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Nahezu menschenleer sind die Gassen in der Altstadt von Königstein am frühen Abend.
© Boris Roessler/dpa

Geschäfte zu, Schulen geschlossen, Kontakte beschränkt: Wie der harte Lockdown in Deutschland aussehen könnte

Die Zahl der Corona-Infektionen sinkt nicht, die Rufe nach strengeren Regeln mehren sich. Was Experten und Politiker konkret fordern. Ein Überblick.

Sachsen ist bereits vorgeprescht: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verkündete am Dienstag einen harten Lockdown. In dem von den Corona-Infektionszahlen besonders betroffene Freistaat im Osten werden ab nächster Woche Schulen, Kindergärten, Horte und der Einzelhandel mit Ausnahme der lebensnotwendigen Versorgung geschlossen.

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Auch im Freistaat im Süden geht es härter zur Sache: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unterstützt den von der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina geforderten „harten Lockdown“ mit Geschäftsschließungen, allerdings erst ab Weihnachten.

Auch bundesweit mehren sich wegen der anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen die Forderungen, das öffentliche Leben deutlich stärker als bisher einzuschränken. Ob sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten vor Weihnachten dazu noch einmal zusammensetzen, um darüber zu beraten, ist unklar. Am Dienstagmorgen kündigte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im RBB allerdings eine Schalte an diesem Donnerstag an. Nicht alle Länder-Regierungschefs hatten das zuvor für notwendig gehalten, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Bislang ist eine neue Ministerpräsidentenkonferenz für den 4. Januar geplant. Die Politik ist allerdings besorgt, weil nach fünf Wochen Teil-Lockdown kein Absinken der Zahl der Neuinfektionen in Sicht ist. Vom Ziel, die Zahl auf unter 50 pro 100.000 Einwohnern über sieben Tage zu bringen, ist Deutschland weit entfernt. Aktuell unterschreitet kein Bundesland die Marke.

Die Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina forderten am Dienstag, die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown zu nutzen. „Ab dem 24. Dezember 2020 bis mindestens zum 10. Januar 2021 sollte in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen und ein harter Lockdown gelten“, heißt es in den Empfehlungen.

Die drängendsten Fragen sind derzeit: Bleiben Geschäfte und Schulen geöffnet? Und wie viele Menschen darf ich in den kommenden Wochen sehen? Ein Überblick über den Stand der Dinge.

Geschäfte

Geht es nach den Experten der Nationalakademie Leopoldina sollten alle Geschäfte bis auf die des täglichen Bedarfs geschlossen werden. So hatte unter anderem schon Belgien seine Corona-Zahlen in den Griff bekommen und so wird es auch Sachsen ab dem kommenden Montag halten. Bayern will die Läden ab Weihnachten schließen, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag an.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt davor. „Der Einzelhandel hat deutlich bewiesen, dass sicheres Einkaufen unter Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsvorschriften auch in Zeiten der Pandemie möglich ist. Daher wäre eine erneute Schließung nicht nur unverhältnismäßig, sondern mit Blick auf mögliche Panikkäufe auch kontraproduktiv“, sagte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser am Dienstag in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ein solcher Schritt werde für den bereits jetzt stark existenzgefährdeten innerstädtischen Handel „fatale wirtschaftliche Folgen“ haben. „Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist neben der Woche vor Heiligabend die umsatzstärkste Zeit des Weihnachtsgeschäfts, die bis zu einem Viertel des Jahresumsatzes ausmachen kann“, schrieb Sanktjohanser. Bei einem verschärften Lockdown drohten dem Handel Umsatzverluste von bis zu einer Milliarde Euro pro Tag.

Den Einzelhandel könnte der harte Lockdown demnächst besonders hart treffen.
Den Einzelhandel könnte der harte Lockdown demnächst besonders hart treffen.
© Daniel Karmann/dpa

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Ladenschließungen zumindest nach Weihnachten ins Gespräch gebracht. So könnten die Menschen sich vorher noch mit Geschenken eindecken. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schloss nicht aus, dass es einen erneuten Lockdown im Einzelhandel geben könnte. „Wir müssen das abhängig machen von den nächsten Tagen, ob es uns gelingt, die Zahlen runterzubringen“, sagte Spahn.

Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) zeigte sich offen für weitere Einschränkungen im Handel und in den Schulen nach Weihnachten. „Es gibt auch keinen Grund, sich dann wirklich noch am 28. Dezember einen Pullover zu kaufen, das kann man auch vorher machen“, sagte er im „Morgenmagazin“ der ARD.

Zurückhaltend äußerte sich Brandenburgs Ministerpräsident Woidke zu dem Thema. „Wir sollten erst miteinander reden und das danach bewerten. Ein geschlossener Einzelhandel hätte viele Konsequenzen. Mich ärgert, dass wieder ein Jahrmarkt eröffnet wird mit lauter Vorschlägen, bevor man sich darüber unterhalten hat“, sagte Woidke. 

Verkaufsoffener Adventssonntag in Berlin, darauf hätte die Leopoldina gerne verzichtet.
Verkaufsoffener Adventssonntag in Berlin, darauf hätte die Leopoldina gerne verzichtet.
© Fabian Sommer/dpa

Schulen

Die Nationalakademie Leopoldina hält es für sinnvoll, die Weihnachtsferien in den Bildungseinrichtungen bis zum 10. Januar zu verlängern. Zuvor sollte nach Ansicht der Gesundheitsexperten die allgemeine Schulpflicht bereits ab diesem Zeitpunkt bis zum Beginn der Weihnachtsferien in den jeweiligen Bundesländern aufgehoben werden.

