zum Hauptinhalt
lDer ehemalige AfD-Fraktionssprecher Christian Lüth (l) und der Chef der AfD-Bundestagsfraktion Alexander Gauland.
© AFP/John MACDOUGALL

Der Fall Lüth und andere Verwerfungen: Wie die AfD sich selbst zerlegt

Der Skandal um Ex-Sprecher Christian Lüth unterstreicht die zunehmende Selbstzerlegung der AfD. Was steckt hinter den Zerwürfnissen in der Partei?

Für die AfD ist es ein Gau. Das Besondere an den Aussagen des langjährigen AfD-Strategen Christian Lüth: Es ist einer der wenigen Fälle, bei denen das wahre Denken publik wird, weil er sich in einem geschützten Raum wähnte, in einem privaten Gespräch mit einer Youtuberin, die er der AfD-Szene zurechnete.

„Denk doch mal taktisch, Mäuschen“, sagt er zu der Frau mit Blick auf die strategische Aufstellung der AfD. Dann fallen Sätze wie: „Das haben wir mit Gauland lange besprochen: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“ Mit Blick auf den Zuzug von Migranten soll er gesagt haben: „Wir können die nachher immer noch alle erschießen, das ist überhaupt kein Thema, oder vergasen, oder wie du willst, mir egal.“

Aus der AfD folgen Distanzierungen, der im April freigestellte Fraktionssprecher Lüth wird fristlos gekündigt. Doch sein Fall zeigt, dass es den Rechtspopulisten zunehmend schwerfällt, den Anschein der Bürgerlichkeit aufrecht zu erhalten. Immer wieder kehren Funktionäre der Partei den Rücken, weil sie den radikalen Kurs nicht mehr mittragen wollen, Landesverbände versinken im Streit. Die AfD steckt in einer schweren Krise.

Wie kam es zu den entlarvenden Aussagen?

Für den Fernsehsender Pro Sieben hat der Filmemacher Thilo Mischke 18 Monate lang die rechtsextreme Szene beleuchtet. In der zweistündigen Dokumentation „Rechts. Deutsch. Radikal“, wird nach und nach deutlich, wie eine rechte Youtuberin zu gewinnen, die sich Lisa Licentia nennt, ihre Einstellungen überdenkt. Sie verkörpert zunächst die Art von Presse, die der AfD genehm ist. Sie berichtet ungefiltert und unterstützend, was die Mitglieder denken und sagen. Doch sie bricht nach einiger Zeit damit, und sagt im Film, sie sei die ewigen Relativierungen aus der AfD nach verbalen Entgleisungen leid. Auf die Frage, wie AfD-Leute reden, wenn keine Presse zusieht, sagt sie: „Rassistisch, eindeutig sexistisch, frauenfeindlich.“

Sie trifft sich mit Lüth, der früher für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras und in der FDP-Bundestagsfraktion tätig war, in einer Berliner Bar. Aus rechtlichen Gründen firmiert er im Film nur als „hoher AfD-Funktionär“ und beim Filmen mit versteckter Kamera ist er nicht zu erkennen.

Der Fernsehjournalist Thilo Mischke hat 18 Monate in der rechten Szene recherchiert.
Der Fernsehjournalist Thilo Mischke hat 18 Monate in der rechten Szene recherchiert.
© dpa/Kay Nietfeld

Tappt Lüth in eine Falle? Es ist der Abend der Hamburger Bürgerschaftswahl, die AfD muss lange um den Wiedereinzug mit am Ende 5,3 Prozent bangen. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland ruft an, Lüth erweckt den Eindruck, die Deutschland-muss-es-schlecht-gehen-Strategie sei genau dessen Linie. Er räumt zugleich ein, dass die Maskerade der bürgerlichen Partei noch bis zur Machtübernahme halten muss und wichtig sei vor allem: „Solange die AfD noch ein bisschen instabil ist und ein paar Idioten da antisemitisch rumlaufen, müssen wir dafür sorgen, dass es Deutschland schlecht geht.“

