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Ein ukrainischer Soldat steht im Hafen von Mariupol.
© AFP
Update

Ukraine und Russland: Wie gefährlich kann das werden?

Vor der Krim eskaliert der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Poroschenko wirft Russland eine massive Truppenkonzentration an der Grenze vor.

Nach der militärischen Auseinandersetzung in der Meerenge von Kertsch ist eine neue Debatte über Sanktionen gegen Russland entbrannt. Moskau lässt sich davon nicht schrecken und setzt eisern auf Powerplay. Am Dienstag sind die ersten ukrainischen Seeleute auf der annektierten Krim dem Haftrichter vorgeführt worden. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko warf am Dienstagabend Russland eine massive Truppenkonzentration an der Grenze vor und warnte vor einem drohenden Krieg. Die russische Armee habe die Zahl der Panzer an ihren Stellungen entlang der Grenze verdreifacht, sagte Poroschenko am Dienstagabend zu mehreren ukrainischen Fernsehsendern. Er warnte vor der Gefahr eines "vollständigen Kriegs".

Was ist das Besondere an dem russischen Vorgehen in der Meerenge von Kertsch?

Zum ersten Mal hat das russische Militär unter russischer Flagge die Streitkräfte der Ukraine angegriffen. An der Annexion der Krim waren 2014 zwar russische Spezialeinheiten maßgeblich beteiligt, wie der russische Präsident Wladimir Putin später offen eingestand. Sie operierten jedoch ohne russische Hoheitszeichen. Den Einsatz regulärer russischer Truppen im Osten der Ukraine bestreitet Moskau bis heute. Die zahlreichen Indizien dafür bezeichnet Russland als „fake news“.

Welche Bedeutung hat die Passage für die Ukraine und für Russland?

In den beiden ukrainischen Häfen Berdjansk und Mariupol werden Kohle, Stahl und Getreide umgeschlagen. Bei einer Blockade der Meerenge sind sie vollständig abgeschnitten. Die ökonomische Bedeutung der fünf russischen Häfen in der Region ist sogar noch größer. Russland wickelt hier 40 Prozent seines Getreideexportes ab. Über die Häfen Kawkas und Rostow am Don verschifft der „Rosneft“-Konzern bedeutende Ölmengen.

Wie groß ist derzeit das Risiko einer weiteren Eskalation?

Der Vorsitzende des Auswärtiges Ausschusses der russischen Duma Aleksei Puschkow, kam am Dienstag mit einer Botschaft der Entwarnung nach Berlin und versuchte, die Lage herunterzuspielen. Die Tatsache, dass Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Montag nach Monaten des Schweigens wieder telefoniert hätten, sei doch „ein Zeichen, dass sie die Situation unter Kontrolle behalten wollen“, sagte der gewöhnlich gut informierte russische Politiker beim Berlin Foreign Policy Forum, einer großen Außenpolitikkonferenz der Körber Stiftung, zu der einmal im Jahr zahlreiche Diplomaten, Politiker und Analysten zusammenkommen. „Das hier wird in einer Woche wieder vergessen sein“, sagte Puschkow.

Europäische Diplomaten, die die Konferenz besuchten, teilten die Einschätzung, dass beide Seiten, Russland und die Ukraine, kein echtes Interesse an einer Eskalation des Konfliktes haben. Gewertet wurde der Vorfall allgemein als innenpolitisch motiviertes Manöver. Der liberale Europaabgeordnete und Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff sagte, die Vorfälle würden den Konflikt nicht auf eine neue Ebene heben, sondern seien „Ausdruck bestehender Konflikte“.

Wie ist die Rechtslage?

Russland beansprucht die alleinige Hoheitsgewalt über die Meerenge und lehnt deshalb die Anwendung internationaler Rechtsnormen ab. Zahlreiche Juristen weisen das jedoch energisch zurück. Nach deren Ansicht wird der Status der Meerenge – unabhängig von der Annexion der Krim – von zwei Dokumenten bestimmt: der UN-Konvention über das Seerecht von 1982 und der Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine von 2003.

