Die Weltgemeinschaft nach Corona: Wie die Krise internationale Beziehungen verändern wird
Rivalitäten werden nicht hinfällig, Kriege nicht beendet. Was dennoch neu sein wird. Ein Gastbeitrag.
Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Volker Perthes, dem geschäftsführenden Vorsitzenden der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Jörg Rocholl, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.
Jede weltweite Krise hat Auswirkungen auf das internationale System, dessen Strukturen, Normen und Institutionen. Der Erste Weltkrieg brachte den wenig erfolgreichen Völkerbund hervor, der Zweite Weltkrieg führte zur Geburt der Vereinten Nationen (UN).
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 veränderten das Völkerrecht und den Umgang der Staaten mit islamistischen Gruppierungen, die auf den asymmetrischen Krieg setz(t)en.
Die Weltfinanzkrise schließlich verwandelte die G20 von einem Finanzministerclub in ein Gremium der Staats- und Regierungschefs.
Und nun also Corona! Oft ist zu lesen und zu hören, nach der Krise werde nichts mehr so sein wie vorher. Doch derart weitreichende Thesen haben sich in der Vergangenheit meistens als falsch herausgestellt. Dennoch stellt sich die Frage: Welche möglichen Veränderungen der internationalen Politik könnte die Corona-Krise auslösen?
Wahrscheinlich ist, dass die Pandemie wie ein Verstärker für amerikanische Bemühungen um eine Entkopplung von China wirken und damit Tendenzen verstärken wird, die auf eine sektorale De-Globalisierung hinauslaufen. In einzelnen Feldern wie der Gesundheitspolitik könnten aber auch Formen neuer Globalität entstehen.
Unilaterales Handeln oder Kooperation?
Wie die Welt nach Corona aussieht, bleibt eine Frage politischer Gestaltung. Ein einheitliches Bild der geopolitischen Folgen und ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung der internationalen Ordnung, auf Konflikt und Kooperation, dürfte es jedenfalls kaum geben.
Wird die Pandemie, wie manche Beobachter vermuten, multilaterale Zusammenarbeit einschränken und die regelbasierte internationale Ordnung weiter schwächen? Tatsächlich haben viele Staaten zu Beginn der Krise erst einmal unilateral agiert.
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Inzwischen unterstreicht die Corona-Herausforderung aber auch die Notwendigkeit effektiver und weltumspannender Kooperation. So wird die Relevanz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) selbst von den meisten nationalistischen Akteuren nicht mehr bestritten, genauso wenig die notwendige Kooperation bei Forschung und der Austausch von Informationen.
Gesundheitsvorsorge im Fokus
Vermutlich werden die Vereinten Nationen und regionale Organisationen Gesundheitssystemen und öffentlicher Gesundheitsvorsorge künftig mehr Aufmerksamkeit widmen, was zur Stärkung der WHO und verbindlichen Regeln etwa zur Bevorratung von medizinischem Gerät führen sollte. Die Krise zeigt schließlich in aller Dramatik: Schwache Gesundheitssysteme in einzelnen Ländern gefährden auch die Bevölkerung in anderen Staaten.
Deshalb könnte es einfacher werden, das Thema „Gesundheit“ auf die Agenda des Uno-Sicherheitsrats zu bringen – ohne es mit einem klassischen Sicherheitsthema verknüpfen zu müssen. Die Bedeutung von Gesundheit für internationalen Frieden und Sicherheit steht nach Corona nicht mehr in Zweifel.
Folgen für Großmachtkonflikte?
Welche Folgen aber könnte die Corona-Krise für Großmachtkonflikte haben, insbesondere mit Blick auf die Rivalität zwischen den USA und China? Mildern wird sie diese Rivalität sicher nicht. Insbesondere die ideologische Auseinandersetzung um das bessere Regierungssystem und das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft dürfte sich eher verschärfen.
Nachdem China anfänglich wegen der Verschleierung der Epidemie viel Kritik auf sich gezogen hatte, präsentiert es sein autoritäres System mittlerweile als Modell – nicht nur für den Umgang mit Krisen. Zugleich gewinnt die „sanfte Macht“ durch gut inszenierte, aber reale Hilfsleistungen für Italien und andere Staaten international an Renommee.
Washington hingegen droht, amerikanische Beitragszahlungen an die WHO zu stoppen. Die USA versuchen erst gar nicht, als „wohlwollende Weltmacht“ in Erscheinung zu treten. Das zeigt nicht zuletzt auch die Weigerung, die harten Sanktionen gegen Iran, das von Corona stark getroffen ist, zumindest vorübergehend zu lockern.
Kein Frieden, aber vertrauensbildende Maßnahmen
Wird das Virus Kriege und Bürgerkriege eindämmen? Wohl kaum. Der Appell von Uno-Generalsekretär António Guterres, die Waffen ruhen zu lassen, um Covid-19 bekämpfen zu können, ist bislang nur auf den Philippinen erhört worden – aber weder in Libyen, Jemen, Syrien noch vom „Islamischen Staat“ oder Boko Haram. Und Nord-Korea testet weiter ungerührt Raketen.
Die Interessenlage in regionalen Machtkonflikten dürfte die Pandemie ebenfalls nur wenig verändern. Verantwortlich handelnde Regierungen könnten die Krise allerdings für vertrauensbildende Maßnahmen nutzen. So haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait immerhin Hilfslieferungen nach Iran geschickt.
Das sei allerdings nicht neu, sagte ein emiratischer Minister; Iran würde umgekehrt nicht anders handeln. Zur politischen Versöhnung hätten solche Hilfen bislang allerdings nicht geführt.
Weniger Zeit für Diplomatie?
Insgesamt ist zu befürchten, dass die internationale Gemeinschaft künftig weniger Zeit und Aufmerksamkeit für Krisen- und Konfliktlösungsdiplomatie aufbringen wird – und sich ganz darauf konzentriert, die Folgen von Krise und Rezession zu bewältigen.
Gleichzeitig dürften viele ärmere und schwächere Staaten gravierende wirtschaftliche Probleme bekommen, ohne die Krise des Gesundheitssystems behoben zu haben. Möglicherweise werden die Industriestaaten sich bereit erklären, Schulden ärmerer Staaten zu streichen.
Und Europa? Von Washington und Peking kann der Kontinent auch nach der Pandemie kein größeres Engagement erwarten, an Lösungen für globale Probleme mitzuarbeiten. Hier wird die Europäische Union mit anderen „Multilateralisten“ wie Kanada, Korea, Indonesien oder Mexiko vorangehen müssen. Innerhalb Europas könnte die Krise den Zusammenhalt jedoch stärken.
Die Sprache der Macht neu lernen
Garantiert ist das allerdings nicht. Immerhin hat die EU sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten rasch auf Hilfsmaßnahmen für Mitgliedstaaten geeinigt. Um international stärker aufzutreten müsse die Union, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, die Sprache der Macht neu erlernen. Das bleibt richtig. Allerdings hat gerade die Pandemie gezeigt, wie wichtig „weiche“ Faktoren sind, nicht zuletzt die Fähigkeit, kooperativ zu handeln. Zur Sprache der Macht muss also auch die Praxis der Solidarität gehören.