Besuch bei Lachsfischern in den USA: Wie fühlt sich der Klimawandel an?
Sie sind die ersten Amerikaner, die die Erderwärmung zu spüren bekommen: der Stamm der Swinomish im Nordwesten der USA.
Gute Jahre bei den Swinomish beginnen im Monat der Zimthimbeere, dem Juni, mit dem Beerensammeln und den ersten Rotlachsen, die stromaufwärts hüpfen. Mit rauschenden Festen am Strand, auf heißen Steinen geräucherten Muscheln und Bier. Gute Jahre enden damit, dass Brian Cladoosby die drei mannshohen Kühlschränke in seiner Garage mit vakuumverpackten Lachsen füllt. Cladoosby ist der Vorsitzende der Swinomish im Nordwesten der USA, zwei Stunden nördlich von Seattle.
Gute Jahre sind selten geworden. Gerade erst hat ein neues Konsortium aus Forschern den Swinomish bestätigt: Sie sind die ersten Amerikaner, die den Klimawandel zu spüren bekommen. „Wir Indianer in den USA sind wie die Kanarienvögel in den Kohleminen“, sagt Brian Cladoosby.
Das Reservat der Swinomish ist an drei Seiten vom azurblauen Wasser der Skagit-Bucht umschlossen. Jedes wärmere Grad im Winter, jeder steigende Zentimeter Meeresspiegel im darauffolgenden Sommer bedeutet: zusammenrücken. Der kälteste Tag des Jahres ist im Schnitt schon 2,6 Grad wärmer als noch vor einem halben Jahrhundert. Dazu kommen Sturmfluten im Winter und Waldbrände im Sommer.
Etwa 60 Jahre bleiben dem Reservat, bevor eine „Jahrhundertflut“ darüber hinwegwaschen könnte. Die Küstenerosion, die die Kiesstrände abträgt und damit den Lachsen die Strände zum Laichen nimmt. Die Swinomish sind Lachsfischer. Sie sagen: Kommt die Ebbe, ist der Tisch gedeckt. Wasser bedeutet ihnen Leben. Bis es den Tod bedeutete. Das war 2006. Als eine Sturmflut die Hütten der Swinomish von den Ufern spült, können sich selbst die Ältesten aus dem Reservat nicht an ein derartiges Unwetter erinnern.Cladoosby wird aufmerksam. Tuscheln die Fischer nicht schon lange, dass die Muscheln nicht an den gewohnten Stränden zu finden seien? Werden nicht auch die Lachse immer weniger?
Brian Cladoosby engagiert die ersten Forscher
Brian Cladoosby liest über den Klimawandel, dann engagiert er die ersten Forscher. Sie bohren Metallstäbe in den Boden, um zu messen, wie viel Land die Swinomish jedes Jahr an den Ozean verlieren. „Sie müssen verstehen: Stämme sind mit ihrem Lebensraum verwurzelt. Wir können nicht einfach einpacken und umziehen, wenn der Klimawandel kommt.“
Dass der Klimawandel menschengemacht ist, glaubten zu Beginn der Bemühungen der Swinomish noch nicht viele Amerikaner. Aber Brian Cladoosby ist Kontroversen gewohnt. Sein indigener Name „Spee-Pot“ heißt so viel wie Bärchen, aber Cladoosby hat eher den Habitus eines majestätischen Grizzlys. Cladoosby beantragt Geld von der Umweltbehörde EPA und setzte eine Reihe von Projekten auf.
Er trotzt den Fischern Fangquoten ab, um die Lachspopulationen zu schützen. Streitet mit Fabrikbesitzern, die Abwässer in den Swinomish-Kanal leiten, und den Öl-Raffinerien, die übelriechende, dunkle Wolken über das Reservat pusten. Die erodierten Strände werden untersucht und mit einer Kiesmischung in ähnlicher Zusammensetzung aufgefüllt. Das Amt für Fischerei stellt Biologen ein, das Planungsbüro Geologen und Geografen. Die Polizei des Stammes stockt die Einheit für die Kontrolle der Fangquoten auf.
Brian Cladoosby ist stolz: Der erste Schritt, um mit den Folgen des Klimawandels besser umgehen zu können, ist getan, denkt Cladoosby. Aber viele westliche Wissenschaftler vergessen die indigenen Amerikaner in ihren Berechnungen. Und Cladoosbys Stammesmitglieder stehen den Wissenschaftlern mehr als skeptisch gegenüber.
