinwagen bis hin zur Großkarosse gibt, die kaum noch in die Waschanlage passt.
Dabei ist der Markt für „Monster-SUV“, wie sie die Kritiker nennen, in Deutschland vergleichsweise klein. Der SUV-Boom ist ein weltweites Phänomen, betont der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA). In China sei der Marktanteil auf 41 Prozent gewachsen, in den USA auf 69 Prozent. Aber: Die Modelle mit 580 und mehr PS wiegen teilweise über drei Tonnen – bei Unfällen ist man drinnen geschützter, aber für Radfahrer und Fußgänger können die Fahrzeuge zur tödlichen Gefahr werden.
Warum sind die Wagen so beliebt?
Der Unfallforscher der Versicherungswirtschaft, Siegfried Brockmann, nennt für die Beliebtheit drei Gründe, die Ergebnisse einer Befragung unter Besitzern von SUV sind. Erstens gehe es um die persönliche Sicherheit, die bei Kollision mit anderen Fahrzeugen höher ist. Zweitens kämen ältere oder eingeschränkte Menschen leichter in das Auto und wieder hinaus, weil der Einstieg höher ist. Drittens überzeuge die Übersichtlichkeit, weil sie den Insassen das Gefühl gibt, über dem Verkehr zu thronen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betont auch, dass die Fahrzeuge eine höhere Ladekante beim Kofferraum hätten.
Sind SUV auch besonders gefährlich?
Kollidiert der Wagen mit einem kleineren Auto, ist der Schaden beim Unfallgegner in der Regel höher. Dass die SUV aufgrund dessen eine Gefahr für andere Autofahrer darstellen, weist Siegfried Brockmann aber zurück. Denn bei der physikalischen Berechnung der Bewegungsenergie gehe die Masse nur mit der Hälfte in die Formel ein, die Geschwindigkeit aber im Quadrat. Deshalb sei ein Kleinwagen, der mit 70 Kilometern pro Stunde unterwegs ist, gefährlicher für einen Menschen als ein SUV, der 40 Kilometer in der Stunde fährt.
Generell hätten Fußgänger bei einem Unfall mit einem SUV sogar höhere Überlebenschancen als bei einem Aufprall auf einen Kleinwagen, weil diese nur kurze Motorhauben besitzen und Kopf und Oberkörper so gegen Scheibe oder Karosserie krachen würden. Greenpeace sagt hingegen, dass aufgrund der höheren Motorhaube das Risiko eines tödlichen Unfalls bei Fußgängern um die Hälfte steige. Mit Blick auf den Unfall vom Freitag erklärt Experte Brockmann auch: „Bei Geschwindigkeiten von 50 Kilometern pro Stunde und mehr haben Fußgänger grundsätzlich schlechte Chancen.“
Welche politischen Forderungen gibt es nach dem Unfall von Berlin?
„Wir brauchen eine Obergrenze für große SUV in den Innenstädten“, sagt der Grünen-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag, Oliver Krischer im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Es geht doch nicht, dass die Autos immer größer werden und manche die Städte sogar schon SUV-gerecht machen wollen.“ Am besten wäre eine bundesrechtliche Regelung, die es Kommunen erlaubt, bestimmte Größenbegrenzungen zu erlassen, fordert Krischer.
Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) hatte in der „Rheinischen Post“ eine Verteuerung der Modelle über die Mehrwertsteuer vorgeschlagen. Ein Auto, das groß ist und viel emittiert, müsse beim Kauf anders besteuert werden. „Das wäre de facto eine SUV-Steuer über die Mehrwertsteuer.“ Wer ein derartiges Auto unbedingt haben wolle, müsse halt mehr bezahlen.
VDA-Präsident Bernhard Mattes verwies in einem „Handelsblatt“-Interview, das vor dem Unfall geführt wurde, auf eine entsprechende Nachfrage der Kunden: „Es wäre ein Weg in die Sackgasse, wenn die Hersteller ihre Modellpolitik, nur an den Erfordernissen des städtischen Verkehrs in Europa ausrichten.“ Wären die deutschen Hersteller ohne diese Fahrzeuge auch so erfolgreich in den USA und China? „Nein“, lautet seine Antwort. Es geht auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen. „Die Nachfrage treibt den Markt“, betont Mattes. Die Kunden auf allen Märkten wollten diese Modelle.
