Bundeswehreinsatz in Mali: Wie das Coronavirus den Kampf gegen Islamisten erschwert
Der Einsatz in Mali gilt seit jeher als schwierig - jetzt muss die Bundeswehr wegen der Coronakrise ihre Aktivitäten in dem Land auch noch herunterfahren.
Die Fahrt in dem gepanzerten Wagen endete für die fünf Männer im Krankenhaus. Südlich der malischen Stadt Gao, wo sich das graue Wasser des Nigerflusses durch die Wüste schlängelt, waren die Bundeswehrsoldaten am Dienstag vergangener Woche auf Patrouille. Plötzlich explodierte in dem Auto aus bislang ungeklärter Ursache die Nebelgranate eines der Männer. Vier von ihnen wurden dabei leicht, einer schwerer verletzt.
In der Heimat der deutschen Soldaten hat man von dem Vorfall in der westafrikanischen Wüste kaum Notiz genommen – obwohl die fünf Männer, die im Auftrag der UN unterwegs waren, Teil der derzeit größten und vielleicht auch gefährlichsten Auslandsmission der Bundeswehr sind, des internationalen Kampfs gegen islamistische Terroristen in Mali.
Im Rahmen der UN-Mission Minusma beteiligen sich die deutschen Soldaten mit Drohnenflügen und Patrouillenfahrten an der Friedenssicherung im Land. Im europäischen Ausbildungsprogramm EUTM werden malische Sicherheitsleute von Bundeswehrsoldaten geschult. Ein Mandat zum Kämpfen haben die Deutschen nicht.
Die beiden Bundeswehreinsätze in dem afrikanischen Staat gelten dennoch seit jeher als schwierig. Jetzt zwingt die Corona-Pandemie die Bundeswehr auch noch, alle militärischen Aktivitäten vor Ort herunterzufahren.
Infektionen sind aus den deutschen Feldlagern in Mali bislang zwar nicht gemeldet worden. Allerdings wurde die Ausbildung malischer Soldaten bis auf weiteres ausgesetzt. Auch sei das deutsche EUTM-Kontingent „personell reduziert“ worden, wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos sagt. 80 deutsche Soldaten sind nahe der Hauptstadt Bamako stationiert, bis auf Ausnahmefälle bleiben sie 24 Stunden am Tag in ihrem Lager. Die rund 850 Bundeswehrangehörigen in Gao „verlassen das Camp nur noch zur Ausführung der taktischen Einsatzaufgaben“.
Groko will „neuen Ansatz“ in Mali verfolgen
Auch deshalb dürften die lokalen Dschihadisten in der Gesundheitskrise eine Chance sehen, um ihre Macht in der Region auszubauen. Überall im Sahel mehren sich in diesen Tagen Anschläge von Extremisten. „Wir danken Gott für diese Pandemie“, sagte kürzlich Abubakar Shekau, ein Anführer der Terrorgruppe Boko Haram, in einer Propagandabotschaft.
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Die Bundesregierung will das deutsche Engagement in Mali nun ausbauen. Von einem „neuen Ansatz“ spricht die Bundestagsabgeordnete Siemtje Möller, stellvertretende verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, will die „Aktivitäten bei der militärischen Ausbildung noch einmal intensivieren“.
Das Ziel des deutschen Einsatzes ist, in Mali für mehr Stabilität zu sorgen und der Regierung in Bamako dabei zu helfen, staatliche Strukturen aufzubauen. Für die Bundesregierung spielen dabei auch eigene Interessen eine Rolle: Das Land, ungefähr dreimal so groß wie Deutschland, gilt als „Transitstaat“ für Menschen aus anderen Teilen Westafrikas auf dem Weg nach Europa. Sichere malische Staatsgrenzen, so die Hoffnung der Bundesregierung, könnten möglicherweise auch die Migrationsbewegungen aus dem Süden eindämmen.
100 Elitesoldaten bislang ohne Mandat in Niger
An diesem Mittwoch befasst sich das Kabinett mit den Mandaten für die zwei Bundeswehrmissionen in Mali, die zum 31. Mai auslaufen. Die Groko will beide Einsätze verlängern und das deutsche Kontingent für EUTM um 100 Soldaten aufstocken – auf bis zu 450 Männer und Frauen.
„Wir wollen einen größeren Beitrag leisten, die Ausbildung anpassen und uns künftig auch mit unseren Partnerländern besser abstimmen“, sagt Möller. Neu ist vor allem die Ausweitung des Mandatsgebiets auf Malis Nachbarländer Burkina Faso und Niger. Damit soll auch die Ausbildungsmission des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im nigrischen Niamey vom Parlament in Berlin abgesegnet werden. Bislang sind die rund 100 Elitesoldaten ohne Bundestagsmandat unterwegs. Da die Mission kein Kampfeinsatz sei, müsse sie auch nicht vom Parlament mandatiert werden, lautete bislang die Argumentation der Bundesregierung.
