Agenda der Bundesregierung: Wie die Bundesregierung die Digitalisierung meistern will
Kanzlerin Angela Merkel sieht in der Digitalisierung eine zentrale Herausforderung des neuen Jahrzehnts. Was sich in naher Zukunft ändern soll.
Wer die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin gesehen hat, konnte meinen, die Digitalisierung stehe ganz oben auf der Agenda der Regierung. Neben Maßnahmen für den Klimaschutz versprach Angela Merkel auch „neue Antworten“ auf die Digitalisierung. Die Menschen sollten auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz und eine verlässliche Rente haben, so die Kanzlerin. Dazu brauche es „Mut zu neuem Denken, die Kraft, bekannte Weg zu verlassen, und die Bereitschaft, Neues zu wagen“.
Bisher war davon nicht allzu viel zu spüren. Ob bei der digitalen Verwaltung, beim Mobilfunk oder der Entwicklung von datenbasierten Geschäftsmodellen: Deutschland hängt ziemlich hinterher. Im Nachbarland Österreich, einem Vorreiter in Sachen Digitalisierung, sagt man gern: Die Deutschen schreiben gute Strategiepapiere, in Österreich setzt man sie um. Doch das soll sich in Deutschland 2020 ändern.
Was unternimmt die Bundesregierung für den Netzausbau?
Im letzten Jahr wurde viel über 5G, Funklöcher und Netzausbau gestritten. 2020 geht es nahtlos weiter: Länder, Kommunen und Netzbetreiber treffen im Frühjahr im Verkehrsministerium (BMVI) beim Mobilfunkgipfel auf Minister Andreas Scheuer (CSU) – wenn dieser bis dahin noch im Amt weilt. Thema dort: Der Kampf gegen Funklöcher im Bestandsnetz und die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft. Diese soll auf öffentlichen Grundstücken Mobilfunkmasten aufstellen, um weiße Flecken zu beseitigen. Dazu muss sie aber erstmal gegründet werden.
Auch der Breitbandausbau wird 2020 eine wichtige Rolle spielen, vor allem die Frage, wie das Antragsverfahren entbürokratisiert und ausreichend Kabel verlegt werden können. Außerdem muss sich die Koalition verbindlich zu einer Position durchringen, ob eine Beteiligung des chinesischen Unternehmens Huawei am Ausbau der Mobilfunknetze erlaubt werden soll – und wenn ja, unter welchen Bedingungen.
An dieser Entscheidung hängt nicht nur das Verhältnis zu den USA und China, auch die deutschen Telekommunikationsunternehmen wollen endlich wissen, mit welchen Herstellern zukünftige Netze gebaut werden können. Findet die Politik keine rasche Einigung, könnte das die Ausbauziele für 4G- und 5G-Netze gefährden, die die Bundesnetzagentur bei der Versteigerung der 5G-Frequenzen festgelegt hatte.
Wie weit ist Deutschland von einer digitalen Verwaltung entfernt?
Zum Amt, Nummer ziehen und warten: Deutschland hinkt in Sachen digitale Verwaltung in Europa deutlich hinterher, während in Vorreiterländern wie Dänemark oder Estland fast alle Bürgerdienste digital ablaufen. Nur noch Bulgarien, Ungarn, Griechenland und Rumänien liegen in Sachen Digitalisierung noch hinter der Bundesrepublik. Das zeigt der jährlich veröffentlichte Digital-Economy-and-Society-Index-Report (Desi) der EU-Kommission. Das Problem: Entweder fehlen die Angebote. Oder sie sind zu kompliziert und die Bürger ziehen doch lieber eine Wartenummer auf dem Amt.
Das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll helfen: Mit dem Gesetz haben sich Bund und Länder 2017 verpflichtet, bis 2022 so gut wie alle Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Gerade entstehen in sogenannten Digitalisierungslaboren erste Prototypen. Diese sollen zunächst in einzelnen Ländern in den Pilotbetrieb gehen und später flächendeckend ausgerollt werden. Im Dezember ging mit dem digitalen Wohngeld die erste Leistung aus dem Gesetzesvorhaben online, als eines der nächsten soll Elfe (Einfache Leistungen für Eltern) folgen. Mit Elfe sollen Eltern mit wenigen Schritten Familienleistungen automatisiert und zentral beantragen können.
Was ist gegen Hass und Hetze im Internet geplant?
Hass im Netz ist ein schwerwiegendes Problem, das wurde spätestens mit dem Mord an Walter Lübcke deutlich. Der Kasseler Regierungspräsident wurde im Juni ermordet, nachdem Rechtsradikale im Internet gegen ihn gehetzt hatten. Eigentlich sollte das bereits 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dabei helfen, das Problem zu lösen: Betreiber von sozialen Netzwerken wurden stärker in die Verantwortung genommen, strafrechtlich relevante Inhalte zu löschen. Außerdem können sich Nutzer über ein Meldeformular an das Bundesamt für Justiz (BfJ) wenden, wenn Inhalte trotz Beschwerde nicht entfernt werden.
