Geburtstag der "Drei Fragezeichen": Wie es ist, seit 40 Jahren Justus Jonas zu sein
Oliver Rohrbeck spricht „Die drei Fragezeichen“ - seit 1979. Ein 18 Jahre alter Detektiv ist die Rolle seines Lebens.
Gerade setzt ein Mann an, Glibber aus einem überdimensionierten Einmachglas zu trinken, um ihn dann in ein Waschbecken zu erbrechen. Oliver Rohrbeck nickt zufrieden. „Wasserspeichergranulat für Pflanzen“, erklärt sein Mitarbeiter, „das tut man in die Erde und dann lädt es sich mit Wasser auf und hält ewig.“ Viel wichtiger aber, ergänzt Rohrbeck: „Flatscht so schön.“ Würgen kann man simulieren, „aber das Flatschen muss hinzugefügt werden“. Man könnte wohl auch in einer matschigen Melone wühlen, überlegt er laut. Melone? Natürlich, was wäre die deutsche Hörspiellandschaft ohne Obst und Gemüse? Rohrbeck klärt auf. Da wird jemand verfolgt und dann festgehalten und dann schreit er „Hey, lass los, du brichst mir den Arm“ – „und dann“, sagt Rohrbeck, „zerbrechen wir die Selleriestange. Man fühlt den Sekundärschmerz sofort.“
Der Mitarbeiter drückt die Faust in ein prall gefülltes Kissen. Schritte im Schnee. „Kartoffelstärke. Glutamat klingt nicht ansatzweise so gut.“
Berlin-Charlottenburg, im Studio „Xberg“, Geräuschaufnahme für die Hörspielfassung von „Unter Haien“, das Erstlingswerk der Bestsellerautorin Nele Neuhaus. Rohrbeck schließt die Tür wieder, um die Aufnahme nicht weiter zu stören, nimmt im Nebenraum auf einem Ledersofa Platz.
Oliver Rohrbeck, Schauspieler und Hörspielsprecher, Studiobetreiber und Produzent. So stellt er sich den Leuten vor.
Ebenso gut könnte er sagen: Justus Jonas, erster Detektiv. Wir übernehmen jeden Fall.
Was er sagt, ist aber eigentlich egal: Die meisten kommen sowieso schnell drauf. Taxifahrer drehen sich um und Schaffner gucken erstaunt.
Ein Schrottplatz, ein Wohnwagen, drei Freunde
Vor 40 Jahren, Mitte Oktober 1979, erschien in Deutschland die erste Hörspielfolge der in den USA erdachten Jugendreihe „Die drei Fragezeichen“: „Der Super-Papagei“. Drei Freunde eröffnen ein Detektivbüro in einem Wohnwagen auf dem Schrottplatz von Justus Jonas’ Onkel im fiktiven kalifornischen Küstenort Rocky Beach. Für einen Freund von Alfred Hitchcock sollen sie ein vermisstes Tier wiederfinden. Und kommen dabei nebenbei einem Meisterdieb auf die Spur.
Damals war Oliver Rohrbeck 14. Jetzt ist er 54. In der Zwischenzeit sind 200 Folgen erschienen: Über 150 Gold- und Platin-Schallplatten, mehr als 50 Millionen verkaufte Tonträger. Auf allen leiht Rohrbeck dem geschwollen redenden Anführer seine Stimme. 2014 haben sie in der Waldbühne mit fast 20.000 Fans einen Weltrekord im Live-Hörspiel aufgestellt.
Rohrbeck kennt Justus Jonas: "So redet der nicht"
Rohrbeck hat Erzähler, Mitsprecher und Drehbuchautoren kommen und gehen sehen, der Verlag Kosmos und die heutige Sony Music GmbH lieferten sich einen erbitterten Kampf um die Rechte. Oliver Rohrbeck blieb Justus Jonas, für immer 18 in einem zeitlosen Kosmos. Es ist die Rolle seines Lebens: Wenn er ein Manuskript bekommt und darin steht der Satz „Hey, lass mal, Kumpel“, oder „wie abgefuckt ist das denn?“, sagt Rohrbeck: So redet der nicht. Dann wird das geändert. Er begreift sich auch als Hüter der Marke. Keiner kennt die Figur so gut wie er.