Viele Swinomish essen jeden Tag Muscheln und Fisch
Cladoosby liest über das Meer, das menschengemachtes Kohlendioxid absorbiert, wie Forscher vermuten. Die Temperatur steige auch, heißt es, und das verändere die Ökosysteme unter der Meeresoberfläche. Gerade im Nordwesten der USA wachsen dadurch mehr und mehr giftige Algen, die Nahrungsgrundlage vieler Muscheln. Dazu kommen Gifte aus der Industrie. Die Konzentration der Toxine sei nicht weiter bedenklich, bei einem zugrunde gelegten Konsum von 6,5 Gramm Meeresfrüchten täglich, hatten die Forscher beschieden. Viele Swinomish essen, selbst in schlechten Jahren, jeden Tag Muscheln und Fisch, fast alle mehrmals wöchentlich.
Die Umweltwissenschaftlerin Jamie Donatuto sollte damals herausfinden, ob die giftigen Muscheln das Leben auf dem Reservat bedrohen. Ihre ersten Forschungen muss sie schnell verwerfen. „Ich hatte eine ganz klassische Rechnung gemacht: Die Menge des Toxins pro Muschel, multipliziert damit, wie giftig es ist, ergibt die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken.“ Aber die westliche, zahlenbasierte Forschung kam bei den Swinomish-Ältesten nicht gut an. Umweltschutz hängt für sie nicht nur mit der eigenen, individuellen Gesundheit zusammen. „Das ist fast symbiotisch: Den Swinomish geht es nur gut, wenn es der Natur auch gut geht.“
Jede Familie hat ihre eigene Beziehung zur Natur. Die eine kennt die besten Elchjagdgründe, die andere die besten Krabbenstrände und wieder eine andere weiß, wo die traditionellen Kräuter wachsen. Das Wissen darum wird seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben. „Wir haben herausgefunden, dass viele dieser Zugänge zu Ressourcen in 100 Jahren durch den steigenden Meeresspiegel nicht mehr da sein werden. Das ist, wie wenn eine christliche Familie über Generationen in dieselbe Kirche geht – und plötzlich ist sie weg.“ Donatuto und die Swinomish verstehen: Sie müssen für die Zukunft planen.
Langsam lernt Donatuto, die Swinomish zu verstehen – und die Swinomish die Wissenschaftlerin. Gemeinsam mit Brian Cladoosby und einem Team aus Wissenschaftlern und Stammesmitgliedern schreiben sie ihre Erfahrungen in einem „Klimawandeladaptionsplan“ nieder. „Wir waren damals der erste Stamm mit so einem Plan, nicht mal alle Bundesstaaten der Vereinigten Staaten hatten einen“, sagt Cladoosby.
Die Wissenschaftler helfen, Klimaprogramme zu initiieren
Donatuto verbringt heute mehr Zeit auf Flughäfen als im Labor. Sie und die anderen Wissenschaftler reisen gemeinsam mit den Stammesältesten in andere Reservate. Nach Alaska, nach North Carolina und Arizona. Sie helfen, Klimaprogramme zu initiieren, Gesundheitsbehörden zu informieren und Forschungsprojekte anzuschieben.
Als Donald Trump im Juni verkündet, aus dem Pariser Klimaabkommen ausscheren zu wollen, setzt Brian Cladoosby einen Brief auf: Wir sind weiterhin dabei. Unterzeichnet: Brian Cladoosby, Vorsitzender der Swinomish. Der NCAI, die größte und älteste Interessenvertretung indigener Amerikaner, verabschiedet einige Tage später eine entsprechende Resolution.
Es ist ein nebliger Augusttag. Tanner Wilbur hat eben noch einen Kaffee im „Stomping Ground“ geholt. In dem kleinen Café sitzen schon morgens die weißhaarigen Fischer und Angler und erzählen sich Geschichten von besseren Jahren. Wenn im Herbst die Fangquoten hälftig zwischen den Swinomish von der Reservatshalbinsel und den weißen Berufsfischern aufgeteilt werden, wird erbittert gestritten. Die Quoten werden jedes Jahr strenger, die Debatten erhitzter. Aber trifft man sich im „Stomping Ground“, wird freundlich gegrüßt und geklönt.
Tanner Wilburs Haut ist ebenso gegerbt von den salzigen Winden des Swinomish-Kanals wie die der alten Fischer im Coffeeshop. Seine Gesichtszüge aber sind viel jünger. Und noch etwas hebt ihn ab: Er trägt die Uniform der indigenen Wasserpolizei. Jeden Tag fahren Tanner und seine Kollegen raus auf den Kanal, manchmal bis Seattle. Sie zählen Reusen und Netze, verteilen Strafen für Fischdiebe und Schwarzangler und schleppen die Unbelehrbaren zurück in den Hafen.
