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Auf der IAA präsentiert sich eine Branche im Umbruch.
© REUTERS/Wolfgang Rattay

In zehn Jahren noch Weltspitze?: Wie die deutsche Autoindustrie für die Zukunft aufgestellt ist

Auf der IAA präsentiert sich eine Branche im Umbruch. 850.000 Menschen haben dank ihr Arbeit. Doch wie lange noch?

Es gibt keine Branche in Deutschland, die über ein ähnliches System verfügt wie die Autoindustrie, ein Netzwerk von Wirtschaft und Wissenschaft mit Tausenden Teilnehmern. Dazu gehören nicht nur die Hersteller und deren Lieferanten, sondern auch Universitäten und Forschungseinrichtungen.

Weltweit investiert die Autoindustrie im Jahr rund 50 Milliarden Euro in die Forschung, mehr als die Hälfte davon stammt von deutschen Firmen, die als Weltmarktführer in der Oberklasse (Mercedes und BMW, Audi und Porsche) auch Innovationsführer sind.

Warum ist die Autoindustrie so wichtig?

850.000 Arbeitsplätze hängen direkt an der Autoindustrie; unter Berücksichtigung der Vorleistungen anderer Branchen und angrenzenden Bereichen wie Werkstätten dürften es doppelt so viele sein. Das Auto steht für gut fünf Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung und 17,5 Prozent der deutschen Warenexporte.

Das Concept Car „Mercedes-Benz EQ Silver Arrow“ auf der IAA 2019 in Frankfurt am Main
Das Concept Car „Mercedes-Benz EQ Silver Arrow“ auf der IAA 2019 in Frankfurt am Main
© REUTERS/Ralph Orlowski

Wenn die deutsche Wirtschaftsleistung nach einem leichten Minus im zweiten Quartal auch im dritten Quartal rückläufig sein sollte und die Ökonomen dann von einer Rezession sprechen, liegt das an der Schwäche der Autoindustrie, in der im Übrigen Löhne gezahlt werden, von denen große Teile der Dienstleistungsbranchen, etwa Handel, Erziehung, und Pflege, nur träumen können.

Porsche zahlte zum Beispiel seiner Belegschaft zuletzt eine Jahresprämie von bis zu 9700 Euro – pro Kopf. Jeder Mitarbeiter von Mercedes bekam 4965 Euro und von VW immerhin noch 4750 Euro für das Geschäftsjahr 2018. Für 2019 wird es jedoch weniger geben.

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Wie läuft der Absatz in diesem Jahr?

In den vergangenen Monaten schockte Daimler die Märkte mit Gewinnwarnungen, BASF reduziert die Prognose, weil weniger Autolacke verkauft werden, und BMW musste gut eine Milliarde zurücklegen für eine Kartellstrafe.

Es gibt Sondereffekte wie Abgasmanipulationen, für deren „Bereinigung“ Daimler bis zu zwei Milliarden Euro aufwenden muss, doch vor allem der Markt macht den Herstellern zu schaffen: Weltweit werden in diesem Jahr vermutlich fünf Prozent weniger Autos verkauft als 2018. In China rutschte der Absatz in den ersten sieben Monaten um fast 13 Prozent auf 11,4 Millionen Fahrzeuge.

Etwas besser sieht es in den USA aus, wo das Minus 1,5 Prozent betrug (auf 8,9 Millionen). Für die exportlastigen deutschen Hersteller ist das bitter, die Ausfuhren fielen bis August um 14 Prozent. Der deutsche Markt mit einem leichten Plus kann das bei Weitem nicht ausgleichen, sodass in den inländischen Fabriken seit Jahresbeginn mit 3,2 Millionen Fahrzeugen elf Prozent weniger Pkw von den Bändern liefen als in den ersten acht Jahresmonaten 2018.

Wie stark sind Daimler, VW und BMW?

