„Die Flügelkämpfe werden wieder aufbrechen“: Wie ein Politikwissenschaftler die Zukunft der AfD bewertet
Kai Arzheimer hält die Wahlkampagne der AfD für geschickt, sieht die radikal rechte Partei aber vor Problemen. Nach der Wahl würden Schuldige gesucht.
Kai Arzheimer ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz.
Herr Arzheimer, die AfD liegt in Umfragen seit Monaten bei um die zehn Prozent. Das ist schlechter als bei der Bundestagswahl 2017, aber besser als man angesichts der Probleme der Partei erwarten könnte. Wie erklären Sie das?
Ja, das ist bemerkenswert. 2017 operierte die Partei quasi unter Optimalbedingungen: Ihr Kernthema, die Migration, war ganz oben auf der Agenda, sie hatte zuvor bei mehreren Landtagswahlen stark abgeschnitten, hatte quasi ein Momentum. Am Ende kam sie auf 12,7 Prozent. Jetzt liegt sie bei elf Prozent, obwohl sie kaum beachtet wird und ihr Kernthema in den Hintergrund gerückt ist. Das hat die Partei ihrer Anhängerschaft zu verdanken, die nach wie vor extrem migrationsskeptisch ist und die AfD trotz des Verdachts der Verfassungsfeindlichkeit weiter unterstützt.
Wenn ihre Anhängerschaft aus überzeugten Stammwählern besteht, welche Rolle spielen denn überhaupt noch Protestwähler für die Partei?
Der Anteil der Protestwähler, die einfach mal auf den Tisch hauen wollen, ist schon zwischen 2013 und 2017 stark zurückgegangen. Währenddessen ist der Anteil derer, die ganz stark durch das Thema Migration motiviert waren, kontinuierlich gestiegen.
Die AfD plakatiert überall den Spruch „Deutschland, aber normal“ – im Grunde eine sehr weichgespülte Kampagne. Kann sie denn damit die radikalen Stammwähler mobilisieren, die sie ja für ihren Wahlerfolg braucht?
Ich halte das für geschickt. Die AfD hat es über die Jahre geschafft, die ehemaligen Anhänger der NPD aufzusaugen. Gleichzeitig hat sie versucht, diejenigen anzusprechen, denen die NPD zu offen extremistisch ist. Dazu dient auch die Selbstverharmlosung in den Werbespots. Insgesamt kann man sagen, dass die AfD Arbeitsteilung betreibt: Mit der Wahlwerbekampagne sollen die weniger Radikalen abgeholt werden, während die Scharfmacher im Netz und auf den Marktplätzen die harten Wähler mobilisieren.
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Das klingt ja fast, als ob es für die AfD ganz gut liefe…
Nein. Erstmal hat sie das Problem, dass sie als Oppositionspartei mit ihrem Personal und ihren Botschaften kaum vorkommt. Derzeit liegt das Augenmerk auf dem Dreikampf zwischen Laschet, Scholz und Baerbock. Und das strukturelle Problem ist, dass die AfD bekanntermaßen in sich gespalten ist. Die Radikalen haben zum Beispiel durchgesetzt, dass im Wahlprogramm der Dexit – also der Austritt Deutschlands aus der EU – gefordert wird. Dabei wollen das noch nicht mal viele der eigenen Anhänger. Diese Flügelkämpfe werden nach der Wahl wieder stärker aufbrechen. Selbst die beiden Parteivorsitzenden Chrupalla und Meuthen stehen gegeneinander.
Erwarten Sie, dass nach der Wahl auch Schuldige gesucht werden dafür, dass das Wahlergebnis nicht so hoch ist wie beim letzten Mal?
Ja, davon gehe ich aus. Die AfD hat sich an spektakuläre Erfolge gewöhnt. Da die jetzt schon länger ausbleiben, wird mit Sicherheit die Frage nach der Verantwortung gestellt werden. Die Partei verliert ja auch an Attraktivität für ihre Anhänger, wenn ihr dieses Gewinner-Momentum fehlt.
Die AfD ist auf der Suche nach Themen, um neue Wähler zu mobilisieren. Sie leugnet zum Beispiel, dass der Klimawandel menschengemacht ist und stellt sich als Kämpferin zum Beispiel für den Diesel dar. Kann das für sie aufgehen?
Nur bedingt. Wer für sich ausschließt, die AfD zu wählen, weil es sich um eine in Teilen rechtsextreme Partei handelt, der wird sich auch nicht von den Klimapositionen der AfD begeistern lassen. Aber ihre eigenen Anhänger lassen sich so natürlich schon begeistern.
Was kann die AfD ihren Wählern eigentlich als Erfolg verkaufen? Hat sie etwas bewirkt in den vergangenen Jahren, in denen sie in allen Landesparlamenten und im Bundestag saß?
Sie ist natürlich parlamentarisch völlig isoliert. Aber die AfD hat an Ressourcen gewonnen. Durch ihre Präsenz in den Parlamenten, konnte sie viele Leute einstellen und ist ein wichtiger Arbeitgeber geworden für die rechte Szene. Und auch politisch hat ihre Anwesenheit Konsequenzen: In vielen Landesparlamenten ist man gezwungen Regierungskoalitionen gegen die AfD zu bilden. Das Klima in den Parlamenten ist von Misstrauen geprägt, zum Teil auch von Angst, weil die AfD Leute mitgebracht hat, denen einige Mitarbeiter der anderen Fraktionen nicht im Dunkeln begegnen möchten.
Und wir haben in Deutschland eine Verschärfung der Zuwanderungspolitik gesehen: mehr Druck auf Asylbewerber:innen, Kürzen von Leistungen, der Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Das ist zwar nicht der Anwesenheit in den Parlamenten geschuldet, aber die Sorge vor einem weiteren Erstarken der Partei hat sicherlich eine Rolle gespielt.
Wird die AfD auf Dauer Teil der deutschen Parlamente sein?
Es gehört zu vielen westeuropäischen Parteiensystemen dazu, dass man so eine Partei hat. Da war Deutschland nur ein Nachzügler. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es Auswirkungen auf die Wahlerfolge der AfD hätte, wenn der innerparteiliche Streit noch weiter eskaliert. Womöglich würde sie dann nicht mehr in allen westdeutschen Landesparlamenten über die Fünf-Prozent-Hürde kommen.