Das epische Ringen um die schwarze Null: Wie der Staat trotz Schuldenbremse 450 Milliarden Euro mehr ausgeben könnte
Die Schuldenbremse im Grundgesetz bindet die Politik. Kippt sie bald? Kann sie umgangen werden? Welche Spielräume gibt es? Eine Analyse.
Es geht ihr an den Kragen. Aber so einfach erledigen lässt sie sich nicht – die schwarze Null. Denn sie steht im Grundgesetz, und wer sie abschaffen möchte, braucht eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Das Unterfangen ist derzeit also aussichtslos, weil die Union zusammen mit der FDP locker die nötige Sperrminorität aufbringen würde.
Beide Parteien stehen ohne Wenn und Aber hinter der Regelung, die 2009 eingeführt wurde. Das wissen auch alle in der SPD, bei den Grünen, in der Linkspartei, die der grundgesetzlichen Schuldenregelung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Mit der Entscheidung der SPD-Basis für die Schwarze-Null-Kritiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist nun noch mehr Dramatik in eine ohnehin schon erhitzte Debatte gekommen.
Der eiserne Riegel gegen neue Schulden: Die Verfassung
„Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ – das ist der Kernsatz in den Artikeln 109 und 115 der Verfassung. In diesen Artikeln ist die „Schuldenbremse“ für den Gesamtstaat und den Bund geregelt, die in konjunkturellen Normallagen – worunter man Wachstumsphasen verstehen kann – eine Neuverschuldung nicht zulässt.
Zugelassen sind im Rahmen der Schuldenbremse allerdings Regelungen, mit denen man die Auswirkungen einer „von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ auffangen kann.
Darunter lässt sich eine Schuldenaufnahme verstehen, die konjunkturbedingte Steuerrückgänge ausgleicht. Man kann wohl auch eine Schuldenaufnahme zur Konjunkturankurbelung durch Investitionen damit rechtfertigen. Bisher hat sich die Frage nicht gestellt, denn seit Einführung der Schuldenbremse ist die deutsche Wirtschaft meist gewachsen, seit 2014 hat der Bundeshaushalt zudem konstant Überschüsse erzielt.
Ein bisschen Schulden gingen trotzdem. So nämlich:
Zur Neuverschuldungsregelung im Grundgesetz gehört allerdings auch eine Sonderregel für den Bund: Demnach gilt der Kernsatz – Ausgleich ohne Kredite – für den nationalen Etat auch dann, wenn die neuen Schulden nicht höher als 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.
Andres gesagt: Die Vorgabe der schwarzen Null ist erfüllt, wenn die neuen Kredite diese Grenze nicht überschreiten. Im neuen Haushalt für 2020 ist die mögliche Neuverschuldung nach dem etwas komplizierten Regelwerk auf maximal 12,48 Milliarden Euro begrenzt. Diesen Spielraum könnte die Koalition also nutzen, ohne die Verfassung zu verletzen.
In der Union wird die schwarze Null allerdings strikt so ausgelegt, dass der Spielraum derzeit nicht genutzt werden soll.
Die Begründung: Die Einnahmen aus Steuern reichen, um die Ausgaben zu finanzieren. Sie reichen sogar so locker, dass der Bund seit Jahren nicht nur Überschüsse hat (auch 2019 noch, obwohl man glaubte, dass es im laufenden Jahr nicht mehr klappen würde), sondern auch große Ausgabenreste mit sich schleppt. Denn der Bund bleibt jedes Jahr auf nennenswerten Summen sitzen, weil sie nicht abfließen.
Aber wozu überhaupt neue Schulden? Der Bund schwimmt im Geld
So hat sich eine Rücklage von 40 Milliarden Euro angesammelt, die jetzt erstmals zum Ausgleich des Etats 2020 angezapft wurde. Zudem nutzte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch das Instrument der „globalen Minderausgabe“ zum Etatausgleich – indem er davon ausgeht, dass einige Milliarden ohnehin wieder nicht abfließen, also schon jetzt von den geplanten Ausgaben wieder abgezogen werden können.