Die Passagen sind in der Doku nachgesprochen, Lüths Gesicht ist nicht zu erkennen, wohl aus rechtlichen Gründen. Aber dass die AfD gar nicht erst versucht, den Filmemacher und Pro Sieben anzugreifen, sondern Gauland sich für maximale Distanzierung und den Rauswurf Lüths entscheidet, zeigt, für wie authentisch man das Ganze hält. Laut Partei ist Lüth auch seit einiger Zeit nicht mehr Mitglied der AfD.

Warum ist die Affäre für Fraktionschef Gauland gefährlich?

Lüth galt lange Zeit als als enger Gauland-Vertrauter. Was die Entwicklung der AfD angeht, haben beide offenbar ähnliche Vorstellungen. Lüths Satz, dass es dem Land schlechter gehen müsse, damit die AfD hinzugewinnen könne, erinnert an Gaulands Äußerung von 2015, die Flüchtlingskrise sei ein „Geschenk“ für seine Partei gewesen.

Konrad Adam, der die AfD 2013 mitgegründet hat und aus Enttäuschung über den aktuellen Kurs jetzt austreten will, sagt: „Lüth war ein stets gut informierter Pressesprecher, er ist aber auch der geborene Intrigant.“ So habe der 44-Jährige regelmäßig seine Kompetenzen überschritten, wenn er etwa „auf eigene Faust versuchte, Personalpolitik zu betreiben“. Offenbar konnte er sich dabei stets auf Gaulands Rückendeckung verlassen. Selbst als Lüth sich in einem privaten Chat als „Faschist“ bezeichnete, wurde er im April nur freigestellt – nicht gefeuert. Später war er als „Mediendirektor“ der Fraktion im Gespräch, was einer Beförderung gleichgekommen wäre.

Lüths problematische Einstellungen habe die Parteiführung schon länger gekannt, sagte die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry am Dienstag der Deutschen Welle: „Seit spätestens 2016 ist dem AfD-Bundesvorstand bekannt, dass der damalige Pressesprecher Christian Lüth den Hitlergruß zeigte.“

Konrad Adam hat 2013 die AfD mitgegründet und ist ehemaliger Bundessprecher der Partei.
Konrad Adam hat 2013 die AfD mitgegründet und ist ehemaliger Bundessprecher der Partei.
© dpa/Timm Schamberger

Warum also hat die AfD-Fraktion so lange gewartet, um ihren Sprecher loszuwerden? „Lüth weiß zu viel“, sagt Adam. „Der hätte jeden zweiten hochgehen lassen können.“

Wo gibt es noch Verwerfungen?

Die Grabenkämpfe seien gewissermaßen der „Naturzustand“ der AfD, sagt Adam. Gleich in mehreren Ländern zerlegen sich Landtagsfraktionen und Landesverbände – und immer wieder spielt der Konflikt zwischen den eher Gemäßigten und den offen Radikalen eine Rolle. Nur drei bis vier der insgesamt 16 Landesverbände seien „intakt“, sagt Adam. Der Rest sei heillos verkracht.

Frauke Petry ist ehemalige AfD-Bundessprecherin und aktuell fraktionslose Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
Frauke Petry ist ehemalige AfD-Bundessprecherin und aktuell fraktionslose Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
© picture alliance / Ralf Hirschbe

So kündigte in Schleswig-Holstein der Abgeordnete Frank Brodehl am Freitag seinen Parteiaustritt an. Damit können die drei verbliebenen AfD-Abgeordneten keine eigene Fraktion mehr bilden. „Der völkisch-nationalistische Grundton ist deutlich lauter als die Stimmen derjenigen in der Partei, die für eine seriöse und wertkonservative AfD-Politik eintreten“, begründete Brodehl seine Entscheidung. Auch die Verwendung von Nazi-Vokabular in Mitglieder-Mails und der verächtliche Umgangston im Landesverband hätten ihn zu seinem Schritt bewogen. Nach Erkenntnissen der schleswig-holsteinischen Sicherheitsbehörden bestehen dort auch die Strukturen des offiziell aufgelösten „Flügels“ der AfD fort. Dessen Aktionen seien ab sofort ein Beobachtungsobjekt für den Landesverfassungsschutz.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

