"Islamischer Staat": Wie die Dschihadisten Wasser als Waffe nutzen
Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ setzt alles daran, im Irak und in Syrien Staudämme zu kontrollieren - um Schrecken zu verbreiten und ihre Herrschaft zu legitimieren.
Es ist oft die gleiche Vorgehensweise. Eine Art Muster, das der „Islamische Staat“ (IS) bevorzugt nutzt, wenn es darum geht, militärisch besonders gut gesicherte Ziele anzugreifen. Zum Beispiel Staudämme. Zuerst kommen Selbstmord-Kommandos zum Einsatz. Mit jeder Menge Sprengstoff beladene schwere Fahrzeuge, oft Trucks oder Bulldozer, werden gezielt in die Anlagen gesteuert. Die ersten Barrikaden kommen dabei wortwörtlich unter die Räder.
Erst wenn die eigentlichen Kontrollposten erreicht sind, wird der Sprengstoff zur Explosion gebracht. Beim Gegner sollen möglichst viele Menschen ums Leben kommen. Haben dann die Dschihadisten das Gelände teilweise unter Kontrolle, rücken die Kämpfer am Boden vor. Ihre Aufgabe ist es, den letzten Widerstand zu brechen. Und immer wieder ist das dem IS in den vergangenen Monaten gelungen.
Die Terrormiliz hat inzwischen mehrere wichtige Talsperren in Syrien und im Irak eingenommen. Diese haben ebenso wie Ölfelder als Einnahmequelle eine große, wenn auch oft unterschätzte militärische und politische Bedeutung. Denn wer über die Staudämme herrscht, hat das Sagen über die in der Region knappen Wasserreserven. Das sichert Macht und Einfluss. Denn Wasser kann und wird seit Jahrhunderten auf unterschiedliche Art und Weise als Waffe eingesetzt. „Genau das tut der ,Islamische Staat’. Und deshalb lässt er sich auch auf verlustreiche Gefechte ein“, sagt Tobias von Lossow von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Mit großem Aufwand
Dass der IS einen derart großen Aufwand betreibt, hat einen einfach Grund: Es lohnt sich. Schon in der Frühphase ihres Vormarschs haben die Islamisten gezielt versucht, die Einrichtungen zur Wasser- und Stromversorgung zu erobern So kontrollieren die „Gotteskrieger“ einige Staudämme an den wichtigen Flüssen Euphrat und Tigris inzwischen schon seit Monaten, manchmal seit Jahren. Denn sie haben erkannt, dass Wassersperren eine immense strategische Relevanz besitzen. Vor allem als Kampfmittel.
Nach Erkenntnissen von Tobias von Lossow nutzt die Terrormiliz drei Varianten, um Wasser als Kriegswaffe einzusetzen. Da gibt es zum einen die Möglichkeit, einen Mangel herbeizuführen oder ohnehin vorhandene Engpässe zu verschärfen. Dazu werden Leitungen gekappt oder in andere Richtungen umgelenkt. Auch das Aufstauen von Wasser gehört zum gängigen Instrumentarium, um einzelne Gemeinden und ganze Provinzen von der Versorgung abzuschneiden. „Größere Regionen können regelrecht ausgetrocknet werden“, berichtet Lossow.
Zum anderen ist es möglich, ganze Areale zu fluten, indem man die Schleusen öffnet und dann große Wassermassen ungebremst auf einen Schlag ablässt. Im April 2014 war das der Fall. Mit zuvor eigens am irakischen Falludscha-Damm aufgestautem Wasser wurden selbst weit entfernte Flächen überschwemmt. Mit dramatischen Folgen: Tausende zerstörte Häuser, eine vernichtete Ernte und bis zu 60.000 Vertriebene, die ihre Lebensgrundlage verloren hatten
Vergiftetes Trinkwasser
Doch der „Islamische Staat“ hat noch eine andere perfide Methode, um großen Schaden anzurichten – er verunreinigt gezielt Wasservorräte, etwa durch Rohöl. Berichte darüber gibt es laut Lossow sowohl aus dem Irak als auch aus Syrien. Und in einer seiner Videobotschaften soll der IS seine Anhänger aufgefordert haben, auch an anderen Orten das Trinkwasser der Feinde zu vergiften. Dabei reicht oft allein die Androhung eines Anschlags aus, um Schrecken zu verbreiten. „Das Spiel mit der Angst, die bloße Drohkulisse hat einen sehr starken psychologischen Effekt“, sagt von Lossow.
Allerdings ist das Zunutzemachen des Wassers nicht nur auf den Waffenaspekt begrenzt. Vielmehr ist der „Islamische Staat“ selbst auf eine ausreichende Versorgung mit der raren Ressource angewiesen. Die Dschihadisten brauchen eine Menge Wasser, um damit die Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu versorgen. Gelingt dies der Extremistenmiliz, kann sie darüber ihre Macht nicht nur festigen, sondern auch legitimieren. Dabei kommt dem IS zugute, dass die Regierungen in Syrien und im Irak es versäumt haben, in die entsprechende Infrastruktur zu investieren.
Folglich waren viele Menschen oft lange Zeit unterversorgt, auch weil man ihnen aus politischen Gründen Wasser vorenthielt. Im Irak traf das unter dem Diktator Saddam Hussein besonders Schiiten, nach dessen Sturz Sunniten. Indem die Terroristen nun diesen Mangel beheben – also quasi staatliche Funktionen übernehmen – wird ihre Herrschaft zuweilen als Befreiung empfunden. Das „Kalifat“ als Dienstleister. Allerdings beileibe kein selbstloser. Wasser und Strom gibt es oft nur gegen Bezahlung. Eine attraktive Einnahmequelle für die Fanatiker.
Einnahme von Talsperren verhindern
So lange das alles funktioniert, ist die ultimative Nutzung des Wassers als Waffe – die Sprengung eines Staudamms – keine strategische Option für den IS, vermutet Experte von Lossow. „Schließlich würde ein derartiges Vorgehen den weiteren Auf- und Ausbau des ,Kalifats’ konterkarieren.“ Sollte es für die Dschihadisten allerdings militärisch enger werden und sie sich existenziell bedroht fühlen, sei eine Öffnung der Schleusen oder die Zerstörung einer Talsperre nicht auszuschließen. „Gemäß seiner Ideologie befände sich der IS dann unmittelbar an der Schwelle zur Apokalypse und in einer finalen Schlacht mit seinen Feinden.“
Um das zu verhindern, gibt es laut von Lossow letztlich nur eine Möglichkeit: Der Westen muss mit Waffengewalt versuchen, Staudämme zurückzuerobern beziehungsweise deren Einnahme zu verhindern. Das ist aber ein riskantes Unterfangen. Auch Bomben verfehlen immer wieder ihr Ziel. Gerade bei Staudämmen kann das fatale Folgen haben.
Christian Böhme