Vier- bis fünfmal im Jahr spricht er zusammen mit seinen Mitermittlern Jens Wawrczeck (zweiter Detektiv: Peter Shaw) und Andreas Fröhlich (Recherchen und Archiv: Bob Andrews) in Hamburg am Rothenbaum neue Folgen ein. Als 2004 25-jähriges Jubiläum war, brachten sie das als Nachricht in den Tagesthemen, zum 30. noch mal. „Jeder Schauspieler freut sich, wenn er etwas hat, wofür er erkannt wird“, sagt Rohrbeck. Dazu gehört, dass man fast immer zusammen mit dieser Figur gelesen wird. Oliver Rohrbeck ist Justus Jonas wie Götz George Schimanski war – der doch fantastische andere Filme gemacht hat, zwischendrin, hinterher.
"Du klingst wie ein Weichei. Nochmal!"
Was viele nicht wissen: Rohrbeck auch. „Yesterday“ zuletzt zum Beispiel oder „Bohemian Rhapsody“. Er hat die deutschen Dialogbücher geschrieben und die Synchronregie geleitet, hier, in seinem Studio, das er mit seinem Geschäftspartner führt. Zahlreiche Musikfilme haben sie vertont wie die Johnny-Cash-Biografie „Walk the line“ oder „Mamma Mia“. Aber auch „Der Teufel trägt Prada“ und sämtliche „The Fast and the Furious“-Filme – würde er sich nie im Kino ansehen, sagt Rohrbeck ehrlich, aber das Aufnehmen sei so vergnüglich. „Wenn Dwayne ,The Rock‘ Johnson in knödelnder Westernstimme sagt: ,Hey, Toretto, warst nicht schwer zu finden‘ und dann knurrt Vin Diesel ,hab mich nicht versteckt‘.“ Und dann darf Rohrbeck dem Sprecher sagen: „Du klingst wie ein Weichei. Nochmal!“
Er mag diesen Seitenwechsel. Ist er des Junior-Detektivs manchmal überdrüssig? Rohrbeck zögert nicht. „Wenn es keinen Spaß machen würde“, antwortet er, „würden wir es nicht machen.“
Gar nicht mal so groß ist er, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarz umrandete Brille, Glatze. Zig Frauen und Männer schlafen jede Nacht mit ihm ein.
Keine andere Hörspielreihe der Welt hat eine solche Fangemeinde. Wenn „Die drei Fragezeichen“ auftreten, halten ihm Eltern Babys hin mit der Bitte, „Von Justus für Justus“ auf den Body zu schreiben. Präsentiert ein Mann, dem er beim letzten Mal ein Autogramm gegeben hat, eben dieses jetzt als Wadentattoo.
Sein Gesicht? Eher unbekannt
Seine Stimme kennen Millionen. Sein Gesicht? Vor einiger Zeit hat er für die deutsche Synchronfassung des Animationsfilms „Missing Link“ Dialogregie geführt, in den Sprecherhauptrollen Bastian Pastewka und Christoph Maria Herbst. Da gingen sie in der Pause am Hohenzollerndamm zum Vietnamesen, „da schmeißt sich das halbe Lokal auf Herbst und Pastewka. Und ich kann in der Zwischenzeit meine Suppe essen“.
Sein Freund und Kollege Andreas Fröhlich hat das mal so zusammengefasst: Man wird manchmal gefeiert wie Robbie Williams – aber man ist es dann doch nicht.
Neben Fröhlich hat Rohrbeck schon in der Schule gesessen. Rohrbecks Mutter leitete eine Kinderagentur in Berlin, besetzte den Kameraden mit. Hatte er je eine Wahl? Rohrbeck hat sich das nie gefragt, das Mikrofon war immer da. Rohrbeck war das Kaninchen Klopfer in „Bambi“ und Disneys „Pinocchio“, er sprach den kleinen Drachen Grisu und Lillebror in „Karlsson auf dem Dach“.
Nach der Schule ab ins Tonstudio
Vor den Mitschülern redete er wenig darüber. Hast du Lust, heute Nachmittag rumzukommen? – Ich werde abgeholt, gehe noch ins Studio. Um „Fünf Freunde“ zu synchronisieren zum Beispiel, „politisch unkorrekte Texte zu sprechen“: Schon ist Rohrbeck mit Enid Blyton auf der Felseninsel. Jungsstimme: „Oh, hier stand doch eine Ming-Vase und das Fenster steht offen, ist in der Nähe nicht ein Zigeunerlager?“ Er lacht. „Das hat man so gesagt und es kam einem auch nicht komisch vor.“
Als er die Schule dann beendete, um nicht zu sagen abbrach, gab ihm seine Stimme Freiheit. Die Eltern hatten das Geld, das er als Kind verdient hatte, nicht etwa verhökert, sondern für ihn angelegt. Er konnte sich eine eigene Wohnung leisten und ging auf die Schauspielschule.
