Spitzentechnologie: Wagniskapital mit langem Atem
Um geopolitisch nicht ins Abseits zu geraten, brauchen Deutschland und Europa eine bessere finanzielle Förderung von Spitzentechnologie. Ein Gastbeitrag.
Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Die Reihe der Beiträge eröffnet Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München. Weitere Autoren und Autorinnen sind Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Dr. Jörg Rocholl, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.
Hinter der fieberhaften Fahndung nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus steht ein grundsätzlicheres Problem: Wie lassen sich wissenschaftlich-technologische Durchbrüche beschleunigen? Und: Wie kann man Startups unterstützten, ihr kreatives Potenzial voll zu entfalten?
Auf diese Fragen müssen Antworten gefunden werden, damit Volkswirtschaften global wettbewerbsfähig bleiben. Startups befeuern ja nicht nur die Dynamik bestehender Märkte, gerade in Zeiten digitaler Disruption schaffen sie auch ganz neue Märkte.
Ein Mangel an Wagniskapital bremst aber nach wie vor die Wachstumspotenziale junger Hightech-Unternehmen, wie die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) jüngst in der Studie „Innovationskraft in Deutschland verbessern“ gezeigt hat.
Achillesferse des Innovationssystems
Die Wagniskapitallücke ist die Achillesferse des deutschen und europäischen Innovationssystems. Bei Finanzierungen ab zehn Millionen Euro lagen die Investitionen der Asiaten 2018 um das 3,7-fache über denen der Europäer.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die strategische Bedeutung der Wagniskapitallücke und ihre geopolitischen Folgen inzwischen erkannt – und sammelte 2019 von institutionellen Investoren allein für die Wachstumsfinanzierung von Hightech-Startups zwei Milliarden Euro ein.
Auch der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier bereitet einen Fonds vor, der Versicherer und Pensionskassen motivieren soll, in Hightech-Wagniskapital zu investieren.
Das sind staatliche Impulse, die durchaus in die richtige Richtung weisen. Nicht zuletzt geht es darum, inländische Wagniskapitalfonds zu stärken – damit deutsche Hightech-Startups nicht ins Silicon Valley pilgern müssen.
Alarmierendes Ergebnis für Europa
Die von Reiner Braun, Stefan Weik und mir 2019 publizierte Studie „Follow the Money“ belegt auf der Grundlage von 20000 untersuchten europäischen Unternehmen: Von ausländischem Wagniskapital mitfinanzierte Unternehmen werden mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit an ausländische Investoren verkauft oder gehen insbesondere in den USA an die Börse – ein aus Sicht Deutschlands und Europas alarmierendes Ergebnis.
Schließlich geht es um nichts weniger als den „Ausverkauf“ wissenschaftlich-technologischer Durchbrüche, zumal außereuropäisches Wagniskapital gerade an den innovativsten und erfolgversprechendsten Startups beteiligt ist.
Aus diesem Befund sollte allerdings nicht die Forderung abgeleitet werden, den Zugang deutscher Wachstumsunternehmen zu außereuropäischem Kapital oder ausländischen Märkten zu beschränken. Protektionismus ist keine Lösung.
Staatliche Anreize für eine positive Kettenreaktion
Viele Startups drängen ja gerade auf globale Märkte und brauchen diese auch, um ihr Geschäft erfolgreich zu entwickeln. Der springende Punkt ist vielmehr: Unternehmen mit hohem Kapitalbedarf sollten nicht deshalb auf außereuropäische Wagniskapitalfonds ausweichen müssen, weil sie auf dem Kontinent einfach keine Investoren finden.
Vor allem staatliche Anreize zur Stärkung der inländischen Wagniskapitalszene erscheinen geeignet, eine positive Kettenreaktion in Gang zu setzen: Mehr Erfolgsgeschichten in Form von Unternehmensverkäufen oder Börsengängen „Made in Germany“ dürften weitere Wagniskapitalfonds fördern und zusätzliches Kapital anlocken. Damit wiederum würden auch größere Finanzierungen für heimische Startups möglich.
Mehr inländisches Wagniskapital ist jedoch nur eine Seite der Medaille, wenn es um die Finanzierung von Zukunftsindustrien geht. Hinzukommen muss eine entscheidende strukturelle Komponente, die dem klassischen Wagniskapital-Modell fehlt: Geduld.
Das herkömmliche Modell und seine finanziellen Anreizsysteme orientieren sich an einem Verkauf beziehungsweise Börsengang des Unternehmens binnen fünf bis zehn Jahren. Dann drängen Wagniskapitalinvestoren meist schon wegen ihrer eigenen, zeitlich befristeten Finanzierung auf einen „Exit“. Gerade forschungsintensive und wirklich disruptive Projekte benötigen aber oft mehr Zeit, um sich zu entwickeln. Man denke nur an „Deeptech“-Pioniere in den Bereichen Robotik, Quantentechnologie oder 3-D-Druck.
Erfolge der Ingenieurskunst
Unternehmen wie Franka Emika, das mit Leichtbaurobotern die Fertigungsindustrie revolutionieren will, oder Kiutra, das ein einzigartiges Kühlsystem für Quantencomputer entwickelt hat, stehen zwar für eine ganz neue Deeptech-Gründergeneration in Deutschland.
Ihre Erfolge gründen aber auf Ingenieurskunst und langjähriger wissenschaftlicher Forschung, die den Zeitrahmen klassischer Wagniskapital-Modelle sprengen. Deshalb schlägt die acatech-Studie einen neuen Marktplatz für Direktinvestitionen vor, auf dem sich unterschiedliche Kapitalgeber an Wachstumsunternehmen beteiligen könnten. Die Funktion des Marktplatzes sollte eine Co-Investment-Plattform übernehmen.
Ein solches Modell würde nicht nur größere Finanzierungen ermöglichen, als sie bislang in Deutschland üblich sind. Es könnte junge Wachstumsunternehmen auch mit „geduldigem Kapital“ versorgen.
Der Grund ist unschwer einzusehen: Wenn einzelne Investoren die Möglichkeit haben, ihre Beteiligungen auf einem Zweitmarkt zu handeln, verringert sich der Druck, das Unternehmen als Ganzes schnell zu verkaufen oder an die Börse zu bringen. Wir brauchen also nicht nur mehr Wagniskapital für die Wachstumsphase junger Startups, sondern auch mehr „geduldiges Kapital“.
Deutschland darf sein Licht nicht unter den Scheffel stellen
Es kommt darauf an, in Deutschland und Europa bessere Strukturen zu schaffen, die es jungen Unternehmen ermöglichen, auf einer breiteren finanziellen Basis Spitzentechnologie zu entwickeln. Deutschland hat übrigens gerade bei den Deeptech-Unternehmen keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen.
Nach einem aktuellen Ranking, das 16 Technologien umfasst, liegt die Bundesrepublik mit 455 Deeptech-Unternehmen weltweit auf Platz drei hinter den USA (4 200) und China (720).
Eigentlich ist die im internationalen Vergleich starke industrielle Basis Deutschlands ein guter Nährboden für die neue Deeptech-Szene. In der globalen Wirtschaft müssen Deutschland und Europa aber eine bessere Wagniskapital-Förderung von Spitzentechnologie aufbauen, um Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Lebensqualität der Menschen zu sichern.
Wie vordringlich diese Aufgabe ist, zeigte zuletzt die Debatte um den angeblichen Versuch von US-Präsident Donald Trump, das bei der Impfstoffsuche gegen das Coronavirus führende Tübinger Pharmaunternehmen Curevac mit viel Geld in die USA zu locken.
Ann.Kristin Achleitner