Volkswagen ist so riesig, dass der Konzern die Kosten des Dieselbetrugs (bislang 30 Milliarden Euro) verkraftet und bis 2023 weitere 30 Milliarden Euro allein in die Elektromobilität stecken kann. Im ersten Halbjahr verdiente der Konzern mit seinen Marken VW, Audi, Porsche, Skoda, Seat, MAN und Scania mehr als 13 Milliarden Euro. Vorstandschef Herbert Diess setzt jetzt alles auf eine Karte: Elektroautos. Also keine Hybridantriebe und keine Brennstoffzellen – jedenfalls in absehbarer Zeit. In den nächsten zehn Jahren will Volkswagen 70 neue E-Modelle auf den Markt bringen.

Volkswagen-Export-Autos im Hafen von Emden
Volkswagen-Export-Autos im Hafen von Emden
© REUTERS/Fabian Bimmer

BMW hat seit ein paar Wochen mit Oliver Zipse einen neuen Vorstandschef. Anders als VW gehen die Münchener technologieoffen in das kommende Jahrzehnt. Die BMWs und Minis sollen mit Strom, Benzin oder Wasserstoff fahren.

Bereits 2013 kam BMW mit dem Elektroauto i3 auf den Markt – doch dann passierte nicht mehr viel. Bis 2023 sind nun 25 elektrische Autos geplant. Geld ist vorhanden, obgleich zuletzt der Profit um 28 Prozent gefallen war.

Auch Daimler hat mit Ola Källenius einen neuen Chef. Unter Dieter Zetsche wurde die Elektromobilität vernachlässigt, Källenius muss aufholen. Zehn Milliarden Euro will Daimler investieren, um 2025 mit zehn elektrischen Mercedes- und Smart-Modellen auffahren zu können. Anders als BMW hat Daimler eine Nutzfahrzeugsparte und ist mit Lkw und Bussen Weltmarktführer. Trotzdem fiel der Gewinn im ersten Halbjahr um 80 Prozent.

Was sind die größten Herausforderungen?

Donald Trump droht mit Zöllen und Boris Johnson mit einem harten Brexit; beides gefährdet Wertschöpfungsketten. Neue Antriebe müssen entwickelt und die alten optimiert werden. Auch 2030 wird es noch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor geben, denn es ist illusorisch, bis dahin den Weltmarkt komplett mit emissionsfreien Fahrzeugen auszurüsten.

Allein in Europa fehlen derzeit nach Berechnungen von McKinsey 400.000 öffentliche Ladestationen. Und woher kommt der grüne Strom? Selbst im Energiewendeland Deutschland hängt der Ausbau der Erneuerbaren in der Warteschleife, die Proteste von Umweltschützern und Bürgern gegen Windräder sind massiv.

Die Konzerne müssen viel Geld in die Digitalisierung, selbstfahrende Fahrzeuge und neue Mobilitätsdienstleistungen stecken. Von dieser Seite droht Gefahr durch neue Wettbewerber wie Google und Uber. Der größte Treiber der Veränderung ist aber die Politik mit den Grenzwerten für CO2, die bis 2030 um 37,5 Prozent unter dem Niveau von 2021 liegen müssen. Andernfalls werden Milliardenstrafen fällig.

Um die Werte zu erreichen, müssen alle Fahrzeuge sauberer werden oder am besten emissionsfrei. Strom, grüner Wasserstoff, Gas und saubere synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) als Beimischung für Verbrenner sind dazu erforderlich.

Was ist noch zu tun?

Hersteller und Zulieferer können die Transformation nicht allein bewältigen und sind auf Kooperationen angewiesen. Selbst die Riesen VW und Ford arbeiten zusammen bei der Elektromobilität und bei der Herstellung von kleinen Lieferfahrzeugen. BMW und Daimler entwickeln zusammen neue Dienstleistungen und kooperieren beim autonomen Fahren.

„Aus heutiger Sicht stehen die Chancen vielleicht bei 50 zu 50, dass die deutsche Automobilindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört“, orakelt VW-Vorstand Diess.

Das klingt nach Ferdinand Piëch, der Anfang der 1990er Jahre VW-Chef war und davor warnte, dass „die Asiaten bald auf unseren Stühlen sitzen werden“. Es kam anders. VW ist der größte Fahrzeughersteller der Welt.

Alfons Frese

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