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Im Wahljahr 2019 steckt die SPD in der Krise.
© AFP/Tobias Schwarz

Sozialdemokraten: Wie die SPD nach links rücken will

Recht auf Homeoffice, zwölf Euro Mindestlohn, mehr Zeit für die Familie: Vor wichtigen Wahlen will die SPD den Sozialstaat umkrempeln.

Seitenweise Versprechen will die SPD-Führung am Wochenende machen. „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“, heißt das 17-seitige Papier, das der Parteivorstand bei seiner Klausur beschließen will. Juso-Chef Kevin Kühnert, eigentlich Dauer-Kritiker der Parteiführung, ist von den Plänen angetan: „Quantensprünge“ nennt er die Ideen. „Wir lösen uns aus einer bleiernen Debatte der letzten Jahre.“

Kühnert meint damit den ewigen parteiinternen Streit um Hartz IV. In dem aktuellen Papier geht es aber um mehr als eine Hartz-Reform. Die Sozialdemokraten wollen den Bürgern Antworten liefern auf Fragen wie: Was passiert, wenn ein Computer künftig meinen Job übernimmt? Oder: Wie lassen sich Familie und Beruf besser vereinbaren? Einige der SPD-Ideen sind neu, andere gibt es schon länger. Wie das Ganze finanziert werden soll, ist unklar.

Zwölf Euro Mindestlohn

Gut drei Monate vor der Europawahl wollen die Genossen mit einem sozialdemokratischen Klassiker punkten. „Unser Ziel ist die perspektivische Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro“, heißt es im Sozialpapier. Der Mindestlohn könne aber nur eine „Untergrenze“ seien, das eigentliche Ziel seien „anständige Tariflöhne“.

Damit setzen die Sozialdemokraten ihren Kurs der vergangenen Jahre fort, sich nach der Agenda-Politik wieder mit den Gewerkschaften zu versöhnen. Mit einem „Tariftreuegesetz“ wollen sie sogar Unternehmen steuerlich besser stellen, die nach Tarif bezahlen.

Antwort auf die Digitalisierung

„Viele Menschen treibt die Sorge vor sozialem Abstieg bei Verlust des Arbeitsplatzes um“, heißt es in dem Papier. Ein Grund ist die Digitalisierung. Immer öfter übernehmen Computer Aufgaben, für die bislang Menschen gebraucht wurden. Der Angst vor Arbeitslosigkeit wollen die Sozialdemokraten entgegentreten. Wenn „der Arbeitsplatz wegzufallen droht“, soll es einen „Anspruch auf Umschulung“ geben. Die soll drei Jahre lang vom Staat finanziert werden. Auch will die SPD einen „Rechtsanspruch auf Weiterbildung“ einführen – um den Menschen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

Bisher scheiterten die Sozialdemokraten mit der Idee am Widerstand der Union. Die stimmte lediglich einem Anspruch auf Beratung für eine Weiterbildung zu. Den gibt es seit Anfang des Jahres, ein Recht auf Fortbildungen konnte die SPD in der großen Koalition nicht durchsetzen.

In den Blick nimmt die SPD auch die „Solo-Selbstständigen“. Gemeint sind etwa Kuriere, die per Smartphone-App Aufträge erhalten und dann mit dem Fahrrad Essen ausliefern. Die will die SPD „in den Schutz der gesetzlichen Alterssicherung einbeziehen“. Das hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schon im Januar angekündigt – damit „nicht am Ende andere mit ihren Steuern diese Menschen über die Grundsicherung unterstützen müssen“. Seit Jahren gibt es eine Diskussion, wie Altersarmut unter den mehr als vier Millionen Selbstständigen in Deutschland verhindert werden kann.

Neue Geschäftsmodelle wie die digitalen „Lieferplattformen“ begrüßt die SPD grundsätzlich. Doch gebe es immer mehr „Arbeitsverhältnisse, die an der Grenze zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung liegen“. Es brauche deshalb einen „neuen Arbeitnehmerbegriff“. Mit der Frage befassen sich Gewerkschaften und Sozialdemokraten seit Jahren. Als Sozialministerin stieß SPD-Chefin Andrea Nahles bereits 2016 einen „Dialogprozess Arbeit 4.0“ an. Wann es konkrete Ergebnisse gibt, ist unklar.

Flexiblere Arbeitszeiten

Besonderes Augenmerk will die SPD auf die Vereinbarung von Familie und Beruf legen. Die Genossen reagieren damit auf den Wertewandel in der Gesellschaft. „Immer mehr Frauen und Männer wollen sich Erwerbsarbeit und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen“, heißt es in dem SPD-Papier. Das „Modell der Familienarbeitszeit“ soll deshalb Eltern finanziell fördern, die sich gleichermaßen um die Kindererziehung kümmern. Neu ist das jedoch nicht. Damit trat die stellvertretenden SPD-Chefin Manuela Schwesig schon zu ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin im Wahlkampf 2017 auf.

Um mehr Flexibilität im Job zu schaffen, will die SPD auch ein „Recht auf mobiles Arbeiten“ einführen und „Homeoffice gesetzlich verankern“. Davon könnten rund 40 Prozent der Beschäftigten profitieren. Dass zu Hause arbeiten nicht nur Vorteile hat, erkennen die Genossen an. Sie wollen das „Recht auf Nichterreichbarkeit schützen“, damit der Chef seine Angestellten nicht bei jeder Tages- und Nachtzeit im heimischen Büro anrufen darf.

Mehr persönliche Freiheit soll außerdem ein „Zeitkonto“ bringen. Darauf sollen beispielsweise Überstunden angesammelt werden. Die angesparte Zeit soll dann für eine Auszeit verwendet werden können – etwa für die Kinderbetreuung, die Pflege von Angehörigen oder einfach zur Erholung.

Bürgergeld und Kindergrundsicherung

Vor allem den Druck auf Arbeitslose will die SPD verringern – und Kinder stärker fördern. Beides kündigen Spitzengenossen seit Monaten an. Eine „Kindergrundsicherung“ soll die Jugendarmut eindämmen. Ältere Menschen sollen bis zu drei Jahre Arbeitslosengeld I erhalten. Den belasteten Begriff „Hartz IV“ vermeidet die SPD. Stattdessen ist in dem aktuellen Papier von einem „Bürgergeld“ die Rede. Wer das bezieht, soll es leichter haben als in Hartz IV – und mehr Angebote zur Weiterbildung erhalten. Auch will die SPD eine Reform des „Wohngelds“, damit „niemand nur aufgrund hoher Wohnkosten“ auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Die in der SPD umstrittenen Sanktionen sollen zwar in Teilen bleiben. Aber: „Eine komplette Streichung von Leistungen soll es nicht mehr geben.“

Lässt sich das Ganze durchsetzen?

In der Groko wird die SPD ihre Pläne sicherlich nicht durchsetzen können. Schon in der Vergangenheit wurden die Genossen aus der Union vor einer Linkswende in der Sozialpolitik gewarnt. Wer Hand an Hartz IV anlegen wolle, gefährde die Zusammenarbeit in der großen Koalition, hieß es kürzlich aus der Union. Unklar ist auch, wie die Sozialdemokraten ihre Ideen finanzieren will. Der Vizechef der FDP-Fraktion, Michael Theurer, ätzt bereits über die „Wahlgeschenke“ der Genossen: „Das Geld in den Sozialkassen gehört nicht der SPD.“

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