In vier Jahrzehnten Hörspiel hat sich nicht nur Rohrbeck verändert
Wenn man 40 Jahre eine Figur spricht, reicht das nicht. „Ich muss mich da reinfühlen“, gestikulieren, die Augen aufreißen, sonst könnte man ihm den Teenager gar nicht abkaufen. Und doch: „Im Film würde man hören, dass die Stimme zu alt ist, wenn man einen 18-jährigen Körper dazu sieht.“ Bei der Auswahl der Nebencharaktere achtet Produzentin Heikedine Körting darauf, dass die anderen nicht jünger klingen.
In vier Jahrzehnten Hörspiel hat sich nicht nur Rohrbeck verändert. Auf Audiokassette waren die Episoden 50 Minuten lang, auf eine CD passen 78. Anders als manche Musikgruppe, die darunter leidet, dass bei Streamingdiensten bloß einzelne Songs abgerufen werden statt ganze Alben, sind die Fragezeichen Spotify-Gewinner. Echte Anhänger freilich, für die zählen nur Kompaktkassetten, weshalb von jeder Neuerscheinung reichlich davon produziert werden. Es dürfte ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal sein.
Illusion gehört zum Geschäft
Auch das Synchronisationsgeschäft hat sich weit von dem seiner Kindheit entfernt. „Alle lieben die Synchronisation von ,Die 2‘. Die hat mit dem Original aber nichts zu tun.“ Heute wird penibel darauf geachtet, dass selbst ein Seufzer exakt so gemacht wird wie im Original. „Da hat der amerikanische Produzent auch das Recht drauf: Der plant so ’nen Film fünf Jahre, investiert vielleicht 60 Millionen Dollar.“
Und doch gehört die Illusion genauso zum Geschäft wie die Imperfektion. Wenn einer seine Liebe beschwört, ist das quälend für den Regisseur. Darin steckt dieses verdammte B: „Ein Voll-Labial. ,Ich finde dich gut‘ sähe viel besser auf ,I love you‘ aus als ,Ich liebe dich‘. Aber Inhalt geht vor Lippenbewegung“, bedauert Rohrbeck. Dann würden just diese Momente im Kino immer in Nahaufnahme gezeigt.
Durch die Gefühlshölle
Synchronisation, das ist eine Arbeit voller Kompromisse. Er muss dem Schauspieler abnehmen, was er auf der Leinwand sieht. Im Hörspiel ist er freier: Kann selber entscheiden, durch welche Gefühlshöllen er Justus Jonas schickt, welche Pausen er setzt. „Ich finde das immer so interessant, den denken zu hören.“ Besonders lieben sie die Betroffenheitsszenen: Ton ab auf dem Ledersofa, augenblicklich Beklommenheit und Bedrohung. „Das ist nicht gut, wir kommen hier nicht mehr raus!“
Bis Anfang der 90er hat er auch Theater gespielt. Wollte dann, die Kinder waren klein, überschaubarer und planbarer was tun, statt immer nur auf Rollenangebote zu warten, aber auch: mehr Verantwortung übernehmen. So begann das mit der Synchronregie. Erst, als sie 2002 die Drei-Fragezeichen-Tour starteten, erinnerte er sich, wie gern er auf der Bühne stand. „Und das Beste: Da dürfen wir aus der Rolle fallen, uns verhaspeln und darüber lachen.“ 2002 kamen gleich beim ersten Mal 1800 Leute, heute füllen sie Arenen. „Ich sage immer: Seitdem wir ablesen, spielen wir vor großem Publikum.“
Wenn bei den Live-Aufritten eine Säge eingespielt wird oder ein Auto, hat Rohrbeck das so entschieden. Er macht mit seinem 2015 gegründeten Unternehmen „Lauscherlounge“ das Sounddesign. Gestern haben sie das der aktuellen Tour geprobt, hier im Studio. Ein alter Backsteinbau, hohe Decken, große Fenster, erster Stock. Eingezogen sind sie vor vier Jahren. Es sind die ehemaligen Räume der Technopioniere Westbam & Marusha. „Das sah aus ...“, da hätte man wohl viel Koks aus dem Teppich kratzen können.