Doch obwohl das NetzDG seinerzeit große Befürchtungen vor angeblicher Zensur ausgelöst hat, erwies es sich in der Praxis mitunter als stumpfes Schwert gegen Hetze. In diesem Jahr wird das NetzDG mit großer Wahrscheinlichkeit gleich zweimal reformiert. Einerseits durch das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, das im Februar vom Kabinett beraten werden soll. Plattformbetreiber sollen nun dazu verpflichtet werden, strafrechtlich relevante Inhalte nicht mehr nur zu löschen, sondern sie auch automatisch an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterzuleiten.
Außerdem plant das Bundesjustizministerium ein separates Reformgesetz für das NetzDG, mit dem unter anderem die europäische Richtlinie für audiovisuelle Medien in deutsches Recht implementiert wird. Hier sollen auch einfachere Meldewege für Hasspostings geregelt und ein „Put-Back-Verfahren“ für irrtümlich gelöschte Inhalte festgeschrieben werden.
Ist Deutschland für einen möglichen Cyberkrieg gerüstet?
Das neue Jahr könnte auch aus sicherheitspolitischer Sicht spannend werden. Seit dem Frühjahr 2019 ist bekannt, dass die Bundesregierung an Plänen für eine „aktive Cyberabwehr“ arbeitet. Das Konzept sieht mehrere Interventionsstufen vor. Im Extremfall sollen Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zu einem so genannten „Hackback“ bekommen. Wenn ein massiver Cyberangriff die öffentliche Ordnung in Deutschland bedrohen könnte, wäre es zum Beispiel möglich, mit einem gezielten Gegenangriff einen Server auszuschalten, über den die Attacke läuft.
Aus juristischer Sicht ist das nicht unproblematisch. So dürfen derzeit beispielsweise Polizeikräfte nicht außerhalb Deutschlands eingesetzt werden. Rein rechtlich gesehen könnte aber der Angriff auf einen ausländischen Server durch Sicherheitskräfte als „Polizeieinsatz im Ausland“ gelten. Sollte das Konzept tatsächlich realisiert werden, müsste wohl auch das Grundgesetz geändert werden.
Außerdem plant das Innenministerium ein „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“ mit dem unter anderem die Zuständigkeiten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erweitert und ein IT-Sicherheitskennzeichen eingeführt werden. Darüber hinaus ist geplant, zusätzliche Schutzmaßnahmen für Kritische Infrastrukturen (Kritis) wie die Energieversorgung, das Gesundheitssystem oder das Mobilfunknetz festzulegen.
Warum sind Daten so wichtig für den digitalen Fortschritt?
Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, heißt es häufig, doch genau genommen hinkt das Bild: Anders als fossile Rohstoffe, die endlich sind, lassen sich Daten beliebig oft verwenden, kopieren und teilen. Und nur wenn das geschieht, können sie ihr Potenzial entfalten. Denn von Wert sind vor allem die Erkenntnisse, die sich aus ihnen gewinnen lassen, etwa im Gesundheitswesen: Ein Algorithmus, der Millionen von Bildern von ein und demselben Befund gescannt hat, wird die entsprechende Krankheit auch in einem weiteren Bild mit hoher Wahrscheinlichkeit diagnostizieren können.
Das kann nicht nur den Patienten nutzen, es nutzt vor allem der Wirtschaft: Unternehmen wie Facebook und Google verdienen ihr Geld damit, dass sie die Daten ihrer Nutzer sammeln und mit Hilfe der Schlüsse, die sie daraus ziehen, immer mehr Produkte und Services verkaufen, weshalb sie in manchen Bereichen zu Monopolisten geworden sind.
Deutsche Unternehmen tun sich bislang noch schwer damit, die neue Schlüsselressource zu heben. Dabei fallen auch in der Industrie, die in Deutschland stark ist, dank digital vernetzter Fabriken immer mehr Daten an. Die Bundesregierung will die Deutschen zum Teilen ihrer Daten ermuntern und erarbeitet derzeit eine „Datenstrategie.“ Noch sind viele Fragen zu klären, etwa wie man persönliche Daten, zum Beispiel aus einer Krankenakte, so anonymisieren kann, dass sie für die Forschung zur Verfügung stehen, aber keine Rückschlüsse auf den Patienten möglich sind.
Welche Ziele setzt sich die Europäische Union?
Auch die neue EU-Kommission hat die Digitalisierung zum Schwerpunktthema erklärt. 100 Tage nach ihrem Amtsantritt am 1. Dezember will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen etwa eine Gesetzgebung für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) vorlegen. Zielvorgabe ist die Entwicklung und Regulierung einer KI, „die dem Menschen dient“ – ein enorm komplexes Vorhaben also.
Große Erwartungen gibt es auch an ein geplantes Gesetz zur Regulierung von Plattformen, dem Digital Services Act. Die Copyright-Debatten im vergangenem Frühjahr dürften ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, wie weit die Interessen der Akteure auseinander gehen, wenn die Europäische Union versucht, Regeln für das digitale Zeitalter zu erlassen. Die Verhandlungen dürften schwierig werden.