„Im Prinzip ist es richtig, das Einsatzgebiet der Bundeswehr auf Malis Nachbarstaaten auszuweiten“, sagt der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Zwar dürfe es kein „Blanko-Mandat“ für die ganze Sahelzone geben, „aber man muss sie definitiv als Gesamtregion betrachten“.
Viele der Islamistengruppen in der Sahara operieren über Landesgrenzen hinweg. Nach Anschlägen in Mali ziehen sie sich häufig in Nachbarstaaten zurück. Auch deshalb will die Bundesregierung Länder wie Burkina Faso oder Niger in den Blick nehmen. „Der Wunsch nach mehr deutscher Beteiligung kommt nicht nur von unseren europäischen Partnern, sondern auch von den Regierungen in Westafrika“, sagt Möller.
Die Ausweitung der Bundeswehrmission lässt sich auch als Signal an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron verstehen. Der hat vor rund einem Jahr mehr Einsatz der Deutschen in der Sahelzone verlangt – und im Januar 2020 dann mit der sogenannten G5-Gruppe aus Mauretanien, Tschad, Niger, Mali und Burkina Faso eine „Koalition für das Sahelgebiet“ geschmiedet.
Aus französischer Perspektive hält Frankreich damit auch den Terror von Europa fern. Immer wieder sterben dabei französische Soldaten, während die Bundeswehr ihre Aktivitäten auf Feindaufklärung und die Ausbildung einheimischer Sicherheitsleute beschränkt. In Berlin stehen viele hinter dieser Aufgabenteilung. Bis in die Union weiß man, dass deutsche Kampfeinsätze in Mali oder Niger vielen Bundesbürgern nur schwer zu vermitteln wären.
In Frankreichs Sahel-Strategie sehen einige – vor allem bei Linken, aber auch manche in der SPD – außerdem ein „neokoloniales Abenteuer“ in rohstoffreichen Staaten wie Niger, an dem sich die Bundesrepublik nicht beteiligen dürfe.
FDP-Außenpolitiker Lambdsdorff wirbt dagegen für Verständnis, wenn es um die französische Perspektive auf die Konflikte in Westafrika geht. Es gelte zu verhindern, dass sich die Sahelzone weiter zu einem Rückzugsgebiet für Islamisten entwickelt. „Deshalb sollten wir uns ernsthafter mit den Forderungen der Franzosen nach mehr deutschem Engagement auseinander setzen“, sagt der liberale Bundestagsabgeordnete. „Denn das französische Ziel, den islamistischen Terror vor Ort zu bekämpfen und ihn gar nicht erst nach Europa kommen zu lassen, liegt ja auch in unserem Interesse.“
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Droht eine Art Afghanistan 2.0?
Dass sich Teile der Sahelzone weiter zu einem Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen entwickeln, diese Gefahr besteht tatsächlich. Wer mit Fachpolitikern und Wissenschaftlern über die Situation in Mali spricht, hört immer wieder den Vergleich mit Afghanistan. Dort konnten die islamistischen Taliban bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen 2001 weitgehend ungestört herrschen. Sollten die staatlichen Strukturen in Mali – auch wegen der Coronakrise – weiter erodieren, dann drohe dem Land ein ähnliches Schicksal, lauten die Befürchtungen.
Der Vergleich zwischen Mali und Afghanistan lässt sich auch aus einem weiteren Grund ziehen. In dem Land am Hindukusch sind seit fast 20 Jahren westliche Truppen stationiert, die Gewalt vor Ort ist nach wie vor hoch. Auch in Mali sind seit nunmehr sieben Jahren UN-Truppen aktiv. Von der erhofften Stabilität, Frieden und wenigstens einem bescheidenen Wohlstand der Bevölkerung ist der Staat jedoch noch immer meilenweit entfernt. Der islamistische Terror, ethnische Konflikte über das knappe Nutzland, die Korruption im Staatsapparat – die Liste der Probleme in Mali bleibt lang.
„Eine Lehre aus Afghanistan ist, dass wir das Parlament bei Militäreinsätzen stärker einbinden müssen, damit wir als Abgeordnete das jeweilige Bundeswehrmandat immer wieder kontrollieren und bei Bedarf nachbessern können“, sagt die SPD-Verteidigungsexpertin Möller.
Wann die Bundeswehr ihre militärischen Aktivitäten in Mali wieder hochfahren kann, ist indes unklar. Fest steht, dass die für diesen Monat geplante Verlängerung der beiden Bundeswehreinsätze in Westafrika nicht die letzte sein wird – oder wie die SPD-Politikerin Möller es formuliert: „Wir müssen auf ein langes Engagement einstellen, weil es viel Zeit braucht, um die Probleme in Staaten wie Mali zu lösen – von Armut und Hunger bis zu Terror und ethnischen Konflikten.“
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