Heute ist alles frisch und licht, hängt Kunst an den Wänden – Rohrbeck hofft, dass er es dieses Jahr noch zur Biennale nach Venedig schafft. Daneben: Bücherregale. Rohrbeck sagt: Diffusoren. Jedes Studio braucht Schallbrecher, Bücher sind das Einfachste und Billigste. Sofern man welche übrig hat. „SOS Herzschmerz“, „Das große Buch der Haushaltstipps“: Jeder Mitarbeiter hat aussortiert. Die Krimis stehen noch bei ihm zu Hause. Jo Nesbo, „die knallharten Stoffe, so was“.
Bei den „Drei Fragezeichen“ gab es keinen Mord in 40 Jahren. Spannend war es trotzdem immer. Oder?
Kehlig krächzt er: "Du Sau!"
Bei 200 Folgen gebe es natürlich Unterschiede, sagt Rohrbeck. Da war mal eine Folge, in der Bob in den Weltraum fliegt – „ziemlich hasig“. Und, nun ja, ein paar Fußballgeschichten ... Jetzt keine falschen Schlüsse ziehen! Rohrbeck ist gleichermaßen Dauerkarteninhaber von Hertha BSC und dem FC St. Pauli. Er weiß, welche Jubel- und Wutschreie tödlich sind für die Stimmbänder. Kehlig krächzt er: „Du Sau!“ Wenn man aber aus dem Zwerchfell donnert – noch mal, kraftvoll: „Du Sau!“, dann ist das nicht nur schonender, „es trägt die Stimme weiter und kommt vielleicht auch mal beim Schiedsrichter an.“
Nach seiner Lieblingsfolge gefragt, nennt er immer „Das leere Grab“. Nummer 78. Da spotten die beiden anderen: Ja, weil du da eigentlich die ganze Folge alleine bist. Justus reist überstürzt nach Südamerika, wo angeblich seine Eltern wieder aufgetaucht sind, die der Legende nach zehn Jahre zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Da ist der sonst geradezu quälend rationale Denker im Trio mal so richtig von der Rolle.
In 200 Folgen passieren natürlich auch Fehler
Einmal hat man Rohrbeck angeboten, in der Sendung „Klein gegen Groß“ aufzutreten. Weil es da so Kinder gibt, „die alle Folgen kennen und jeden Satz rausfiltern können. Da habe ich gesagt, da gehe ich unter, wieso soll ich das noch öffentlich machen?“ Fast so gut wie die Kinder sei Pastewka. „Der spricht andauernd in Zitaten mit mir und ich erkenne es nicht mal.“
Die Fans sammeln Sprüche in Foren wie „rocky-beach.com“. Und anderes. In 200 Folgen passieren natürlich auch Fehler. „Da sprechen wir alle drei einen mexikanischen Namen völlig unterschiedlich aus.“ Oder sie suchen die silberne Spinne, „und am Ende sagt einer: Ich habe das Schwert gefunden“.
Weiterzumachen, wenn einer wegfällt: Unvorstellbar
Dass sie sich in den Geschichten auch mal anzicken, Mensch, Peter, jetzt pass doch mal auf – das war in den ersten Folgen nie so, das steht auch nicht in den Manuskripten. Das ist mit zunehmender Vertrautheit entstanden. Sie sind ja nicht nur mit den Figuren verwachsen, sondern irgendwie auch miteinander. Weiterzumachen, wenn einer wegfällt: Unvorstellbar, sagt Rohrbeck.
Wer hätte das gedacht, damals?
Wenn er eine Stimme übernimmt, weiß er nie, wie lange ihn die Rolle begleiten wird. Floppt eine Serie, wird sie nach der ersten Staffel abgesetzt.
Wenn die Taxifahrer nicht sagen: Justus Jonas!, sagen sie meistens: Ben Stiller. Der jammert und heult viel. Im Kinderfilm „Ich – Unverbesserlich“ spricht Rohrbeck den Bösewicht Gru. „Der stürzt ab und fällt aus Flugzeugen, und dann muss ich lange schreien.“ Dann schnürt sich irgendwann der Hals zu, merkt er, wie die Stimme anschwillt.
Darum haben sie die Regel: Schreie ans Ende. Und danach: Alles dafür tun, dass die Stimme wieder fit ist am nächsten Tag. Jetzt der Profi-Tipp. Was hilft? „Schweigen“, sagt Rohrbeck.