Der Streit um die Stromtrassen: Wie das Stromnetz an die Energiewende angepasst wird
Alle wollen Strom, aber niemand will neue Leitungen. Doch das Netz muss den Erfordernissen der Energiewende Rechnung tragen. Was ist dafür nötig?
Für die einen ist der Ausbau des Stromnetzes die Voraussetzung für die Fortsetzung der Energiewende. Andere fürchten sich vor „Monster-Trassen“. Am Dienstag haben die vier Übertragungsnetzbetreiber den zweiten Entwurf für den Netzentwicklungsplan 2014 vorgelegt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Reform der Ökostromförderung nicht zu einem geringeren Bedarf beim Stromnetz führt. Sie bleiben dabei, dass das Stromnetz der Energiewende vier große Nord-Süd-Verbindungen brauchen wird, auch wenn der Ausbau der Wind- und Solarenergie nach der EEG-Novelle etwas langsamer verlaufen wird als beim ersten Netzentwicklungsplan 2012 angenommen.
Was ändert sich bei der Planung für die Höchstspannungsleitungen?
Relativ wenig. In ihrem Bericht schreiben die vier Übertragungsnetzbetreiber, dass sich zwar durch die EEG-Reform leichte regionale Verschiebungen beim Ausbau erneuerbarer Energien ergeben. Allerdings führe dies „nur zu einer leicht veränderten Leitungsbelastung“. Amprion, 50Hertz, Tennet und Transnet BW halten an der Planung von vier großen sogenannten HGÜ-Leitungen fest (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsstrecken), die sie für das „Rückgrat der Energiewende“ halten. Die Gleichstromübertragung hat den Vorteil, dass sie große Mengen Strom mit minimalen Verlusten über große Strecken transportieren kann. So soll der Windstrom aus dem Norden zu den Verbrauchszentren im Süden kommen.
Im Detail schlagen die Unternehmen aber Veränderungen vor: Im Korridor C – das ist die vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) seit ein paar Wochen als überflüssig identifizierte Leitung, die auch den Namen Südlink trägt – soll der Endpunkt von Goldshöfe im Ostalbkreis nach Wendlingen näher an Stuttgart verlagert werden. Damit wird die bisher geplante Leitung zwischen Bünzwangen und Goldshöfe hinfällig. Auch eine weitere Verstärkungsleitung im Osten Baden-Württembergs wird so überflüssig.
Im Korridor D – das ist die Leitung aus dem Nordosten Deutschlands nach Bayern – soll der Startpunkt nach Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt verlegt werden. Der Endpunkt soll Gundremmingen statt Meitingen sein. Damit werden die Leitungen zwischen Wolmirstedt und Klostermansfeld überflüssig. Die Leitung zwischen Vieselback und Mecklar „wird nun auf der ganzen Länge notwendig“.
Auch in Berlin wird eine Netzverstärkung notwendig. Das Berliner Kabel zwischen den Umspannwerken Marzahn und Teufelsbruch soll verstärkt werden. Zwischen Pasewalk und Lubmin sowie zwischen Lubmin und Güstrow werden ebenfalls Verstärkungsleitungen geplant. Der Endpunkt der Seekabelverbindung von den Offshore-Windparks in der Nordsee soll von Halbemond nach Cloppenburg verlegt werden. Die Leitungen zwischen Lüstringen und Gütersloh sowie Borken nach Gießen werden nicht mehr für notwendig gehalten. Dafür planen die Übertragungsnetzbetreiber eine Netzverstärkung zwischen Hamburg und Krümmel.
Was passiert als nächstes?