An einem Streit zwischen den Lagern ist vor wenigen Tagen auch die neunköpfige AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag zerbrochen. Die bisherige Fraktionschefin Dana Guth und zwei weitere Abgeordnete erklärten ihren Austritt aus der Fraktion, weil ihnen die Richtung zu radikal geworden war. Ein letzter Versöhnungsversuch scheitere am Montag. Gauland will gegen Guth ein Parteiausschlussverfahren in Gang setzen.

In der 20-köpfigen AfD-Fraktion im bayerischen Landtag lehnen zwölf Abgeordnete den Vorstand um Fraktionschef Ingo Hahn ab, für eine Abwahl fehlt aber die Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Arbeit der Fraktion scheint damit weitgehend blockiert zu sein. In Berlin klagten Anfang Juli neun der 22 Fraktionsmitglieder im Abgeordnetenhaus in einem öffentlichen Schreiben über ein „Klima des Misstrauens und der Destruktivität“.

Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Padzerski mit seiner Parteikollegin Beatrix von Storch.
Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Padzerski mit seiner Parteikollegin Beatrix von Storch.
© REUTERS/Fabrizio Bensch

Kritisiert wurde vor allem der Führungsstil des amtierenden Fraktionschefs Georg Pazderski und der Umgang mit Mitarbeitern, der als „absolut unwürdig“ bezeichnet wurde. Seither stehen die Lager fest. Abgeordnete der AfD-Fraktion duellieren sich vor Gericht, ehemalige Mitarbeiter klagen gegen ihre Kündigung – mehrere Verfahren laufen noch.

Welche Rolle spielt Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang?

Wie sehr die AfD nach Krisenthemen sucht, um in Zeiten der Verunsicherung die Stimmung negativ anzustacheln, zeigen die Versuche, die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zu instrumentalisieren. Als nach der Berliner Großdemo – übertrieben – vom Sturm auf den Reichstag die Rede war, wurde vergessen, dass einige offenkundige Feinde der Demokratie schon längst drinnen sitzen, im Parlament. Es mag Zufall sein, aber als Hans-Georg Maaßen noch Chef des Verfassungsschutzes war, wurde die AfD längst nicht so intensiv beobachtet, die Maskerade hielt – und der Höhenflug führte zum zeitweiligen Anbiedern der Union an AfD-Positionen.

Thomas Haldenwang ist seit November 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.
Thomas Haldenwang ist seit November 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.
© AFP/Bernd von Jutrczenka

Nun werden immer schärfere Trennlinien gezogen. Und mit Thomas Haldenwang steht jemand an der Spitze des deutschen Verfassungsschutzes, der klare Kante zeigt. Der Rechtsextremismus sei aktuell die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland, sagt er. Er hat die radikalste AfD-Strömung, den „Flügel“ um den Thüringer Fraktionschef Björn Höcke, unter Beobachtung gestellt. Haldenwang nennt Höcke und den vorerst aus der Partei geworfenen Brandenburger Abgeordneten Andreas Kalbitz offen Rechtsextremisten.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon im März prophezeit, über kurz oder lange werde Höcke die Partei komplett übernehmen, was zur endgültigen Spaltung führen könnte. Der Thüringer Fraktionschef habe das Sagen, immer mehr gemäßigte Kräfte würden verdrängt. Söder sagte den Funke-Medien, Höcke übernehme die Methoden seiner Vorbilder aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts: „Diskreditieren von Personen, Missbrauchen von demokratischen Regeln für seine Zwecke.“

Zur Startseite