Tanner Wilbur war früher selbst Lachsfischer
In den guten Jahren war Tanner Wilbur Lachsfischer, wie alle Swinomish. Mit drei Tagen wurde er zum ersten Mal auf ein Boot getragen. Mit 13 warf er seine erste Reuse von einem der drei Lachsfangboote des Stammes. Mit 17 schmiss er die Schule. „Wenn du hart arbeitest, konntest du als Fischer um die 100.000 Dollar im Jahr machen. Manchmal habe ich 30 Tage durchgemacht, manchmal konnte ich vier Tage arbeiten, dann fünf Tage Urlaub in Hawaii machen.“
Heute haben die Swinomish mehr als 60 Boote, gleichzeitig werden die Fische weniger. „Aber es wollen noch immer alle Kinder Fischer werden. So wurden wir erzogen: Unsere Eltern sind Fischer, genauso unsere Großeltern, Onkel und Cousins.“
Als die guten Jahre vorbei sind und die Lachse ausbleiben, hängt der Fischer Tanner Wilbur den Neoprenanzug an den Haken, geht zur Polizeischule und heuert bei der „Swinomish Fisheries Police“ an. Weniger Geld, aber ein guter Job. „Ich beschütze die Umwelt und halte Leute vom Stehlen ab. Das ist doch was.“ Manchmal nimmt er sich ein paar Tage frei, um im Schlamm nach Elefantenrüsselmuscheln zu graben oder im Flachwasser nach Seegurken zu tauchen. Das ist noch lukrativ, denn die Tiere werden über Zwischenhändler nach Asien verkauft.
Als Wilbur mit dem Motorboot auf das moosfarbene Wasser prescht, ist es 9 Uhr morgens, die meisten der Fischer haben ihr Tagwerk bereits verrichtet. Ohnehin gibt es um diese Jahreszeit nur Krabben und andere Krustentiere. Die Lachse sind bereits vorbeigezogen. Es war ein besonders schlechtes Jahr, weil nach den „Chinook“ , den Königslachsen, zum ersten Mal auch die pinken „Humby“ Lachse ausgeblieben sind. Forscher vermuten, dass die Tiere einen Bogen um die immer wärmer werdenden Gewässer schwimmen.
Es ist ein hartes Geschäft geworden für die Fischer
Wilbur steuert eine der Reusen an. Mit einem Seilzug hievt er das runde Metallgitter auf das Polizeiboot. Eine Handvoll Krabben hat sich darin verfangen. „Das hier ist ein Weibchen. Das hier ist eine gefährdete Art.“ Wilbur greift flink nach den Tieren und lässt sie über die Reling zurück in den Kanal plumpsen.
Er zückt einen handbreiten Metallwinkel und legt ihn an die verbliebenen Krabben an. „Zu klein. Die auch.“ Zwei weitere Tiere wandern über die Reling. Bis auf eine große, orange schimmernde Krabbe ist das Netz leer. „Die kann bleiben“, sagt Wilbur und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Es ist ein hartes Geschäft geworden für die Fischer der Swinomish.
Brian Cladoosby sitzt zugleich am anderen Ende des Reservats in seinem Büro und wartet darauf, dass sein Telefon klingelt. Die Trump-Regierung will die Mittel der Umweltagentur EPA um ein Drittel kürzen. EPA finanziert die meisten Umwelt-Programme der Swinomish, deswegen beobachten Cladoosbys Mitarbeiter die Nachrichten aus Washington noch genauer als sonst. „Wir müssen Zeile für Zeile durch ein Millionenbudget gehen, um zu sehen, welche unserer Umweltprojekte von den Kürzungen betroffen sind.“
Cladoosby hat seiner Regierung ein Angebot gemacht. Er will eine Anhörung zu den „Umwelteinflüssen auf Indigene Amerikaner“ anberaumen. „Wir können es Umwelt nennen, statt Klimawandel, erwähnen nicht die Erderwärmung und reden meinetwegen auch nicht darüber, wer daran schuld ist. Aber wir müssen entscheiden, was wir dagegen tun.“ Die Antwort steht noch aus.
Die Recherchereise der Autorin nach Washington wurde ermöglicht durch ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika.
Thembi Wolf