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Nach jetzigem Stand müssen die EU und Großbritannien bis Jahresende ihre künftigen Wirtschaftsbeziehungen klären.
© AFP

Brexit: Wie es nach dem Austritt weitergeht

Bis Ende des Jahres müssen sich London und Brüssel verständigen, wie sie die künftigen Beziehungen gestalten wollen. Die Zeit wird knapp.

Mehrfach wurde der Brexit verschoben, doch jetzt ist es so weit. In der Nacht von Freitag auf Samstag verlässt das Vereinigte Königreich nach 47 Jahren die EU. Großbritannien wird ein Drittstaat. Allerdings werden Unternehmen und Bürger bis Ende des Jahres erst einmal nichts davon merken. In der so genannten Übergangsphase gilt weiterhin der EU-Gesetzesrahmen auf der Insel. Die Briten müssen auch Beiträge in den EU-Haushalt zahlen und sich an die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) halten. Sie beenden aber ihre Präsenz in EU-Institutionen wie den Brüsseler Ministerräten und dem Europaparlament.

Was passiert in der Übergangsphase?

Es muss ausgehandelt werden, wie die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen London und Brüssel nach dem Brexit aussehen. Konkret heißt dies: Es muss ein Handels- und ein Fischereiabkommen abgeschlossen werden. Dabei geht es um die Bedingungen, die künftig in vielen Bereichen der Wirtschaft gelten. Es geht um Zölle und andere Handelsschranken in den Bereichen Datenschutz, Verkehr, Dienstleistungen sowie dem Austausch von Gütern und Kapital. Außerdem muss entschieden werden, wie eng das Vereinigte Königreich künftig mit der EU bei Sicherheit und Verteidigung zusammenarbeiten will. Im Grunde muss der gesamte Rechtsrahmen für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich neu bestimmt werden.

Ist der Fahrplan realistisch?

Nein. Im März sollen die Verhandlungen beginnen. Sie müssten Ende Oktober abgeschlossen sein, um das Abkommen noch vom Gesetzgeber in der EU sowie auf der Insel ratifizieren zu lassen. Das Fischereiabkommen müsste bereits in der ersten Jahreshälfte unter Dach und Fach sein. Dieser Zeitplan ist unrealistisch. Es dauert mehrere Jahre, ein Handelsabkommen auszuhandeln. Der britische Premier Boris Johnson schließt aber eine Verlängerung der Übergangsphase kategorisch aus.

Sollte Johnson seine Meinung noch ändern, müsste er spätestens bis Juli einen Antrag auf Verlängerung bei den anderen Mitgliedstaaten einreichen. In Brüssel richtet man sich auf eine gesichtswahrende Lösung für Johnson ein. Sie könnte so aussehen: London und Brüssel schließen ein „Not“-Handelsabkommen ab, bei dem die vielen Detailfragen offenbleiben. Man verständigt sich darauf, diese in einer weiteren Übergangsphase zu klären.

Was sind die heiklen Punkte?

Die britische Seite wird versuchen, möglichst einen ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt mit dann 450 Millionen Konsumenten zu bekommen. Die EU-Seite hat bereits deutlich gemacht, dass dies nur denkbar ist, wenn London sich weiterhin an die EU-Standards bei Produkten, Steuern, dem Verbraucherschutz und der sozialen Absicherung der Arbeitnehmer hält. Dumping werde man nicht hinnehmen, es müssten auf beiden Seiten die gleichen Spielregeln gelten. Auch besteht die EU auf Arbeitnehmerfreizügigkeit.

All dies dürften bittere Pillen für Johnson sein. Schließlich haben die Briten mehrheitlich für den Austritt gestimmt, weil sie die Grenzen für Zuwanderer aus Osteuropa dichtmachen und sich nicht mehr den Regeln der EU unterwerfen wollen. Die britischen Konservativen haben bei der Wahl beachtliche Erfolge in den Industrierevieren in Mittel- und Nordengland erzielt. Johnson dürfte gedrängt werden, die dortigen Unternehmen gegen Konkurrenz aus Europa zu schützen. Dies legt nahe, dass die Verhandlungen schwierig und langwierig werden.

Wo ist eine enge Zusammenarbeit denkbar?

Brüssel peilt eine Sicherheitspartnerschaft mit London an. Ziel ist, dass die Briten nach ihrem Austritt weiterhin bei der europäischen Polizeibehörde Europol mitmachen und dass die britischen Sicherheitsbehörden eng mit den EU-Behörden kooperieren. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), setzt sich dafür ein, dass London am europäischen Verteidigungsfonds sowie an der strukturierten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in militärischen Bereichen (Pesco) teilnehmen soll. Selbst zu informellen Räten im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik sollen die Briten eingeladen werden. Auch gemeinsame Militärmissionen seien denkbar.

Was passiert mit dem Streitpunkt Nordirland?

Vorerst ist der Status der britischen Provinz im Norden Irlands für die Dauer von vier Jahren geklärt: Die Grenze zur Republik Irland, die zur EU gehört, bleibt offen. Nordirland bleibt Teil des Vereinigten Königreichs, muss aber für Waren, die für die EU bestimmt sind, die fälligen Zölle erheben und weiterleiten. Nach vier Jahren stimmt das Parlament in Nordirland ab, ob diese Regelung beibehalten oder aufgekündigt werden soll.

Was tut sich im Europaparlament?

Die 73 Abgeordneten des Vereinigten Königreichs verlassen bis spätestens zum Freitag das Europaparlament. Dadurch werden die Fraktionen der Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Sitze verlieren. Die Fraktion der Christdemokraten ist nicht betroffen, weil die britischen Konservativen dort schon vorher ausgestiegen sind. 27 Plätze werden auf Italien, Frankreich und zwölf andere Mitgliedstaaten verteilt, die derzeit gemessen an ihrer Bevölkerungszahl leicht unterrepräsentiert sind. 46 Sitze bilden eine Reserve und stehen für mögliche neue Mitglieder bereit.

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