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Risikobewertung. Mit Krisenstäben will die Bundesregierung die Krise in den Griff kriegen. Foto: Thomas Imo/imago
© Thomas Imo/imago

„80.000 Dinge gleichzeitig“: Wie der Krisenstab Merkels Versprechen umsetzen will

Die Kanzlerin sprach von der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ und machte Versprechen. Ihre Umsetzung wird entscheidend sein. Ein Überblick.

Der Tag der Hoffnung ist der 20. April. Wenn sich die Virusausbreitung bis dahin irgendwie verlangsamt haben sollte, könnte ab dann das öffentliche Leben schrittweise wieder hochgefahren werden. Aber Normalität kann und wird es noch lange nicht geben. Wie sagte es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag bei einer weiteren Corona-Pressekonferenz: „Das Virus ist da, und das Virus wird für immer bleiben.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat viel Zustimmung für ihren Fernsehappell zum Abstandhalten und Zuhausebleiben bekommen („Nehmen Sie es ernst“) – doch auch die Bundesregierung hat im Verbund mit den europäischen Partnern die Gefahr zu spät erkannt, Flüge aus China wurden nach dem Virusausbruch nicht kontrolliert. Die Kanzlerin hat zur Bekämpfung der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ einige Versprechen gemacht, deren Umsetzung entscheidend ist, damit die Stimmung im Land nicht ins Panische kippt.

Umsetzen muss dies vor allem der Krisenstab der Bundesregierung, er arbeitet unter „absoluter Volllast“, wie ein Beteiligter sagt. Kanzleramtschef Helge Braun, Staatsminister Hendrik Hoppenstedt, Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen, Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke und Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt schalten sich jeden Tag mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der 16 Bundesländer zusammen. Merkel schließt sich auch selbst in Telefonschalten immer wieder mit den Ministerpräsidenten kurz. „Es geht um 80.000 Dinge gleichzeitig“, ächzt eine der am Krisenmanagement beteiligten Personen.

Hintergrund über das Coronavirus:

Die Corona-Krise: Merkel lobt Ärzte und Pfleger – die wiederum klagen über fehlende Schutzausrüstung. Hier wird versucht, diese zentral zu beschaffen. Hersteller fahren Sonderschichten; Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) droht sogar mit Beschlagnahmungen. Beatmungsgeräte, die schon verschrottet werden sollen, werden wieder fit gemacht. Daneben bittet die Kassenärztliche Vereinigung Betriebe dringend um Mithilfe bei der Suche nach Schutzausrüstungen für Arztpraxen. Gebraucht würden Schutzmasken, Schutzbrillen, Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel. Die Zahl von 28.000 Intensivbetten sollen, wenn möglich, verdoppelt werden auf über 50.000 – Italien hatte nur einige Tausend und die waren fast komplett belegt, was die hohe Todesopferzahl miterklärt.

Die Wirtschaftskrise: Das Bundeswirtschaftsministerium bekam zuerst 100 Anrufe am Tag von Solo-Selbstständigen und Unternehmen, inzwischen sind es 500. Der Beratungsbedarf ist immens. Am Donnerstag wurde der nächste Rettungsfonds für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige aufgelegt. Überall werden Ministeriumsmitarbeiter zum Telefondienst abgezogen. Zudem gehen unglaublich viele Anträge auf das erweiterte Kurzarbeitergeld ein, doch wegen Corona arbeitet auch die Bundesagentur für Arbeit im Notbetrieb.

Nie gab es die Situation, dass Angebot und Nachfrage gleichzeitig zusammenbrechen. Merkel hat gesagt: „Die Bundesregierung tut alles, was sie kann, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern – und vor allem um Arbeitsplätze zu bewahren.“ Mehr kann sie kaum tun, Garantien gibt es nicht. Die staatliche KfW-Bank musste erst mal dazu getrieben werden, keine kleinen, bürokratischen Programme aufzulegen. „Wir haben gleich die Bazooka herausgeholt“, sagt einer aus dem Krisenstab. Einer der führenden Akteure in der Finanzkrise, der damalige Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, sagte der „Wirtschaftswoche“, man müsse schon ganz am Anfang „zu viel radikaleren Mitteln greifen, als man eigentlich vorhat“. „Wenn wir anfangs ein Loch von X in der Bankbilanz hatten, waren es später in der Regel dreimal X.“

Damit die Krise nicht auch noch auf die Banken überschwappt, machen die Hausbanken von Unternehmen Druck, dass die KfW bei dem Kredit- und Hilfsprogramm nicht nur 80 Prozent des Risikos übernimmt und Hausbanken 20 Prozent, sondern mehr. „Wir können aber auch nicht mit der Gießkanne durch die Landschaft laufen“, sagt eine mit den Vorgängen vertrauten Person. Die Umstellung vieler Unternehmen auf Homeoffice mit langen Video- und Telefonkonferenzen birgt das nächste Risiko: Hält das Netz, zumal wenn Millionen Kinder jetzt mangels Schule oder Kita zu Hause sind und Videos streamen?

Die Hamster-Krise: Merkel hat betont: „Alle können sich darauf verlassen, dass die Lebensmittelversorgung jederzeit gesichert ist, und wenn Regale einen Tag mal leer geräumt sind, so werden sie nachgefüllt.“ Nun stehen viele Bürger oft vor leeren Regalen, in Zeitungsanzeigen appellieren Edeka, Rewe, Aldi, Lidl, Penny, Netto und Kaufland: „Wir bitten Sie um Rücksicht und Solidarität. Bitte kaufen Sie möglichst bedarfsgerecht und entsprechend Ihrer jeweiligen Haushaltsgröße ein.“ Vor allem bei den Lieferketten versucht der Staat zu helfen: So sollen exklusive Schnellspuren für Lastwagen an den Grenzen helfen sowie die Aufhebung des Sonntagsfahrverbots. Merkel telefonierte am Donnerstag mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki – Polen will nun die Abfertigung beschleunigen, um die enormen Staus an dieser Grenze verringern zu können.

Die Maßnahmen-Krise: Merkel betont, alle staatlichen Eingriffe gingen ins Leere, „wenn wir nicht das wirksamste Mittel gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus einsetzen würden: Und das sind wir selbst“. Die Verhängung von Ausgangssperren gilt als letztes Mittel – und wird zwischen Bund und Ländern immer stärker erörtert, das Bundesjustizministerium habe aber noch keinen konkreten Entwurf in der Schublade, wurde Donnerstag betont. Doch mit Sorge wird auf das nahende Wochenende geblickt, wenn es gerade junge Leute nach draußen ziehen könnte. Auch hier ist die Entwicklung derzeit: dynamisch.

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