Die Bildungsverwaltung in Berlin prüfe eine Verlängerung der Weihnachtsferien bis in den Januar hinein, sagte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Dienstag. In Sachsen ist bereits jetzt Teil der harten Lockdowns, dass die Schulen bereits ab kommenden Montag schließen werden. Der bayrische Ministerpräsident Söder unterstützte die Forderungen der Leopoldina am Dienstag ebenfalls.

Bereits am Sonntag hatte er angekündigt, dass in seinem Bundesland ab Klassenstufe acht die Klassen überall geteilt werden und in Wechselunterricht übergehen. In Hotspots ab einer Inzidenz von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche sollen die Schüler ab der achten Klasse komplett in den Distanzunterricht wechseln.

Im niederbayerischen Landkreis Regen, der am Montag einen Inzidenzwert von fast 570 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen aufwies, wurde dies gleich am Montag in die Tat umgesetzt. Dort bekommen Schüler aller Jahrgangsstufen ab Mittwoch Distanzunterricht.

Aus Nordrhein-Westfalen kam Kritik am Vorgehen Bayerns: Mit ihm werde es keine flächendeckenden Schließungen geben, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Dienstag. „Kinder haben auch in dieser Pandemie das Recht auf individuelle Förderung, auf liebevolle Begleitung und Kontakt mit ihren Freundinnen und Freunden“, sagte der Vizeministerpräsident.

Ein Bild, das sich die Leopoldina wünscht: leere Klassenzimmer in Deutschland.
Ein Bild, das sich die Leopoldina wünscht: leere Klassenzimmer in Deutschland.
© Britta Pedersen/dpa

Kontaktbeschränkungen

Die Leopoldina preschte auch in diesem Punkt vor: Ihnen ist die Regelung von bisher bis zu fünf Personen aus zwei Haushalten zu hoch gegriffen. Ihrer Ansicht nach müssten Kontakte im beruflichen wie privaten Kontext auf das absolut notwendige Mindestmaß reduziert werden.

Das heißt: Es wäre am effektivsten, in diesem Zeitraum auch alle sozialen Kontakte außerhalb des eigenen Haushaltes zu unterlassen. De facto würde das bedeuten, dass Deutschland zu Verhältnissen aus dem Frühjahr zurückkehren soll, als sich die Menschen lediglich mit Menschen aus dem eigenen Hausstand und ihren Partnern treffen sollten.

Forderungen nach härteren Maßnahmen kommen auch vom Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery. Er sagte der „Rheinischen Post“ : „Wir brauchen überall in Deutschland, wo die Infektionszahlen hoch sind, bis Weihnachten harte Ausgangsbeschränkungen, bei denen die Menschen nur noch aus triftigem Grund das Haus verlassen dürfen.“

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt Lockerungen zu Silvester klar ab, bei der hohen Zahl an Todesfällen gebe es nicht viel zu feiern. „Es kann nicht sein, dass, während Tausende auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen, wir mit noch mehr Infektionen ins neue Jahr feiern“, sagte er. Lauterbach. Anders sehe es mit Weihnachten aus. „Das Weihnachtsfest zu feiern, ist ein Kompromiss zwischen dem, was medizinisch sinnvoll ist, und dem, was wir einander menschlich schulden“, sagte Lauterbach. „Wir müssen für die Zeit nach Weihnachten einen härteren Shutdown verhängen.“

Auch Bundesgesundheitsminister Spahn hält schärfere Kontaktbeschränkungen für notwendig, sollten die hohen Infektionszahlen nicht zeitnah zurückgehen. „Der Ansatz, kurz und umfassender, um wirklich einen Unterschied zu machen, ist wahrscheinlich der erfolgreichere. Wenn wir nicht hinkommen mit der Entwicklung der nächsten ein, zwei Wochen bis Weihnachten, dann müssen wir das diskutieren“, sagte Spahn dem Fernsehsender Phoenix.

Berlin hat schon frühzeitig festgehalten, dass man keine Kontaktlockerungen über Weihnachten und Silvester machen werde. „Weihnachten ist ein Fest der Familie. Aber wir müssen alle damit dieses Jahr verantwortungsbewusst umgehen“, sagte Wirtschaftssenatorin Pop am Dienstag.

Ohne Maske und Abstand am Glühweinstand. Ein Bild, das es in Deutschland derzeit nicht selten zu beobachten gibt.
Ohne Maske und Abstand am Glühweinstand. Ein Bild, das es in Deutschland derzeit nicht selten zu beobachten gibt.
© Daniel Reinhardt/dpa

Bund und Länder hatten eigentlich vereinbart, bei Familientreffen vom 23. Dezember bis längstens 1. Januar zehn Personen plus Kinder zuzulassen. Ansonsten dürfen maximal fünf Leute aus zwei Hausständen zusammen sein. Bayern und Baden-Württemberg haben die Lockerung bereits auf 23. bis 26. beziehungsweise 27. Dezember beschränkt. In Berlin sind über die gesamten Feiertage maximal fünf Leute erlaubt.

Die „Bild“-Zeitung berichtete, es solle nach den Feiertagen bis zum Jahresbeginn harte Maßnahmen geben. Im Gespräch sei, zwischen 27. Dezember und 3. oder 10. Januar nur Supermärkte geöffnet zu lassen. Nach dpa-Informationen gibt es noch keine konkreten Maßnahmen, die ausdiskutiert sind.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, plädierte für die Zeit nach Weihnachten für schärfere Corona-Regeln. Die angestrebten Lockerungen über Silvester nannte er in der „Passauer Neuen Presse“ „illusorisch“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zweifelt hingegen an der Wirksamkeit eines zweiwöchigen Lockdowns. Zugleich warnte er in der „Passauer Neuen Presse“, ein drei- oder vierwöchiger Lockdown „würde das Vertrauen der Bevölkerung weiter erschüttern“. (mit dpa, AFP)

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