Die Bundesnetzagentur muss den Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber nun prüfen. Der Chef der Behörde, Jochen Homann, sagte am Dienstag am Rande einer Veranstaltung des Tagesspiegels und des BDEW, er könne den Plan noch nicht kommentieren. Allerdings birgt er für die meisten Fachleute kaum Überraschungen. Und zumindest drei der Nord-Süd-Verbindungen gelten bei den meisten Befürwortern der Energiewende als unverzichtbar. Der Korridor D dagegen ist nicht nur in Bayern umstritten. Schließlich wird derzeit schon die sogenannte Thüringer Strombrücke zwischen Thüringen und Bayern gebaut. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) betonte deshalb unlängst in Berlin, der Leitungsbedarf in dieser Region müsste damit gedeckt sein.
Wie nötig sind die Stromleitungen für Bayern – und für die anderen Bundesländer?
Der Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber gibt ein paar Hinweise darauf, welche Bedeutung die Leitungen für die einzelnen Bundesländer haben. Für die Wind-Exportländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg sind die Leitungen dringend notwendig, weil sie sonst den Windstrom nicht abtransportieren können. Dort müssten Windräder abgeregelt werden und deren Betreibern müssten Entschädigungen aus der EEG-Umlage gezahlt werden. Diese so genannten Redispatch-Kosten summieren sich schon jetzt auf einen mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag. Auch Sachsen gehört zu den Stromexportländern.
Ganz anders ist die Lage in Hessen, das zwar immer ein Stromimportland war, aber nun seit der Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis sogar 54 Prozent seines Stroms aus anderen Bundesländern beziehen muss. Bayern und Baden-Württemberg sind ebenfalls Stromimportländer und beziehen je 36 Prozent ihres Bedarfs von außerhalb.
Wie wird der Netzentwicklungsplan aufgenommen?
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich über „irre Zustände“ bei der Energiewende beklagt und einen raschen Ausbau der Stromnetze angemahnt. In Süddeutschland werde ein Atomkraftwerk nach dem anderen abgeschaltet. Weil der im Norden im Überfluss produzierte Windstrom aber wegen fehlender Leitungen nicht in den Süden komme, müsse dort manchmal Strom aus veralteten Öl-Kraftwerken in Österreich zugekauft werden, sagte er. Das sei eine „Karnevalsveranstaltung“, beklagte Gabriel. „Die Kollegen in Österreich kommen vor Lachen nicht aus dem Schlaf“, sagte er beim Arbeitgebertag in Berlin.
Seehofer warnte vor einer Kostenexplosion durch den Netzausbau, insbesondere, wenn auf Druck der Bürger viele Trassen unter die Erde verlegt werden müssten. Er wies auf die rund 20 Milliarden Euro hin, die er im Verlauf von zehn Jahren kosten soll. Angesichts einer Summe von rund 20 Milliarden Euro jährlich, die über die EEG-Umlage für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Entlastung der Industrie von diesen Kosten aufgebracht werden, erscheint diese Summe allerdgings überschaubar.
Die CSU-Landesgruppen-Vorsitzende Gerda Hasselfeldt betonte, das Konzept der Netzbetreiber sei noch keine politische Entscheidung. Dies sei erst der Beginn eines Prozesses. Der bayerische Weg eines Dialogs mit den Bürgern sei eine wichtige Ergänzung zur bundespolitischen Ebene und finde zum richtigen Zeitpunkt statt, sagte sie.
Bayern hat vor zwei Wochen einen Dialog mit seinen Bürgern, genau genommen aber doch eher mit den Verbänden und Stromerzeugern begonnen. Bis zum Januar will Bayern ein eigenes Energiekonzept vorlegen. Da der Freistaat aber in der EEG-Novelle große Abstandsregeln für Windräder eingeführt hat, dürfte es dem Bundesland schwer fallen, sich von Stromimporten aus anderen Bundesländern unabhängig zu machen und tatsächlich autark zu werden, was einige in Bayern sehr attraktiv finden.
Der Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) sagte: „Wir müssen uns selbstverständlich über die Art des Ausbaus der Netze unterhalten. Aber ihn als Ganzes in Frage zu stellen ist keine zukunftstaugliche Politik.“ mit dpa/rtr