Auch Autoexperte Dudenhöfer warnt vor einer „populistischen Debatte“. Man würde ja nach anderen Unfällen auch nicht fordern, Transporter oder Lastwagen aus Innenstädten zu verbannen. Er wirft aber der Automobilindustrie mangelnden Dialogwillen vor: Warum gehe sie nicht stärker auf die Kritiker etwa aus der Klimaschutzbewegung zu und biete ein Diskussionsforum bei der IAA an? Das Geld mit den „Monster-Cars“ werde zudem ohnehin in den USA verdient. In Deutschland könne es Sinn ergeben, diese Modelle nicht anzubieten, um mehr Glaubwürdigkeit in der Klimadebatte zu erzielen.
Warum sind SUV zum Kampfbegriff geworden?
Umweltschützer haben die Karossen als Symbol zur Illustrierung des menschengemachten Klimawandels entdeckt. Denn während der Klimawandel voranschreitet, wächst dieses Fahrzeugsegment besonders stark. In Bremerhaven verhinderten am Samstag Aktivisten von Greenpeace mit „Klimakiller“-Bannern mehrere Stunden das Entladen eines Transportschiffs, das mit SUV beladen war – hier kommen die meisten im Ausland gefertigten Geländewagen für den deutschen Markt an.
Wer als Autofahrer einen Unfall mit einem SUV hat, habe ein viermal höheres Risiko zu sterben als bei einem gewöhnlichen Pkw, argumentiert Greenpeace. Zur Klimadebatte kommt nun also noch die Gefahren-Debatte.
Sind SUV wirklich Klimakiller?
In der Ökobilanz von SUV wirkt sich vor allem der hohe Materialverbrauch bei der Herstellung schädlich aus. Die Geländewagen sind im Schnitt etwa doppelt so schwer wie ein Kleinwagen. Das heißt auch: mehr Stahl für die Produktion und damit mehr CO2-Emissionen. So verursacht die Herstellung von einer Tonne Stahl gut 1,3 Tonnen CO2.
Im laufenden Betrieb sind SUV dagegen weniger belastend fürs Klima, als man denken könnte. Der Verband der Automobilindustrie betont: „SUV stoßen auf den Kilometer gerechnet nur in etwa so viel CO2 aus wie Mittelklasse-Pkw.“ Auch der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer warnt vor „Horrorzahlen“. Die in Deutschland in den ersten fünf Monaten dieses Jahres neu zugelassenen SUV würden im Durchschnitt 144,1 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Das entspreche einem Durchschnittsverbrauch von 6,2 Liter Benzin auf 100 Kilometer, so Dudenhöffer. Besonders große und schwere Modelle kommen allerdings auf bis zu 350 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer.
Was könnte es für Möglichkeiten geben, den SUV-Verkehr in Städten zu verringern?
Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ist ein erbitterter SUV-Gegner. Er saß nur 400 Meter entfernt in einem Restaurant, als der schreckliche Unfall am Freitagabend geschah. „Das hat mich sehr mitgenommen“, sagt er. SUV seien zu einem seltsamen „Urban-Lifestyle“-Fahrzeug geworden, zulasten von anderen Teilnehmern. Er fordert rasch umsetzbare Maßnahmen. Entweder eine City-Maut, die die Einfahrt in Städte für große, schwere und besonders klimaschädliche Wagen teurer mache. Er verweist auf Einfahrtgebühren in London von 28 Euro.
Eine Stadt wie Berlin könne die SUV-Zahl auch über die Parkraumbewirtschaftung verringern, sagt Resch. Entweder werden für SUV gar keine Parkplätze mehr ausgewiesen, was rechtlich schwierig durchzusetzen sein könnte. Oder sie müssten deutlich mehr bezahlen – mit hohen Bußgeldern bei Verstößen. Auf Vorwürfe, es sei pietätlos, jetzt nach einem Unfall mit vier Toten so eine Debatte loszubrechen, entgegnet Resch folgendes „Es ist pietätlos von der Automobilindustrie, solche Fahrzeuge weiter zu bewerben und zu verkaufen.“