Die Opposition im Bundestag argumentiert daher, dass ein echter Ausgleich – also im Sinne der schwarzen Null – schon nicht mehr möglich gewesen sei und die Koalition nur dank Rücklagen und Haushaltstricks vermieden habe, die zulässige Neuverschuldung von 0,35 Prozent nutzen zu müssen.
In der SPD geht nun der Streit darum, wie man mit der schwarzen Null umgeht. Soll nur der Spielraum jetzt genutzt werden, um mehr Investitionen auf den Weg zu bringen? Oder will man die Schuldenbremse ad acta legen?
Allerdings wird derzeit auch eifrig über einen weiteren Weg debattiert – den großen Investitionsfonds. Esken und Walter-Borjans haben gefordert, ein auf zehn Jahre angelegtes Ausgabenprogramm mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro aufzulegen. Gefördert werden sollen Investitionen in den Kommunen, für die weitere Digitalisierung, insbesondere beim Breitbandausbau, auch in Klimaprojekte und die Bildung.
So wäre ein riesiges Investitionsprogramm trotz schwarzer Null möglich:
Ein solches Programm haben unlängst auch der Bundesverband der deutschen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangt – sie forderten 450 Milliarden Euro. Und auch die Grünen sind hier mit von der Partie. Ihre Summe: jährlich 35 Milliarden Euro, aus Krediten finanziert, in einem Investitionstopf vor allem für Klimaprojekte gesammelt. Auf zehn Jahre gesehen also 350 Milliarden Euro.
Der Grünen-Parteitag vor zwei Wochen beschloss die Forderung, die Schuldenbremse im Rahmen der EU-Vorgaben zu lockern – die lassen eine jährliche Neuverschuldung bis zu drei Prozent des BIP zu. Die Linkspartei ist ohnehin für mehr schuldenfinanzierte Investitionen und sieht die Schuldenbremse mehr als kritisch.
Ein aus dem Etat ausgelagerter Investitionstopf wäre offiziell ein so genanntes Sondervermögen, das einem bestimmten Zweck dient. Ein solcher Fonds oder eine solche Investitionsgesellschaft (für die Autobahnen gibt es das schon) könnte auch die Erlaubnis bekommen, sich selbst zu verschulden – dann liefen die Kredite nicht über den Bundeshaushalt.
Die Befürworter sind der Ansicht, dass diese Umwegverschuldung grundgesetzkonform wäre, also die Schuldenregel der schwarzen Null nicht verletzen würde. Allerdings müssten die EU-Kriterien eingehalten werden.
Nach Ansicht von Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, ist das möglich auch bei dem 450-Milliarden-Programm von BDI und DGB. Deutschland bliebe auch dann unter der EU-Vorgabe, dass der Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen darf.
Unterstellt wird dabei allerdings ein ordentliches Wirtschaftswachstum, das in den kommenden zehn Jahren höher liegen müsste als derzeit. Wobei sich dann wiederum die Frage stellt, warum bei höherem Wachstum neue Schulden nötig sind?
Zurück zu den Parteien. Wer sich was erhofft beim Kampf um die schwarze Null:
Im Streit um die schwarze Null will die SPD mit neuer Führung Profilierung gewinnen, bis hin zum kalkulierten Koalitionsbruch. Was aber bedeutet die ganze Debatte nun für die Union? Natürlich wird sie ich so schnell nicht von ihrer Position wegbewegen und für die strikte Auslegung kämpfen.
Ein Ende der Koalition mit der SPD wegen der Schuldenpolitik hätte aber die Folge, dass nach einer Neuwahl in einem Bündnis mit den Grünen das gleiche Problem wieder aufträte. Man käme sozusagen, aus Unions-Sicht, vom Regen in die Traufe.
In einer schwarz-grün-gelben Koalition würde die FDP als Korrektiv vielleicht auf mehr Haushaltsdisziplin dringen, aber auch hier würden die Grünen ihren Investitionstopf zur Bedingung machen. Er fiele dann eben kleiner aus.
Eine Koalition von Grünen, SPD und Linken ist aktuell in den Umfragen deutlich von einer Mehrheit entfernt. Noch weiter aber sind es Union und FDP. Was ein konfrontativer Wahlkampf bringen würde, ist unklar. Ein Entgegenkommen der Union an die SPD, wenn diese nicht überzieht, ist daher durchaus denkbar.
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