Die UN-Konvention garantiert Schiffen aller Länder die friedliche Durchfahrt – auch durch territoriale Gewässer. Das gilt auch für das friedliche Passieren von Kriegsschiffen. Mit einer „Grenzverletzung“ zu argumentieren, ist nach dieser Auslegung gegenstandslos. Das russische Vorgehen, die Anwendung von Gewalt und auch das Eskortieren der ukrainischen Schiffe in den Hafen von Kertsch, ist demnach rechtswidrig, ja sogar als Aggression zu werten. Den bilateralen Vereinbarungen widerspricht die russische Kaperung ohnehin.

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen wertete die Situation insgesamt als kommunikativen Erfolg für Russland. Schon die Tatsache, dass jetzt überhaupt international darüber diskutiert werde, ob die Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste der Krim verletzt worden sei, sei ein Gewinn für Putin. So setze sich der Eindruck fest, es handele sich dabei um legitimes russisches Territorium – was nicht der Fall ist.

Was wird aus den ukrainischen Matrosen?

Drei ukrainische Marineschiffe, die durch die Meerenge von Kertsch fahren sollten, wurden am Sonntag von der russischen Küstenwache aufgebracht, eines der drei Patrouillenboote war zuvor von einem russischen Schiff gerammt worden. Bei der Aktion der russischen Marine sollen Schüsse gefallen sein, mindestens drei Matrosen wurden verletzt. Insgesamt 24 ukrainische Matrosen wurden von russischen Marinesoldaten festgesetzt und ebenso wie die Boote in die Hafenstadt Kertsch gebracht. Am Dienstag sollten sie einem Haftrichter auf der von Moskau annektierten Krim vorgeführt werden. Zunächst entschied das Gericht, dass drei ukrainische Matrosen für zwei Monate in Gewahrsam genommen werden. Ihnen wird eine Verletzung der russischen Grenze vorgeworfen.

Wie positioniert sich die Bundesregierung?

Gemeinsam mit Frankreich versucht die Bundesregierung bereits seit 2014 im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. So entstanden die beiden Minsker Vereinbarungen, die allerdings bis heute nicht eingehalten werden. Außenminister Heiko Maas (SPD) stellte nun auch im jüngsten Konflikt eine deutsche Vermittlung in Aussicht. „Wir haben angeboten, im Normandie-Format an einer Lösung zu arbeiten“, sagte Maas am Dienstag bei der Konferenz der Körber-Stiftung. Als „Normandie-Format“ werden die regelmäßigen Gespräche von Vertretern der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands bezeichnet.

Am Montag trafen sich ranghohe Diplomaten aus den vier Länder im Auswärtigen Amt, das Treffen war bereits länger geplant. Moskau lehnte das deutsche Angebot allerdings umgehend ab. Die Behörden Russlands und der Ukraine könnten die Probleme selbst diskutieren, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Maas hatte zuvor betont, es müsse alles für eine Deeskalation getan werden, um eine „noch schwerere Krise für die Sicherheit Europas“ zu verhindern. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte noch am Montagabend den russischen Präsidenten Wladimir Putin angerufen und „Deeskalation und Dialog“ angemahnt. Die Stellungnahmen aus Berlin wirken deutlich zurückhaltender als die Erklärungen aus mehreren anderen europäischen Hauptstädten oder aus Kanada, in denen von „russischer Aggression“ die Rede ist.

Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, kritisierte die Haltung der Bundesregierung. Bei allem Verständnis für die Sorge, dass der Konflikt eskaliert, hätte er sich eine stärkere Verurteilung der russischen Haltung gewünscht, sagte Nouripour. Am Ende sei die europäische Antwort stärker ausgefallen als die deutsche.

Wie reagiert die EU?

Die Europäische Union will über neue Sanktionen gegen Russland diskutieren. Das Thema brachte ausgerechnet die österreichische Außenministerin Karin Kneissl ins Gespräch, deren Regierung bisher nicht mit russlandkritischen Positionen auffiel und die Putin im Sommer zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Österreich hat bis zum Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft inne, die Russland-Sanktionen sollen beim nächsten Treffen der Außenminister am 10. Dezember auf der Tagesordnung stehen. Estland sprach sich bereits für schärfere Sanktionen aus.

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