Twitter und Facebook sperren Trump: Ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit?
Die Sperrung der Social-Media-Accounts von Donald Trump ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der digitalen Kommunikation. Ein Kommentar.
Es geschieht nicht oft, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, das „Wall Street Journal“ und die amerikanischen Fans von Donald Trump einer Meinung sind: Die Sperrung der Accounts des US-Präsidenten auf Twitter, Facebook und anderen Social-Media-Plattformen ist falsch. Fast alle Protagonisten dieser seltsamen Allianz betonen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, Aufrufe zur Gewalt nicht geduldet werden dürfen, aber auch, dass die Macht der Big-Tech-Konzerne begrenzt werden müsse.
Dass demokratisch nicht legitimierte Privatunternehmen nach eigenen Maßstäben entscheiden dürfen, ob und in welcher Form der frei gewählte Präsident der Vereinigten Staaten sich mit seinen Botschaften direkt an seine Follower wenden darf, stößt auf Widerspruch selbst bei passionierten Trump-Gegnern. Es ist ein Einschnitt in die Geschichte der digitalen Kommunikation mit bislang erst zu ahnenden Konsequenzen.
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Worte haben Konsequenzen. Der Sturm militanter Anhänger des abgewählten Präsidenten auf das Kapitol hat bei vielen Amerikanern Angst um ihre Demokratie ausgelöst. Twitter nannte als Grund für die Sperrung von Trumps Account das „Risiko einer weiteren Anstiftung zur Gewalt“. Spätestens seit dessen Wahlsieg war die manipulative Macht der sozialen Netzwerke offenkundig geworden.
Aus Online-Hetze wurde Offline-Gewalt
Schon 2016 war die „Pizzagate“-Lüge erfunden worden – ein Ring von Pädophilen beherrscht angeblich die US-Politik. Ein Jahr später kulminierten im Netz geschürter Antisemitismus und Rassismus in den Ausschreitungen von Charlottesville. Der Terroranschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh (Pennsylvania) im Jahr 2018 wurde von einem Trump-Fan verübt, der sich im Netz radikalisiert hatte.
Trump hat durch seine Demagogie die Stimmung miterzeugt, die zu solchen Taten führten. Aus Online-Hetze wurde Offline-Gewalt. Seine Wahlbetrugs-Rhetorik ließ die „Stop-the-steal“-Bewegung entstehen. Die dort geschürten Ressentiments gipfelten schließlich im Sturm aufs Kapitol. Die Sperrung seiner bevorzugt genutzten Kommunikationsformen scheint daher folgerichtig.
Doch abgesehen von schwerwiegenden demokratietheoretischen Einwänden gegen diese Maßnahmen sowie möglichen globalen Auswirkungen – Nawalny sagt: „Dieser Präzedenzfall wird von Feinden der Redefreiheit weltweit ausgenutzt werden, auch in Russland“ -, müssen zwei weitere Folgen ins Blickfeld geraten: erstens der Solidarisierungseffekt auf Amerikas Rechte, zweitens die Tribalisierung der sozialen Netzwerke.
Die reaktionäre Alternative zu Twitter ist Parler
Schon jetzt ist absehbar, dass die Sperrung von Trumps Accounts ein konservatives Narrativ wiederbelebt: Die Linke denke tendenziell totalitär – Stichworte „cancel-culture“ und „de-platforming“ -, schränke die Meinungsfreiheit ein, nutze im Verbund mit Silicon Valley ihre Macht, um Konservative mundtot zu machen. Die nach dem Sturm aufs Kapitol zu beobachtende Bereitschaft von Republikanern, sich von Trump abzusetzen, könnte rasch wieder gestoppt werden.
Die zweite Konsequenz dürfte in einer forcierten Filterblasendynamik bestehen. Die reaktionäre Alternative zu Twitter ist Parler. Deren App wurde von Google, Apple und Amazon zwar ebenfalls verbannt, doch der Trend zu einer Aufsplitterung der sozialen Netzwerke entlang politischer Präferenzen wird durch die Sperrung von Trumps Twitter-Account befördert.
Demnächst werden die einen auf Twitter kommunizieren und die anderen auf Parler – so wie die einen bislang FoxNews gesehen haben und die anderen CNN. Man bleibt unter sich, ungestört von Einwänden und anderen Weltsichten, igelt sich ein und verliert den Kontakt zur anderen Hälfte des Landes. Joe Biden will die Wunden der gesellschaftlichen Spaltung heilen. Das wird von Tag zu Tag schwieriger.