Annalena Baerbock auf Sommertour: Wie die Grünen das Land widerstandsfähiger machen wollen
Die Politik müsse mehr vorsorgen, sagt Annalena Baerbock. Egal ob es um Masken gegen das Coronavirus, Waldbrände oder den Wasserpegel von Seen in Brandenburg gehe.
Annalena Baerbock kann diesen Satz nicht so stehen lassen. Die Grünen-Chefin steht am Ufer des Pinnower Sees in der Lausitz. Seit Jahren sinkt hier der Wasserpegel massiv, Stege ragen meterweit aus dem Wasser. Die Anwohner machen den Braunkohle-Tagebau im benachbarten Jänschwalde dafür verantwortlich.
Ein Rentner zeigt Baerbock sein Seegrundstück und Fotos, auf denen man ihn als kleinen Jungen beim Angeln sieht. Sein Steg steht mittlerweile komplett auf dem Trockenen. Schon seit Ende der 90er Jahre sei zu beobachten gewesen, wie die Wasserstände immer weiter zurückgingen, sagt er. Viel zu lange sei nichts passiert: „Ein absolutes Versagen der Politik.“
Vor gut einem Jahr wurde der Tagebau-Betreiber Leag verpflichtet, den Wasserverlust auszugleichen, seitdem werden täglich 1000 Kubikmeter Wasser in den See geleitet. Viel gebracht hat das bisher nicht.
Gerade hat die Grünen-Landtagsabgeordnete aus der Lausitz versprochen, sie werde ein Auge darauf haben, dass der See nicht weiter austrocknet. Da hakt Baerbock ein: „Wir werden nicht nur ein Auge darauf haben“, sagt sie. „Wir bohren direkt beim Umweltministerium in Potsdam nach.“
Es ist Tag eins der Sommertour der Grünen-Chefin. In Brandenburg bekommt sie zu spüren, mit welchen Erwartungen ihre Partei, die seit Ende 2019 in einer Kenia-Koalition mit SPD und CDU regiert, konfrontiert wird.
Ein Vorgeschmack auf die Bundestagswahl
Auch wenn die Grünen immer gegen den Kohlebergbau gekämpft haben, werden sie jetzt mit in die Verantwortung genommen, wenn es um den Umgang mit den Schäden geht. Es ist auch ein Vorgeschmack auf das, was auf die Grünen nach der Bundestagswahl 2021 zukommen kann.
Die Corona-Krise hatte den Grünen im Frühjahr einen Dämpfer in den Umfragen verpasst. Aktuell hat die Partei sich bei Werten zwischen 17 und 21 Prozent eingependelt. Wie volatil politische Stimmungen sind, weiß man in der Grünen-Zentrale allerdings auch. Doch die Hoffnung bleibt, bei der Wahl im nächsten Herbst zweitstärkste Kraft zu werden und in die Regierung zu wechseln.
"Zu achten und zu schützen", lautet das Motto der Reise
Ihre diesjährige Sommerreise haben Baerbock und ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck unter das Motto gestellt: „…zu achten und zu schützen“. Ein Verweis auf das Grundgesetz, wo es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Auf dem Tourplan stehen Akteure und Firmen, die für die kritischen Infrastrukturen im Land zuständig sind: Kliniken, Pharmahersteller, Lebensmittelhändler, Wasserwerke, Stromnetzbetreiber.
Auch der Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der Partei, den Baerbock und Habeck zu Beginn der Sommerpause vorstellten, ist geprägt von der Frage, wie das Land krisenfester werden kann.
Eine der wichtigsten Lehren sei, dass man stärker auf Vorsorge setzen müsse, sagt Baerbock am Seeufer. Das habe sich zu Beginn der Krise bei den fehlenden Masken gezeigt. Aber auch das Beispiel des Pinnower Sees zeige, dass man die Folgen des Tagebaus für Bewohner und Natur frühzeitig hätte bedenken müssen, bevor Schäden womöglich nicht mehr zu reparieren seien.
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Am Vormittag besichtigt Baerbock in Neuenhagen das Umspannwerk des Netzbetreibers 50 Hertz. In kleiner Runde erläutert der Vorstandschef, wie ein digital gesteuertes Stromnetz vor Hackerangriffen geschützt werden kann, damit die Stromversorgung nicht zusammenbricht.
Baerbock fordert nationale Waldbrandstrategie
Wenig später lässt Baerbock sich einen Waldbrand-Schutzstreifen in der Lieberoser Heide zeigen. Die 50 Meter breite sandige Schneise durch den Wald soll verhindern, dass ein Feuer von einem Teil des Waldes auf den anderen übergreifen kann. Allein in diesem Jahr hat es schon 220 Mal in Brandenburgs Wäldern gebrannt. In den nächsten Tagen könnte die Brandgefahr wegen Hitze und Trockenheit wieder steigen.
Bei Förstern, den Vertretern der Stiftung Naturlandschaften und dem Waldbrandschutzbeauftragten des Landes kommt Baerbocks Forderung nach einer „nationalen Waldbrandstrategie“ gut an. Die Grünen-Politikerin verspricht außerdem, sich bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dafür einzusetzen, dass die Region zum Standort für Löschflugzeuge des EU-Katastrophenschutzes wird.
Baerbock lächelt kurz, als einer ihrer Gesprächspartner andeutet, sie könne schon bald mehr Verantwortung im Bund übernehmen. Ab dem nächsten Jahr sehe die Welt vielleicht ganz anders aus, sagt er.
Die K-Frage spielt keine Rolle
Die Frage, ob die Grünen erstmals einen Kanzlerkandidaten oder eine -kandidatin aufstellen, spielt an diesem Sommertag keine Rolle. Baerbock und Habeck wollen sich in dieser Frage ohnehin nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Danach befragt, bekräftigen sie wolkig ihren „gestalterischen Führungsanspruch“.
Einen leicht spöttischen Kommentar kann Baerbock sich dann aber doch nicht verkneifen. Für ein Foto, das ihren Co-Chef Habeck auf einer Wiese vor einer Herde Pferde zeigte und das er auf Instagram postete, erntete er nicht nur zustimmende Kommentare, sondern auch Häme.
Dass politische Inszenierung zum Geschäft gehört, weiß Baerbock. Dass man dabei auf einem schmalen Grat wandelt, auch. Als einer der Fotografen sie bittet, sich mit Förster und Jagdhund auf den Brandschutz-Streifen zu stellen, macht sie zwar mit, kommentiert aber trocken: „Politiker und Tier kommt gerade nicht so gut.“