Lebenslauf der Kanzlerkandidatin: Ist Annalena Baerbock „Juristin“? Eine Spurensuche
Baerbock präsentiert sich als Fachfrau für rechtliche Details und tituliert sich entsprechend. Wer es genauer wissen will, wird auf ein „Hintergrundgespräch“ verwiesen.
In der ARD hat sich Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Donnerstagabend unangenehmen Fragen zur öffentlichen Darstellung ihrer Biografie stellen müssen. Die „Bild“-Zeitung sprach von „Knallhart-Fragen“ zum „Lebenslauf-Bluff“.
Tatsächlich hatte die Politikerin in den vergangenen Wochen verschiedene Angaben präzisieren und korrigieren müssen, unter anderem zu ihrem Bildungsweg. Baerbock bedauerte: „Ich wollte alles andere, als mich größer machen, als ich bin“, sagte sie zu den veröffentlichten Fassungen ihrer Vita.
Eine Frage stellten Moderatorin und Moderator jedoch in diesem Zusammenhang nicht: „Sind Sie eine Juristin“? Als solche lässt sich Baerbock unwidersprochen bezeichnen. In einem „Zeit“-Interview, das Mitte Mai als Podcast veröffentlicht wurde, präsentiert sie sich als Kennerin der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Klimaschutz von Ende April.
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Die Politikerin, der der Ruf vorausgeht, sie arbeite sich in Details ein, sagte dort über sich selbst, sie sei „leidenschaftliche Klimapolitikerin und auch Juristin an der Stelle“. Dann gab sie zur korrekten Interpretation des Richterspruchs einen für Juristen nicht untypischen Hinweis: „Man muss halt das Bundesverfassungsgerichtsurteil auch richtig lesen.“ Sie wisse nicht, ob „manche es nicht gelesen haben oder es bewusst missverstehen wollen“.
Juristin zu sein, gilt als Vorteil in der Politik
Die Botschaft: Ich sammele mein Wissen an der Quelle. Auch wenn es Mühe kostet und wenn die Quelle, wie in diesem Fall, ausgedruckt rund 120 Dina-A4-Seiten und 42.000 zu lesende Wörter umfasst.
Juristin zu sein, gilt als Vorteil in der Politik. Traditionell stellen Juristen ein Viertel der Kabinettsmitglieder in der Bundesregierung, der Anteil stieg auch schon bis zur Hälfte.
Im Bundestag sind Absolventinnen mit dem Ersten oder dem zur Befähigung für ein Richteramt nötigen Zweiten Staatsexamen mit rund 20 Prozent vertreten. Sie alle nennen sich „Jurist“ oder „Juristin“, bei Zweitexaminierten heißt es offiziell „Volljurist“.
Kein Zweifel über die Zuschreibung dürfte auch bei Absolventen anderer rechtswissenschaftlicher Studiengänge bestehen, etwa als „Wirtschaftsjurist“, der an Unis und Fachhochschulen mit Abschluss „Bachelor of Laws“ studiert werden kann. Sowohl SPD-Mann Olaf Scholz wie CDU-Konkurrent Armin Laschet sind „Juristen“ mit Staatsexamen.
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Annalena Baerbock hat dagegen offenbar kein rechtswissenschaftliches Studium zu einem Ende geführt, jedenfalls nicht in Deutschland. Als „Studium an der Universität Hamburg 2000-2004“ gibt sie „Politische Wissenschaft (Vordiplom)“ an sowie „Nebenfach: Öffentliches Recht“. Medienberichten zufolge soll in diesem Zusammenhang in früheren Fassungen sogar von einem „Jurastudium“ die Rede gewesen sein.
Das Studium „Öffentliches Recht“ blieb unbeendet
Auf Nachfrage bei der Grünen-Pressestelle, ob sie in diesem Nebenfach eine Abschlussprüfung abgelegt habe, heißt es, sie habe „Leistungsnachweise“ erbracht und sei dann „bekanntermaßen vor Abschluss des Studiums nach London gewechselt.“ Die Uni Hamburg bestätigt, dass ein Abschluss nur mit Prüfung im Hauptfach möglich gewesen wäre. Im Ergebnis blieb das Studium „Öffentliches Recht“ damit unbeendet.
In London absolvierte Baerbock dann ein einjähriges Masterstudium an der London School of Economics (LSE) in „Public International Law mit dem Abschluss Master of Laws (LL.M.)“. Das war möglich, weil ihr Hamburger Politik-Vordiplom mit den Leistungsnachweisen im Nebenfach als Zulassungsvoraussetzung akzeptiert wurde. Studium und Prüfung an der LSE gelten als anspruchsvoll, dafür kurz und durchaus teuer. Damals wie heute liegen die Gebühren oberhalb von 10.000 Euro.
Keine geschützte Berufsbezeichnung
Die Gefahr, die LSE ohne „LL.M.“-Titel zu verlassen, wird von ehemaligen Teilnehmern als gering eingeschätzt. Baerbock absolvierte die Prüfung mit „Distinction“ und gehörte damit zum besseren Teil. Die allermeisten gehen mit „Merit“, vereinzelt gibt es nur „Pass“.
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Baerbock qualifiziert die erfolgreiche LL.-M.-Prüfung gemäß ihrer Fächerwahl wohl zu einer – spezialisierten – „Völkerrechtlerin“, wie sie sich ebenfalls öffentlich bezeichnet, etwa auf der Webseite des Bundestags. Aber auch zu einer juristischen Generalistin, also zur „Juristin“?
Studierte Juristinnen und Juristen aus Deutschland dürften das als ungewöhnlich empfinden. Es handelt sind jedoch nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung. Die Parteipressestelle antwortet zweigleisig: Einerseits nennt sie den Masterabschluss dafür als Berechtigung. Zugleich verschickt sie eine Art Faktenprüfung des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ von Ende Mai. Dort heißt es auf die Frage „Ist Annalena Baerbock eine Juristin?“ eindeutig: „Nein“.
Wer als Pressevertreter mehr und insbesondere bisher nicht veröffentlichte Details zur Bildungsbiografie der Kandidatin erfahren möchte, bekommt von den Grünen übrigens ein „Hintergrundgespräch“ angeboten.
Dafür müssen sich Journalisten zur Vertraulichkeit verpflichten. Mit solchen Praktiken betreibt auch das Bundeskanzleramt einen Teil seiner Medienarbeit. Berichtet werden darf dann nicht. Daher wurde das Angebot abgelehnt.