Volker Beck zum 70. Unabhängigkeitstag: Wie Deutschland seine Freundschaft zu Israel zeigen kann
Zum 70-jährigen Bestehen Israels muss Deutschland als Gratulant nicht mit leeren Händen dastehen. Es könnte drei Dinge tun. Ein Gastkommentar.
Mazel tov, Israel. Bis 120. So wünscht man sich seit den Zeiten der Thora ein biblisches Alter. Der 70. Unabhängigkeitstag Israels an diesem Donnerstag ist ein Grund, dem jüdischen und demokratischen Staat ein langes Leben in Frieden und Freiheit zu wünschen - von seiten der an Lebensalter jüngeren und an Sicherheit so viel gesegneteren Bundesrepublik.
Ein frommer Wunsch angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen, die der Staat vom Tag seiner Gründung an zu meistern hatte. Seit seiner Gründung im unfreiwilligen Kriegszustand, mit manchen Waffenstillständen, aber bis heute nicht mit allen seinen Nachbarn im gesicherten Frieden. Eine einzigartige Situation, die ein besonderer Freund wie es Deutschland sein will, nicht aus dem Blick verliert.
Dass aufgrund der Geschichte „unsere normalen Beziehungen auf immer besondere Beziehungen bleiben“ werden, hatte schon Bundespräsident Joachim Gauck zu den deutsch-israelischen Beziehungen gesagt. Diese besonderen Beziehungen gilt es mit Leben zu füllen, sie sind zu oft zur schieren Phrase verkommen, gerade in der letzten Wahlperiode, in der der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel den Gefrierpunkt der bilateralen Beziehungen austestete und am Ende selbst die regelmäßigen Regierungskonsultationen der Verstimmungsdiplomatie zum Opfer fielen. Manche meinen wohl, den besonderen Beziehungen sei schon dann genüge getan, wenn sie sich eingedenk eines Wortes von Johannes Rau der „Freundespflicht der Kritik“ besonders inbrünstig annehmen.
Die Fata Morgana der jüdischen Suprematie
Soviel man sich in Deutschland wegen der eigenen verbrecherischen Geschichte auf die Beziehungen zu Israel zugute hält, so wenig versteht man in Politik und Öffentlichkeit Israels besondere Lage eingeklemmt zwischen Ländern, die von islamistischen Bewegungen durchgeschüttelt, wenn nicht gar regiert werden, noch seine Identität als jüdischen und demokratischen Staat. Letzteres verwechselt man zu unrecht immer wieder mit einer jüdischen Theokratie. Zwar haben die Religionsgemeinschaften – übrigens seit osmanischer Zeit – in der Gegend des heutigen Israel schon länger eine herausgehobene Rolle, zum Beispiel im Familienrecht, aber eben nicht nur die jüdische.
Die israelische Unabhängigkeitserklärung definiert die Staatsidee als „Wiedererrichtung einer nationalen Heimstätte“ für Jüdinnen und Juden: „Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen.“ Aber eben auch die demokratische und egalitäre Dimension: Der Staat Israel „wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen.“ Heimstatt der Juden und gleiche Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger – das ist die Staatsidee des jüdischen und demokratischen Staates. Nicht mehr und nicht weniger. Die jüdische Suprematie ist eine Fata Morgana von „Israelkritikern“ und Nationalreligiösen gleichermaßen.
Eine neue Tonlage durch Heiko Maas
Sollen die besonderen Beziehungen zwischen unseren Staaten mehr bedeuten als schöne Worte in Sonntagsreden, hätte Deutschland in diesem Jahr die Chance zu zeigen, was das auf dem Parkett der Vereinten Nationen bedeutet. Ob Menschenrechtsrat, UN-Vollversammlung oder Unesco - Israel wird dort behandelt und mit Kaskaden von verurteilenden Resolutionen bedacht, als sei es für 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, 350 Tausend Tote im Syrienkrieg und am besten noch für den Klimawandel und den Hunger in der Welt verantwortlich.
Hier könnte Deutschland deutlicher, klarer und kompromissloser seine Freundschaft beweisen. Dazu müsste es weder seine Haltung zur Zweistaatenlösung, zum Siedlungsbau oder seine Kritik zum Verlauf des Grenzzaunes relativieren. Es müsste sich allein gegen eine unverhältnismäßige und nicht selten auch unwahre Verteufelungsstrategie stellen. Mit Heiko Maas‘ Antrittsbesuch in Jerusalem scheint in wohltuender Weise wieder eine neue Tonlage von deutscher Seite in das bilaterale Verhältnis eingekehrt zu sein. Dem deutlich angenehmeren Sound sollten jetzt aber auch konkrete Taten folgen:
1. Deutschland sollte seine Bewerbung um einen Sicherheitsratssitz hintanstellen, wenn es dadurch dafür sorgen kann, dass Israel im 70. Jahr seiner Existenz erstmals Mitglied dieses Gremiums werden kann. Das wäre auch ein herausragendes Bekenntnis der Völkergemeinschaft zu Israels Existenz, die immer noch von einer ganzen Reihe Mitgliedsstaaten in Frage gestellt wird. Nein, dazu muss man die aktuelle israelische Regierung nicht toll finden. Man muss nur die Frage stellen, warum der israelischen Demokratie etwas seit 70 Jahren verwehrt wird, was man seinen Nachbarn wie Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien zum Teil wiederholt gewährt hat.
2. Deutschland darf nicht nur beim Thema Siedlungsbau klar Position beziehen, es muss der Palästinenserführung mindestens ebenso unmissverständlich deutlich machen, dass wir nicht eine Einrichtung finanzieren können, die gleichzeitig an die Familien von Terroristen Märtyrerpensionen überweist und mit dieser Art von Terrorfinanzierung die Gewaltspirale anheizt.
3. Und als Signal der Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern könnte der deutsche Heimatminister deutlich machen, dass uns Israel so nah am Herzen liegt wie die Schweiz: Im Staatsangehörigkeitsrecht sollten wir die Israelis gerade auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte von dem Verbot der Doppelstaatlichkeit ausnehmen.
Mit diesen Punkten stünde der Gratulant nicht ganz mit leeren Händen da.
Volker Beck ist Lehrbeauftragter am Centrum für religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum und war bis 2017 Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages.
Volker Beck